Rezension zu "Eine Luftmatratze muss her!: Dorfwirtschaftswunder 1950" von Wolfgang Marschall
Von München in das oberösterreichische Städtchen Ried sind es 160 Kilometer, von Linz nach Ried knappe 80 und wer in Salzburg startet muss gerade mal 70 Kilometer absolvieren.
Von der berühmten Bretterwand mit der Aufschrift "Ende der Welt" zu sprechen, ist also völlig abwegig.
Allerdings erscheinen viele der von Wolfgang Marschall akribisch zusammengestellten Artikel der 'Rieder Volkszeitung' aus heutiger Sicht unvorstellbar.
Datenschutz? Ein Fremdwort. "Dem 62jährigen Franz Schuster [...] mußte im Krankenhaus Salzburg der rechte Fuß unterhalb des Knies abgenommen werden." (Seite 27)
Klimawandel? Ein Fremdwort, Zitat Seite 6: "Abgase haben auch ihre Vorteile. Auf der Welt wird es wärmer."
Atomkraft? in den 1950er Jahren angeblich ein Segen: "Herzen mit Atomantrieb" (S. 40) oder "In 20 Jahren: Schiffe und Lokomotiven fahren mit Atomenergie". (S. 42)
Inserate, mit denen Fernseh-Vorführungen in Gaststätten beworben werden. Ohnehin sind die im Buch wiedergegebenen Werbeanzeigen durchaus amüsant. Wie wäre es mit einer "Lugana-Firmungsuhr"? Immerhin mit 17 Steinen im Vollankerwerk. Für Buben zu 290 Schilling, das Modell für Mädchen zu 410 Schilling.
Reiseangebote, "Levi's-Jeans jetzt auch in Österreich", "6.630 km Straßen in Oberösterreich staubfrei", "Pille gegen Promille", "Sie wollen alle tüchtige Hausfrauen werden [...] um die zukünftigen Gatten wirklich glücklich zu machen" (zuletzt aufgeführtes Zitat von Seite 133, nach heutigem Verständnis nicht zu fassen.)
So geht es in einem fort. Amüsant ge- und beschrieben. Wobei diese Ansichten, Meinungen, Einstellungen wahrlich nicht auf die Kleinstadt Ried beschränkt waren. Ich entsinne mich an ein Sammelalbum für Bildchen, die in den 1950er, 1960er Jahren noch den Schachteln verschiedenen Zigarettenmarken beigelegt waren. Eines der Bildchen zeigte einen Schrebergarten mit einem versenkbaren Rohr, an dessen Spitze Uran montiert war. Dessen radioaktive Strahlung dafür sorgte, dass Kohl-, Krautköpfe und Tomaten so groß wie eine BMW Isetta wurden... Zur absoluten Freude der den Garten bearbeitenden Hausfrau, die ihren Gatten damit glücklich macht.
Schmunzeln, staunen, sich wundern. Alles auf einmal.