Cover des Buches Mein deutsches Dschungelbuch (ISBN: 9783442545544)
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Rezension zu Mein deutsches Dschungelbuch von Wladimir Kaminer

Rezension zu "Mein deutsches Dschungelbuch" von Wladimir Kaminer

von metalmel vor 16 Jahren

Rezension

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metalmelvor 16 Jahren
Und wieder jemand, der meine Heimat besser kennt als ich selber! Das ist nun nicht schwer, denn ich kenne nun wirklich wenig von Deutschland. Komisch, ich hatte noch nie das Bedürfnis dieses Land kennenzulernen. Das hat nun Wladimir Kaminer für mich erledigt und ich kann das Ergebnis lesen und wie immer eine Weile darüber schmunzeln oder sogar ab und an laut lachen. Seine Lesereisen führen ihn kreuz und quer durch die Republik, folgen keiner klaren Linie, die Orte scheinen willkürlich aufgereiht, gerade das macht den Reiz aus. Der Leser lässt sich einfach mit Kaminer durch Deutschland treiben, von einem Ort zum nächsten. Gestartet wird in Weikersheim. Doch es ist gar nicht mal so leicht, dahin zu gelangen. Kaminer reist mit dem Zug, immer. Je weiter der Zug aufs Land fährt, desto kürzer werden die Abstände zwischen den Stationen und desto undeutlicher werden die Ansagen des Lokführers: „Entweder sprach er einen mir nicht zugänglichen Dialekt, oder er kaute jedes Mal an einer Maultasche- ich konnte jedenfalls kein Wort verstehen. Alles aus seinem Munde klang wie ‚Schuschihein’ für mich.“ Deswegen steigt er auch zu früh aus und geht den Rest des Weges. Er verläuft sich und steht verloren mitten in der Pampa, als ihn Renate, die Veranstalterin der Lesung anruft und ihn bittet, ihr zu beschreiben, wo er ist: „Wie sollte man das beschreiben? Ich stand an einer grünen Wiese vor einem Sumpf, links war die Autobahn, rechts waren Büsche. Oben knallte die Sonne, unten wuchs Gras.“ Fünf Minuten später sitzt er bereits bei ihr im Auto. Schön, wenn sich die Einheimischen so auskennen. Einige Zeit später landet er in Rothenburg ob der Tauber, „diesem als Stadt getarnten Spielzeugladen“. Die Kellnerin sieht aus wie eine Schneekönigin, alles ist voller künstlicher Blumen und es ist das ganze Jahr hindurch Weihnachten. Gott sei Dank war ich da noch nie... In Oldenburg residiert er im Hotel Tafelfreude und besucht das Restaurant, in dem alle Mitarbeiter Kosaken-Kostüme tragen und es Jasmin-Tee für umsonst gibt. Er wird sogleich von einem jungen Kosaken über diese Seltsamkeiten aufgeklärt: „ Wir haben gerade Himalaya-Wochen und deswegen alles ein bisschen orientalisch gemacht.“ Na dann! Es gibt tolle Gerichte – Kardamom-Huhn oder Mandel-Sahne-Hühnersuppe zum Beispiel. Gerne würde man ihm auch eine „Wurst servieren“ versichert ihm ein norddeutscher Ali Baba mit Turban, doch Kaminer ist mutig und zeigt den ganzen anderen Spießern im Lokal, die sich alle an einem Glas Wein festhalten, wo’s langgeht: Er bestellt sich ein buddhistisches Huhn! Und schon gibt es Mitmacher. Na also, geht doch! In Koblenz macht sich die Buchhändlerin Sorgen ob der Macken der ganzen Autoren. Sie beklagt sich, dass neulich ein Autor bei ihr war, der sich weigerte aus seinem Buch zu lesen, da dies völlige Scheiße sei, er würde viel lieber Heinrich Heine lesen. Außerdem war er betrunken. Kaminer beeindruckt diese Frau, indem er abends bei der Lesung nicht vom Stuhl kippt, nüchtern bleibt und auch nicht aus Heinrich Heine liest! Rathenow hat nicht viel zu bieten, jedenfalls scheint es so, wenn man Kaminer abends auf die Strassen folgt. Er bekommt eine Führung mit der Chefbibliothekarin und die geht so: „ Links sehen Sie ein mazedonisches Steak-Restaurant, dort kann man Steaks essen, rechts sehen Sie Renate, hallo Renate! Wie geht’s?“ Auch Schwerin leidet. Es wird praktisch komplett abgerissen, weswegen Kaminer der Weg zum Hotel so erklärt wird: „Gehen Sie geradeaus bis zum roten Kran, dann links bis zum gelben und dann wieder links.“ Ach je, da fühlt man sich nicht so wohl. In Nürnberg findet er sich plötzlich im Neuen Museum. Dort betrachtet er ganz alleine eine große Sammlung von zusammengepressten Müll (wie oft dachte ich das auch schon, wenn ich im Museum war). „Große Brocken hingen in gefährlicher Höhe in der Luft. Ein Künstler, der wahrscheinlich in seiner Kindheit psychisch traumatisiert worden war, hatte in dem Museum seine ganz persönlichen Alpträume ausgestellt. (...) In der Nähe des Museums bewunderte ich ein zwei Tonnen schweres Kaninchen. Es hatte nur ein Auge, mehrere Köpfe und Pfoten.“ Oh Gott, ich fahre nie wieder nach Nürnberg! Und so reist er weiter von einem schauerlichen Ort zum nächsten und alles spielt sich hier unter uns ab...
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