Rezension zu Im Netz der weißen Spinne von Wolfgang Held
Erstaunlich kritisch...
von parden
Kurzmeinung: Ein Kinderbuch von 1973 mit kritischen Themen und Fragen. Lesenswert und nachdenklich stimmend, überraschend aktuell.
Rezension
pardenvor 7 Jahren
ERSTAUNLICH KRITISCH...
Manchmal stoße ich auf Bücher, bei denen sich mir erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließt, um was es sich eigentlich dabei handelt. Dieses hier ist so ein Buch. Das Cover machte mich neugierig, und der Klappentext versprach eine spannende Lektüre:
Sieben Jungen und Mädchen finden im Fluss einen Behälter. Er bringt höchste Gefahr. Gift ist in den Strom geraten. Wer produziert solch gefährliche Giftstoffe? Und wozu?
Ein wenig Abenteuer à la Enid Blyton versprach ich mir von dem Buch, hatte im Geist schon die Überschrift der Rezension gewählt: Sieben Freunde auf der Rheininsel, in Anlehnung an einen Titel der berühmten Kinderbuchautorin. Doch beim Lesen staunte ich dann immer mehr...
Tatsächlich beginnt das Buch recht abenteuerlastig. Sieben Schulfreunde verbringen die Sommerwochenenden auf einer Insel im Rhein, die einer der Schüler von seinem Vater zum Geburtstag erhalten hat. Fische fangen, ein Einboot bauen, Unterhaltungen am Lagerfeuer - und all das ohne die Aufsicht eines Erwachsenen. Eine herrliche Vorstellung.
Doch dann entdecken die sieben ein geheimnisvolles Fass, das sich in der Uferregion ihrer Insel unter Wasser verkeilt hat. Mühsam wird es geborgen, nicht ohne dass die sieben Freunde wild spekulieren, was es wohl beinhalten könnte. Gold, Teer, Rum - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Zu ihrer Enttäuschung enthält das Fass jedoch nur ein langweiliges weißes Pulver - noch nicht einmal Zucker, wie sie nach einer kleinen Geschmacksprobe feststellen.
Das Fass selbst ist vielleicht noch zu gebrauchen - eine Regenwasserdusche wäre schön. Und so kippen die sieben Jugendlichen den Inhalt des Fasses in den Rhein und hieven das Fass in einen Baum. Doch schon bald wird den Schulfreunden speiübel, einige verlieren das Bewusstsein, und allmählich dämmert es ihnen: sie haben sich vergiftet!
Spätestens hier war mir dann klar, dass es sich bei dieser Geschichte nicht um eines der Abenteuer handelt, bei denen die Kinder den Fall lösen und dann alle zufrieden sind. Mit dem Gift im Rheinwasser geschehen auch noch allerlei andere fatale Unglücke: ein Massensterben der Fische, verendete Enten, Kühe, die nach heftigen Krämpfen auf ihren Rheinwiesen elendig sterben - der Katastrophenalarm wird ausgelöst. Die Spur führt schließlich in ein Chemiewerk, wo auch einer der Väter der sieben Schulfreunde als Biochemiker arbeitet...
Ein erstaunlich kritisches Kinderbuch hat Wolfgang Held hier geschrieben, eines, das sich nicht mit einfachen Problem-Lösung-Strategien zufrieden gibt, sondern komplexe Sachverhalte darlegt und ganz eindeutig zum Nachdenken anregt. Was ist richtig, was ist falsch? Gibt es immer eine schwarz-weiß-Lösung? Die Verantwortung des Biochemikers beispielsweise, der weiß, dass sein Produkt nicht nur wie von ihm beabsichtigt in der Landwirtschaft gegen Schädlinge eingesetzt wird, sondern ebenfalls gegen Menschen in Kriegsgebieten. Oder der Interessenskonflikt eines Zeitungsredakteurs zwischen der kritischen Berichterstattung einerseits und dem bedrohten Erhalt der Zeitung andererseits.
Viele der Formulierungen hatten mich beim Lesen schon stutzig gemacht (fast alle Schulfreunde waren beispielsweise dafür, dass die Mädchen fürs Kochen und Spülen auf der Insel zuständig waren). Auch die Ereignisse, auf die der Autor sich berief (z.B. der Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg) und dass in dem Buch noch mit 'Mark' bezahlt wird, deuteten darauf hin, dass die Erzählung schon älteren Datums sein muss. Und tatsächlich: das Ebook stammt zwar aus dem Jahr 2013, die Erstausgabe der Printausgabe jedoch aus dem Jahr 1973! Das doch recht polemische Ende verblüffte mich dann wirklich, und ein Blick in die Annalen verriet dann auch ganz richtig: das Original erschien im Kinderbuchverlag der DDR.
Doch trotz dieser Färbung ist das Alter des Buches kein Problem. Diese Themen verlieren leider nie an Aktualität, doch die Aufmerksamkeit für solche Themen, die kritische Auseinandersetzungen damit, verlieren leider zunehmend an Dynamik. Niemals regte man sich weniger auf über Missstände als heute. Insofern war es eine angenehme Überraschung, auf ein derart kritisches Kinderbuch zu stoßen, dass zu allem anregt, nur nicht zum Wegschauen...
© Parden
Manchmal stoße ich auf Bücher, bei denen sich mir erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließt, um was es sich eigentlich dabei handelt. Dieses hier ist so ein Buch. Das Cover machte mich neugierig, und der Klappentext versprach eine spannende Lektüre:
Sieben Jungen und Mädchen finden im Fluss einen Behälter. Er bringt höchste Gefahr. Gift ist in den Strom geraten. Wer produziert solch gefährliche Giftstoffe? Und wozu?
Ein wenig Abenteuer à la Enid Blyton versprach ich mir von dem Buch, hatte im Geist schon die Überschrift der Rezension gewählt: Sieben Freunde auf der Rheininsel, in Anlehnung an einen Titel der berühmten Kinderbuchautorin. Doch beim Lesen staunte ich dann immer mehr...
Tatsächlich beginnt das Buch recht abenteuerlastig. Sieben Schulfreunde verbringen die Sommerwochenenden auf einer Insel im Rhein, die einer der Schüler von seinem Vater zum Geburtstag erhalten hat. Fische fangen, ein Einboot bauen, Unterhaltungen am Lagerfeuer - und all das ohne die Aufsicht eines Erwachsenen. Eine herrliche Vorstellung.
Doch dann entdecken die sieben ein geheimnisvolles Fass, das sich in der Uferregion ihrer Insel unter Wasser verkeilt hat. Mühsam wird es geborgen, nicht ohne dass die sieben Freunde wild spekulieren, was es wohl beinhalten könnte. Gold, Teer, Rum - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Zu ihrer Enttäuschung enthält das Fass jedoch nur ein langweiliges weißes Pulver - noch nicht einmal Zucker, wie sie nach einer kleinen Geschmacksprobe feststellen.
Das Fass selbst ist vielleicht noch zu gebrauchen - eine Regenwasserdusche wäre schön. Und so kippen die sieben Jugendlichen den Inhalt des Fasses in den Rhein und hieven das Fass in einen Baum. Doch schon bald wird den Schulfreunden speiübel, einige verlieren das Bewusstsein, und allmählich dämmert es ihnen: sie haben sich vergiftet!
Spätestens hier war mir dann klar, dass es sich bei dieser Geschichte nicht um eines der Abenteuer handelt, bei denen die Kinder den Fall lösen und dann alle zufrieden sind. Mit dem Gift im Rheinwasser geschehen auch noch allerlei andere fatale Unglücke: ein Massensterben der Fische, verendete Enten, Kühe, die nach heftigen Krämpfen auf ihren Rheinwiesen elendig sterben - der Katastrophenalarm wird ausgelöst. Die Spur führt schließlich in ein Chemiewerk, wo auch einer der Väter der sieben Schulfreunde als Biochemiker arbeitet...
Ein erstaunlich kritisches Kinderbuch hat Wolfgang Held hier geschrieben, eines, das sich nicht mit einfachen Problem-Lösung-Strategien zufrieden gibt, sondern komplexe Sachverhalte darlegt und ganz eindeutig zum Nachdenken anregt. Was ist richtig, was ist falsch? Gibt es immer eine schwarz-weiß-Lösung? Die Verantwortung des Biochemikers beispielsweise, der weiß, dass sein Produkt nicht nur wie von ihm beabsichtigt in der Landwirtschaft gegen Schädlinge eingesetzt wird, sondern ebenfalls gegen Menschen in Kriegsgebieten. Oder der Interessenskonflikt eines Zeitungsredakteurs zwischen der kritischen Berichterstattung einerseits und dem bedrohten Erhalt der Zeitung andererseits.
Viele der Formulierungen hatten mich beim Lesen schon stutzig gemacht (fast alle Schulfreunde waren beispielsweise dafür, dass die Mädchen fürs Kochen und Spülen auf der Insel zuständig waren). Auch die Ereignisse, auf die der Autor sich berief (z.B. der Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg) und dass in dem Buch noch mit 'Mark' bezahlt wird, deuteten darauf hin, dass die Erzählung schon älteren Datums sein muss. Und tatsächlich: das Ebook stammt zwar aus dem Jahr 2013, die Erstausgabe der Printausgabe jedoch aus dem Jahr 1973! Das doch recht polemische Ende verblüffte mich dann wirklich, und ein Blick in die Annalen verriet dann auch ganz richtig: das Original erschien im Kinderbuchverlag der DDR.
Doch trotz dieser Färbung ist das Alter des Buches kein Problem. Diese Themen verlieren leider nie an Aktualität, doch die Aufmerksamkeit für solche Themen, die kritische Auseinandersetzungen damit, verlieren leider zunehmend an Dynamik. Niemals regte man sich weniger auf über Missstände als heute. Insofern war es eine angenehme Überraschung, auf ein derart kritisches Kinderbuch zu stoßen, dass zu allem anregt, nur nicht zum Wegschauen...
© Parden