Rezension zu "Ich war Staatsfeind Nr. 1" von Wolfgang Welsch
Ungewöhnlich für deutsche Verhältnisse liest sich das Buch teilweise spannend wie ein Thriller, man kann es nicht mehr aus der Hand legen.
Das gefällt nicht jedem Leser. Doch "Ich war Staatsfeins Nr 1" ist kein Sachbuch, sondern ein subjektiver Erlebnisbericht. Wolfgang Welsch erzählt, wie er als junger DDR-Schauspieler bei einem Fluchtversuch erwischt und inhaftiert wurde. Obwohl man ihm nach seiner Haft anbietet, ihn in den Westen abzuschieben, bleibt er in der DDR, um einen Enthüllungsfilm zu drehen. Hier habe ich mich als Leser erstmals gefragt, ob Herr Welsch durch die Folter und den Terror vielleicht so traumatisiert war, dass er nicht mehr klar denken konnte. Um sich mit dem DDR-System anzulegen, muss man sicher sehr mutig sein. Welsch bezeichnet sein Verhältnis zum Staat dann auch als Krieg. Die Schlachten, die Welsch sich mit der Stasi liefert, sind unglaublich und in jedem Fall spannend zu lesen und zugleich ein Stück deutsche Geschichte. Im Westen agiert er als Fluchthelfer, um andere Menschen aus der DDR zu befreien. Die DDR gibt seine Ermordung in Auftrag. Das Buch ist durch Dokumente und Gerichtsurteile belegt, die geschilderten Aktivitäten der Stasi entspringen also nicht der Phantasie des Autors. Trotzdem hinterlässt das Buch einen sehr bitteren Beigeschmack, da Wolfgang Welsch sich in seinen Kampf so hineinsteigert, dass er selbstgefällig wirkt. Am schlimmsten wird diese Eigenschaft, wenn er über seine Familie spricht. Niemand hat so einen guten Charakter wie er. Seine eigene Tochter bezeichnet er gar als Monster, obwohl sie wegen ihm in Lebensgefahr geriet. Weil seine Frau einen Geliebten hat, schickt er der Tochter ein Anklagefax, zu dem sie Stellung beziehen soll! Anstatt sich mal zu überlegen, dass er als Vater auch Pflichten gegenüber einem Kind hat, sieht er jeden als Verräter und denkt damit genauso paranoid wie die Stasi. Und so Äusserungen wie seine Frau hätte ihn mit der Schwangerschaft reingelegt, sie sei ja Krankenschwester, hat sie denn nicht gewusst, wie man verhütet- also solche Äusserungen hätte das Verlagslektorat im Jahre 2001 auch streichen können, wo heute auch Männer wissen, wie man verhütet, oder? Man kriegt als Leser bei diesem Buch nicht nur aus erster Hand erzählt, was die Stasi den Menschen angetan hat, man wird auch Zeuge wie sich die Opfer verändern, wie sie selber fanatisch werden oder paranoid, wie Familien zerbrechen, wie Wut und Hass regieren. Wolfgang Welsch hat die Stasi besiegt, sein Mörder wurde verurteilt, seine schwere Leidensgeschichte kam ans Tageslicht, ist anerkannt und wurde sogar verfilmt. Trotzdem wirkt Welsch wie ein Verlierer, wenn er auf sein eigenes Kind losgeht und nicht mal bemerkt, wie unglaublich er sich benimmt. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Ich hoffe, dass er psychologische Hilfe bekam. Ich habe grossen Respekt vor Welschs Überlebenswillen, vor seiner Aufklärungsarbeit und vor seiner Fluchthilfe. Aber dieser Mann zeigt Seiten an sich, die einfach auch Angst machen.