Rezension
Ich hatte zunächst nicht verstanden, warum Yaa Gyasi am Anfang ihres Romans so viele innerfamiliäre Konflikte aufwirft und die Streitigkeiten zwischen den Asante und Fante so hervorhebt. Im Licht der letzten Kapitel betrachtet, ergibt es jedoch Sinn und schließt das Geschehen des Romans wieder zu einem Kreis: Gewalt und Unrecht in der Gesellschaft sind zuerst in den Familien sichtbar. Natürlich bedingt sich das gegenseitig; eine instabile Gesellschaft schafft nicht gerade die besten Voraussetzungen für das Wachstum stabiler familiärer Beziehungen.
Und das hat mir Yaa Gyasis Geschichten-Roman mehr als jede andere meiner Lektüren zu diesem Thema vor Augen geführt: Wie sehr die Sklaverei und die damit verbundenen Lebensumstände die betroffenen Menschen entwurzelt und daran gehindert haben, sich selbst und ihre Angehörigen in eine stabile Familiengeschichte einzubetten. Viele waren immer wieder neu auf sich allein gestellt. Manche hatten das Glück, dass Angehörige da waren. Die Erzählweise, immer nur eine oder ein paar wichtige Schnittstellen im Leben der jeweiligen Hauptfigur aus dem Gesamtgeschehen herauszureißen, passt perfekt zu den Realitäten, mit denen diese Menschen umgehen mussten, nämlich selbst jeden Moment damit rechnen und klarkommen zu müssen, willkürlich aus allem herausgerissen zu werden. So, wie es mir allein beim Lesen schon Mühe gemacht hat, den einzelnen Generationen zu folgen und mich dabei noch an die Bruchstücke der letzten Generation zu erinnern, weil deren Leben nur so ausschnitthaft dargestellt wurde und man kaum genug Zeit hatte, mit ihnen warmzuwerden, so standen auch diesen im Roman dargestellten Menschen oft nur Bruchstücke (wenn überhaupt) an Familiengeschichte zur Verfügung, viele mussten mehrmals in ihrem Leben von vorn beginnen, allzu oft nicht auf selbstbestimmte Weise.
Am Anfang der Lektüre hatte mir schmerzlich das Licht am Horizont gefehlt; in den letzten Kapiteln versteht es die Autorin, verloren geglaubte Stränge wieder zusammenzuführen, mehrere Kreise auf gelungene und z.T. überraschende Weise zu schließen und Figuren mit sich selbst und ihrer Herkunft zu versöhnen, auch wenn sich vieles davon den ProtagonistInnen selbst in Träumen und mystischen Ahnungen offenbart. Als LeserIn weiß man diese Dinge genauer zu deuten, und so konnte ich das Buch am Ende zufrieden aus der Hand legen und nicht mit den destruktiven Gefühlen, die sich am Anfang noch oft bei mir eingestellt hatten.
Ich vergebe fünf dicke Sterne, werde gern mehr von der Autorin lesen, falls sie nachlegt, und dieses Buch ganz weit oben auf meine Liste zu verschenkender Bücher setzen.