Vor geraumer Zeit ersteigerte ich bei ebay 60 neuwertige Bücher aus dem Surkamp Verlag für 111,00 Euro. Eines davon ist der 1987 dort erschienene Roman "Barbarische Hochzeit". Ein Buch, welches ich schon mehrfach gelesen habe. Ein Buch, das mich berührt hat wie kaum ein anderes vor- oder nachher.
Frankreich, ein kleiner Ort am Meer. Dort wächst die junge Nicole in gesicherten Verhältnissen auf. Ihre Eltern sind Besitzer einer Bäckerei und leiden keine Not. Als Nicole 14 ist, verliebt sie sich zum ersten Mal. Will ist US Soldat und im Ort stationiert. Dann wird die amerikanische Basis aufgelöst und Will muss in die USA zurück. Er spricht von Heirat und will sie auf seine Ranch nachholen. Vorerst wird jedoch eine Abschiedsfeier geplant. Nicole lügt um sich zu dieser Feier davonschleichen zu können, ein folgenschwerer Fehler.
Will Schneider ist in Amerika verheiratet und hat einen 2-jährigen Sohn. Er ist Parkhauswächter in der Bronx und wegen Zechprellerei polizeibekannt. Zu spät bemerkt Nicole, die sich für diesen Abend ganz besonders schön gemacht hat, dass keine große Party stattfindet. Zusammen mit 2 weiteren Soldaten vergewaltigt er sie auf brutalste Weise. Als sie endlich von ihr ablassen schleicht sie sich blutend und aufs Tiefste gedehmütigt zu ihrer Cousine Nanette nach hause.
Ludovic ist 7. Ein hagerer Junge. Er hörte das Meer, doch gesehen hat er es noch nie. Er lebt allein auf einem Speicher, die Tür des Speichers ist verschlossen. Er bekommt getragene Mädchenkleider angezogen und einmal am Tag bringt ihm jemand sein Essen. Ludovic ist die ständige Erinnerung an die Nacht, in der Nicole geschändet wurde, denn er ist die Folge. Alle Wut und Verletztheit richtet sich gegen das Kind. Ein einziger Mensch, Nanette die Cousine, liebt das Kind, stirbt aber viel zu früh. So wächst er eingesperrt und ohne Liebe auf...
Nicole, die nach der schlimmen Vergewaltigung keine Hilfe sondern nur Vorwürfe "Du Nutte, Du Hure, Dein Bastard ..." von ihren Eltern bekam, war nie in der Lage eine Beziehung zu ihrem Sohn aufzubauen. Der Junge dagegen versucht verzweifelt die Liebe seiner Mutter zu erringen und ist nur hilflos dem Verstoßen ausgesetzt.
Beim Lesen dieses Buches war ich hin- und hergerissen zwischen Verständnis und Hass für die "Mutter" und grenzenlosem Mitgefühl für den Jungen. Ich hoffte so sehr, dass sie den Jungen einmal in die Arme nimmt oder dass er einen Menschen findet, der die tiefen seelischen Schmerzen, die er erlitt wenigstens etwas lindert. Zum Schluss war ich einfach nur tief erschüttert.
Ich dachte auch über die Beziehung zu meinen Söhnen und darüber nach, dass wir uns ab und an wegen Kleinigkeiten zoffen und nahm mir einmal mehr vor, die Ruhe zu bewahren. Schließlich liebe ich meine Kinder! Und wenn mein kleiner Sohn dann mit einem Strauß Gänseblümchen vor mir stand, konnte ich ihn einfach nur in die Arme nehmen.
Der Autor Yann Queffélec beschreibt auf packend dramatische Weise das Leben eines ungewollten Kindes, als bittere Konsequenz von Gewalt und Gegengewalt. Er hat in seinem Roman ein Tabuthema aufgegriffen, was heute noch genau so aktuell ist, wie vor 20 Jahren. Der Schreibstil ist erstaunlich wertfrei. Der Autor erzählt die Geschichte und überlässt es dem Leser, sich seine Gedanken dazu zu machen. Diese Gedanken gingen mir beim Lesen allesamt tief unter die Haut.
Das Buch wurde mit Frankreichs berühmtesten Literaturpreis, dem "Prix Goncourt" ausgezeichnet. Zu Recht! Ich kann es 100%ig empfehlen.