Rezension zu "Nur in Wien: Von den kleinen Dingen, die die große Stadt bedeuten" von Wolfgang Freitag
Das ist das Buch für alle, die schon alles über Wien wissen! Oder zumindest meinen alles zu wissen. Hier wird Wien jedem, den die Stadt in ihren Bann gezogen hat, das vor Augen geführt, was er zwar sehen kann, aber niemals sieht.
Wer sich die Mühe macht – und als Besucher muss man es – die Straßennamen zu lesen, dem fällt, wenn man ihn darauf hinweist, sicher auf, dass hier eine gewisse Norm vorherrschend ist. Das betrifft die Maße, aber auch Schriftbild und die Farbe des Untergrunds. Saphirblau? Kobaltblau? Na, es ist Wiener Blau, selbstverständlich. Das ist nicht schwer, sich das einzuprägen. Aber wie kommen die Maße zustande? „27 cm in der Breite, bei einer Höchstlänge von 98 cm“ – so steht es in en Vorschriften. Das waren die Maße der Abfälle bei der Badewannenproduktion. Denn die Firma, die die Schilder herstellte, begann mit Badewannen.
Offensichtlicher sind da schon die Geländer an den Wiener Stadtbahnen. Unverwechselbarer Stil von Otto Wagner. Und das Grün ist auch gefällig. Und so unterschiedlich? Das Wagner-Grün unterschiedlich? Der Stararchitekt der Donaumetropole hat doch alles akribisch notiert, erarbeitet und überwacht. Wie kann es sein, dass an einem am weitesten verbreiteten Hauptwerk solche Unterscheide auftreten? Zum Einen waren die Geländer zu Lebzeiten nicht grün. Mehrere Schichten Grau – das kannte er. Zum Anderen sind mehrere Institutionen mit der Erhaltung der Geländer beschäftigt. Da es aber keine Aufzeichnungen zur Farbgestaltung gibt, wurde es halt Grün. Reseda-Grün ist vorherrschend, aber nicht allgegenwärtig. Ein Fest für Instagrammer!
Wolfgang Freitag schreitet durch Wien wie ein allwissender Sherlock Holmes. Ihm fallen Dinge auf, die mindestens 99 Prozent der Anderen niemals auffallen würde. Das beginnt bei Kanaldeckeln – jeder, der „Der dritte Mann“ gesehen hat, sucht nach dem viereckigen Kanaldeckel, durch den Harry Lime griff (by the way: Die Fingergehören nicht dem Darsteller Orson Welles, sondern dem Regisseur Carol Reed – Mr. Welles war sich zu fein, um in die Kanalisation hinabzusteigen …) – die sind rund, im Film viereckig. Und heute genormt – warum? Ein Blick ins Buch macht jeden Ausflug durch die Stadt zu einem Abenteuer.
So hat man Wien noch nie gesehen, und Wien wird von nun an ein anderes Gesicht zeigen: Offener, vielfältiger und weil so manches Geheimnis jetzt gelüftet ist, wird die Stadt noch reizvoller.