Wolfgang Eicher hat einen geheimnisvollen Roman geschrieben, der einen mitnimmt auf eine Reise ans Meer, zur Liebe, zu einer entfernten Insel und zum Sinn des Erzählens.
Liebe besteht nicht zuletzt darin, dass zwei Geschichten zueinanderfinden. In der Psychiatrie trifft der Ich-Erzähler Sabine. Sie erzählt von dem „Paradies ohne Leben“, in dem sie aufgewachsen ist. Eltern, Lehrer oder Ärzte sehen kein Problem in diesem goldenen Käfig, außer dem einen: Sabine denkt nicht wie sie. Bereits zweimal hat sie versucht sich zu töten, nicht, um sich zu töten, sondern um aus einem Diskurs herauszukommen, in dem niemand wirklich mit ihr redet.
Im Gegenzug erzählt der Protagonist, wie er nach dem Unfall-Tod seiner Eltern mit einem Segelboot um die Welt reiste, um den Traum seines Vaters zu verwirklichen. In einer zweiten Seereise machte er sich auf, um seinen eigenen Traum zu verwirklichen, die Suche nach Atlantis. Nicht, um es tatsächlich zu finden, aber irgendein Ziel muss man sich ja setzen.
Was mögen Vater und Sohn gesucht haben? In romantischer Tradition (Tieck, Novalis) besteht das (utopische) Ziel einer Reise darin, aus dem bisherigen Leben herauszukommen. Ist man draußen, beginnen die Probleme mit dem Sinn.
Atlantis findet der Ich-Erzähler zwar nicht, aber eine Insel im Schwarzen Meer, die auf keiner Karte verzeichnet ist und dort in einer Grotte habe er den Sinn des Lebens gefunden, leider, denn der sei schrecklich.
Sein Leben hat vorher, ähnlich wie das von Sabine, keinen Sinn gehabt, stand aber unter einem Sinn-Diktat, vermittelt durch Eltern und Großeltern. Wir leben ja inzwischen in einer Welt voller Besserwisser. Ob Fernsehen, soziale Medien oder Freundeskreis, ein jeder posaunt heraus, wie das Leben angeblich sei und erwartet ein „Gefällt-mir“. Ambivalenz, Sensibilität, Empathie oder vorsichtiges Erzählen sind nicht die Stärken dieses allgegenwärtigen Geredes.
Auf der Insel, so fährt er fort, habe er Skelette und Aufzeichnungen entdeckt: Einst trafen sich dort im Auftrag dreier großer Kirchen offenbar drei Geistliche, um endgültig zu klären, welche Religion die einzig wahre wäre. Vergeblich versuchten sie, sich gegenseitig zu missionieren.
Die Geschichte mag stimmen oder gelogen sein, jedenfalls brechen die beiden Liebenden auf ins Schwarze Meer, und … Das liest man am besten selbst.
Ich habe diese wunderbare Liebesgeschichte inzwischen zweimal gelesen und werde sie wohl auch in den nächsten Urlaub mitnehmen.
Wolfgang Eicher, Die Insel, Verlag duotincta Berlin,
978-3-946086-07-9
Leseprobe und mehr unter: https://duotincta.de/kulturgut/die-insel/