Rezension zu "Der Baum des Narren" von Yasar Kemal
„Ich musste [als Wächter in den Reisfeldern] darauf achten, dass die Bauern das Wasser des Flusses nicht stahlen. [...] Ich hatte meine eigene Technik entwickelt. Ich riet ihnen, das Wasser nachts zu stehlen.“, S. 161
In diesem schon etwas älterem Buch erzählt der türkische Autor Yaşar Kemal (der in Wirklichkeit anders hieß, wie wird im Buch verraten) im Gespräch mit dem französischen Dichter Alain Bosquet (beide sind leider inzwischen verstorben: Yaşar Kemal starb 2015, Alain Bosquet 1998) von seinem bewegten Leben und der Geschichte seiner Familie, die turkmenisch-kurdischer Abstammung war.
Anfangs irritierte mich, dass Bosquet Kemal zu Beginn mit einer Reihe von Fragen überschüttete (hier trifft der Reichtum der orientalischen Erzählkunst auf die französische Liebe zu Struktur und Analyse), Kemal jedoch ließ sich nicht davon beeindrucken und folgte geschickt und bilderreich seiner ganz eigenen Erzählschnur. Wie bei seinem Roman „Memed mein Falke“ hat mich der Erzählkünstler Kemal in den Bann gezogen – und seine Lebensgeschichte liest sich auch wie ein Roman. Nur blieben für mich einige wichtige Fragen offen bzw. unberührt, so hätte ich gerne noch mehr über seine Frau und den Grund, aus dem Kemals Vater ermordet wurde, erfahren. Überhaupt hätte ich an der Stelle von Bosquet manchmal gerne andere Fragen gestellt.
Erschüttert und erstaunt hat mich die Brutalität der Kommunistenverfolgung in der Türkei, deren Opfer auch Kemal wurde. Hier zeigt sich wieder, wie wenig ich leider über dieses doch gar nicht ferne Land und seine jüngere Geschichte weiß. Auch hochinteressante Details zu den verschiedenen Einflüssen ferner Zivilisationen, die die heutige Türkei mitgeprägt haben, finden sich in diesem Buch.
Natürlich geht es auch um das Schreiben an sich und darum, wie ein Schriftsteller sein sollte. Hier gehen die Ansichten von Bosquet und Kemal zum Teil sehr weit auseinander, was ihren Austausch für mich sehr spannend und zugleich erfreulich machte, denn stets ist bei ihnen ein freundschaftlicher gegenseitiger Respekt spürbar.
Mich hat dieses Buch, auch wenn ich es stellenweise als sehr lückenhaft empfand, fasziniert und dazu animiert, neben „Memed, mein Falke“ noch viele weitere Bücher von Kemal zu lesen, am besten alle! Was für ein wunderbarer, engagierter Mensch!