Wolfgang Reinhard

 4,3 Sterne bei 13 Bewertungen

Lebenslauf

Prof. Dr. Wolfgang Reinhard hatte lange Jahre einen Lehrstuhl für Geschichte in Freiburg inne. Er zählt zu den einflussreichsten deutschen Historikern der letzten Jahrzehnte. Einem großen Publikum ist er bekannt geworden mit seinen hochgelobten Büchern "Eine Geschichte der Staatsgewalt" (1999) und "Lebensformen Europas" (2004).

Quelle: Verlag / vlb

Neue Bücher

Cover des Buches Lehrerleben und Hakenkreuz (ISBN: 9783955055202)

Lehrerleben und Hakenkreuz

Neu erschienen am 07.04.2025 als Gebundenes Buch bei verlag regionalkultur.

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Neue Rezensionen zu Wolfgang Reinhard

Lesen, lesen, lesen!!

Lesen, lesen, lesen!! Das ist in zweierlei Bedeutung zu verstehen. Zum einen dauert es natürlich seine Zeit, bis die 1,320 (!) Seiten geschafft sind. Schon der Umfang von knapp 300 zusätzlichen Seiten Quellen- und Literaturangaben verdeutlichen, was auf den Leser zukommt. Wobei ich zugebe, dass ich gar manche Zahlenangaben nur überflogen habe. An belegtem, nachprüfbarem Zahlenmaterial bietet Wolfgang Reinhard gar einiges. Sei es über die wirtschaftlichen Auswirkungen, Kosten der 'Erkundung, Unterwerfung und Haltung von Kolonien' vs. Profiten, die aus den Kolonien gezogen wurden. Seien es Angaben über die immense Anzahl an Sklaven, sowohl aus Afrikanischen Ländern 'importierte' oder von den Europäern zur Arbeit gezwungene 'Indianer- oder Indio-Sklaven'. Die im Sinne der Ausbeutung ihres eigenen Landes gezwungen wurde, Die immensen Opferzahlen bedingt durch die immense Zahl an Kriegen, die die 'kultivierten europäischen Nationen' des Profites wegen angezettelt haben, lässt einem doch immer wieder inne halten.

Gleichgültig, ob der Handel mit China, die Ausbeutung Süd- und Nordamerikas, die unheilvolle Aufteilung des 'Nahen Ostens' oder Afrikas, die Südsee mit Ozeanien, gleichgültig ob es um Portugal, Spanien, Frankreich, die Niederlande, Italien, Dänemark, Deutschland, Belgien oder Russland geht, gleichgültig ob es um das ehemalige Osmanische Reich geht, um Japan oder sonst eine Nation, ein Land, ein Staat, der Autor lässt keine Region, keinen Kontinent, kein Zeitalter aus.

Bei aller Historie sind die Bezüge zu aktuellen Vorgängen immer präsent. 
Ein Beispiel, Zitat Seite 622: 
"Und auch in den USA selbst betrachtete man sich als Inbegriff von Amerika und bestimmte stellvertretend für die Neue Welt das Verhältnis zur Alten. Ob ausgehend vom Kulturbefehl Gottes in Genesis 1,28 wie Neuenglands Gouverneur Winthrop 1629 oder von einer säkularisierten zivilisatorischen Mission wie später - die USA verstanden und verstehen sich immer noch als das auserwählte Volk in der Wildnis, als Ordnungsmacht der Kultur gegenüber dem widergöttlichen Chaos, früher der «Roten»im ethnographischen, dann im politischen Sinn, heute der muslimischen Terroristen."

Nicht nur diese weltpolitischen Auswirkungen der "Unterwerfung der Welt" verdeutlicht, untermauert der Autor, Er beleuchtet auch deren Auswirkung bis in die Kleinstadt: "Bereits in einer ostdeutschen Kleinstadt findet sich ein indisches Restaurant, das auch tadellose griechische und italienische Küche bietet einschließlich globaler Neukreationen wie Tiramisu mit Mangosauce." (S. 1.258)

Ich bin sicher, wer dieses Buch unvoreingenommen liest, überdenkt die aktuelle (Welt-) Politik, die sogenannte Flüchtlingsproblematik, das Säbelrasseln in West und Ost mit völlig anderem Wissen, unter völlig anderen Voraussetzungen.

Also: Lesen, lesen, lesen!!

Cover des Buches Geschichte des modernen Staates (ISBN: 9783406536236)
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Rezension zu "Geschichte des modernen Staates" von Wolfgang Reinhard

Äxl
Rezension zu "Geschichte des modernen Staates" von Wolfgang Reinhard

„Offensichtlich ist es höchste Zeit, sich vom unrealistischen Modell des Nationalstaates zu verabschieden.“1 Dies ist eines der am stärksten hängen bleibenden Zitate beim Lesen von Wolfgang Reinhards Werk „Geschichte des Modernen Staates“. Um es zu verstehen muss es ganz und gar in seinem argumentativen Kontext betrachtet werden.
Diesen strickt Reinhard nachvollziehbar und gut durchdacht, indem er sein Werk in 3 wesentliche Teile untergliedert. Im ersten beschäftigt er sich mit den grundlegenden staatstheoretischen Fragestellungen. Darauf folgend vollzieht er die Entstehung des „modernen Staates“, klärt Fragen, warum dies ausgerechnet in Europa stattfand und welche Rolle die Monarchie dabei spielte. In seinem dritten Teil erläutert er dann den seiner Meinung nach zu beobachtenden „Niedergang des modernen Staates“.

Zu der Grundfrage, was ein Staat sei, kommt Reinhard zu dem Schluss, dass 3 wesentliche Eigenschaften gäbe, die einen Staat ausmachen. Diese wären zum ersten das Staatsgebiet, zum zweiten das Staatsvolk und zum dritten die Staatsgewalt bzw. Souveränität, die er zudem noch unterteilt in das Monopol der legitimen physischen Gewalt nach innen, durch die Justiz und die Polizei, und nach außen.
Zu diesen 3 wesentlichen Eigenschaften des Staates formuliert er 3 weitere Eigenschaften, die einen „modernen Staat“ ausmachen, den Rechts- und Verfassungsstaat, den Nationalstaat und die Demokratie.
Neben diesen und weiteren politiktheoretischen Fragen behandelt er weiterhin die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft, Staat und dem Recht und die Problematik der politischen Kultur, des „Theaterstaates“.
In den Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft stellt er fest, dass es 3 grundlegende Gesellschaftsebenen (Wirtschaft, Politik, Kommunikation), sowie 3 weiterführende Ebenen, die Expression, die Kultur und die Geselligkeit, gibt, die jedoch alle von der Wirtschaft und dem Staat kontrolliert werden. Er fordert dabei dazu auf, Organisationsformen zu suchen und zu finden, die diese Kontrolle reduzieren.
Im Verhältnis des Staates zum Recht stellt er fest, dass alle Rechte nur im Rahmen einer Verfassung gelten, die sich der Staat zur Selbstbeschränkung gibt, ihn im Ernstfall aber niemand daran hindern könnte eben diese Verfassung aufzuheben.
„Politiker die an der Macht bleiben wollen, müssen eben ihre Wähler bei Laune halten, …“² Dieses Zitat sagt alles nun noch alles darüber aus, was Wolfgang Reinhard unter dem „Theaterstaat“ und der „politischen Kultur“ versteht, und zwar, dass es nicht darum geht eine möglichst gute, der Allgemeinheit dienende Politik zu machen, sondern darum sich selbst möglich gut zu verkaufen um wiedergewählt zu werden.
Schon diese einleitenden Untersuchungen Reinhards lassen einem eine Vorstellung von der Bedeutung des eingangs erwähnten Zitats und seine anscheinend recht negative Auffassung vom modernen Staat erahnen.
Im nun folgenden Teil des Buches erläutert Reinhard Schritt für Schritt den „Aufstieg des modernen Staates“, den er zum Ende hin immer weiter zerlegt.
Er beginnt mit den günstigen Voraussetzungen Europas zur Staatenbildung. Aufgrund seiner räumlich vielschichtigen Untergliederung auf relativ kleinem Raum schuf der Kontinent somit eine Voraussetzung für kulturellen und politischen Pluralismus, den man in dieser Form auf dem Rest der Erde so nicht findet.
Zudem führe „Der Weg zum Machtstaat … in Europa in jedem Fall über die Monarchie.“³. Das „neu geschaffene Konzept der ‚Souveränität’“4 wurde von der Gesetzgebung gestützt, durch die der Staat nun als „Zweck seiner selbst gedacht werden“5 konnte.
Im Verlauf des 18.Jahrhunderts bildete sich jetzt eine neue Institutionskultur hierarchisch organisierter Behörden, einer Verwaltungsordnung, heraus, die Reinhard mit dem vergleicht, was später in den europäischen Kolonien „indirekte Herrschaft“ genannt wird.
Neben der zunehmenden Verwaltung lief die Staatsbildung durch die Verschriftlichung des Rechts und der daraus folgenden „modernen Rechtseinheit“ mit staatlichem Rechtsmonopol und durch Kriege voran. Laut Reinhard sind der Soldat und der Steuereinnehmer die Grundlagen des modernen Staates.
Im untergliederten zweiten Teil seines Hauptteils kommt Reinhard nun nach den abstrakten, verallgemeinerten Ausführungen zu konkreteren Bereichen, dem Ancien Regime, der Revolution von 1789 und der Bildung von Ideologien.
Die französische Revolution von 1789 sieht er hierbei nur oberflächlich als Bruch mit der Vergangenheit, tiefgründiger betrachtet sei sie nur ein enormer Wachstumsschub für die Staatsgewalt gewesen.
Folgend beginnt er erstmalig mit seiner direkten Argumentation gegen den „modernen Staat“, in dem er die „Lebenslüge des Nationalismus“6 darstellt. Diese sei die Vorstellung, dass Nationen natürliche und uranfängliche Gebilde seien, die wie der Staat angeblich schon immer da waren. Er dementiert dies und stellt Nationen demgegenüber als Konstrukte dar, die an gemeinsame Sprache, Abstammung, Religion, Territorium, Geschichte und der sich daraus ergebenden Gefühle anknüpfen. In Folge dessen spricht er kurz die Sonderwegsdiskussion (Deutschland und Italien) an und führt dann weiter zu dem eingangs wiedergegebenen Zitat.

Folgend erläutert er die dreifache Grundlage des modernen Staates und seiner Staatsgewalt, die allgemeine Steuerpflicht, die allgemeine Wehrpflicht (zur Verinnerlichung nationaler Werte) und die allgemeine Schulpflicht (zur Vermittlung des Selbstbildes der Sprache und Geschichte der Nation).
Er kommt dabei zu dem Schluss, dass „totale Staaten“, wie z.B. das „Dritte Reich“, die höchstmögliche Steigerung der Staatsgewalt und damit die Extremformen von Staaten sind.

Der dritte Gliederungspunkt des Buches beschäftigt sich mit dem Niedergang des zuvor beschriebenen, „entstandenen“ Staates.
„Der moderne Staat …“, in seiner hier definierten Form, „ … hat bereits aufgehört zu existieren.“7 Dies begründet Reinhard in dem er die These aufstellt, die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik eines Staates haben nur noch so viel Einfluss, wie ihnen die „Global Players“ der Wirtschaft gewähren würden.
Auch spricht er einigen internationalen Organisationen, allen voran der EU, Eigenschaften von Staatlichkeit zu, die auf Kosten der Souveränität der Nationalstaaten gehen. Diese Souveränitäten seien den Nationalstaaten aber nicht grundsätzlich aberkannt. Auch glaubt er nicht an einen totalen Niedergang des Staates, sondern viel eher daran, dass dieser in „reduzierter Gestalt und in Konkurrenz mit anderen Instanzen weiterleben“8 wird.

Wenn man Wolfgang Reinhards Buch „Geschichte des modernen Staates“ liest, bekommt man nicht ganz das, was man zunächst erwartet. Anstatt einer reinen „objektiven“ Darstellung des Sachverhaltes erhält man eher ein Werk, das sich in weiten Zügen wie eine Anklage gegenüber dem „modernen Staat“ liest und dessen Geschichte wie eine argumentative Grundlage dieser „Anklage“ rüberkommt.
Allerdings ist von einem Geschichtswissenschaftler auch nicht zu erwarten, dass er einen reinen Sachverhalt wieder gibt, schon nicht auf Grund der Geschichtstheoretischen Annahme, dass es einen feststehenden historischen Sachverhalt in diesem Sinne nicht gäbe, sondern alles in einer gewissen Weise im Auge des Betrachters liegt. So legt Reinhard in diesem Werk seine Interpretation des Werdegangs des „modernen Staates“ dar und tut dies zudem in einer logisch angeordneten, leicht verständlichen und nachvollziehbaren Art und Weise.

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