Rezension zu "Sturmflirren" von Yasmin Shakarami
Die eigentlich sonst so sichere Rea zweifelt seit einiger Zeit immer stärker an sich. Neuerdings scheint alles schief zu gehen. Und dann muss sie wegen ihres Diplomatenvaters auch noch nach Doha, Katar ziehen. Auf das fremde Land mit ganz anderen Regeln und Wertevorstellungen hat sie gar keine Lust. Doch nach einem holprigen Start muss sie zugeben, dass die schillernde Wüstenstadt sie fasziniert. Und noch mehr fasziniert sie die rebellische Farah, die mit anderen Frauen in der Wüste heimlich Autostunts einübt, und Rea unter ihre Fittiche nimmt. Als sie schließlich bei einer illegalen Wüstenparty dem geheimnisvollen Shabah näherkommt, scheint ihr neues Leben doch gar nicht mehr so übel. Doch Shabah hat ein Geheimnis, und Reas Anwesenheit könnte ihn in große Gefahr bringen.
Yasmin hat es wieder getan. Sie hat mich verzaubert. Und wütend werden lassen (auf die gute Art). Zum Weinen gebracht. Zum Lachen. Und zum Nachdenken.
Sturmflirren wirkt am Anfang noch wie ein "typisches" Jugendbuch. Es herrscht Chaos im Leben der 17-jährigen Rea und sie versucht, sich da durchzumanövrieren. Doch lasst euch nicht davon täuschen, dass es erst sehr jung wirkt. Dieses Buch ist definitiv für jedes Alter was. Als Rea in Katar ankommt, nimmt die Geschichte Fahrt auf, und ab da war ich wirklich gefesselt.
Ich bin beeindruckt, wie Yasmin es schafft, dieses Land, die Stadt und ihre Menschen zu portraitieren. Es gibt die faszinierenden, schillernden, interessanten Aspekte. Die herzlichen, offenen Personen. Und es gibt Engstirnigkeit, Unterdrückung, Unfreiheit, Angst. Und das Spannende ist, dass dieser Zwiespalt, dieser Widerspruch, gar nicht wie einer wirkt. Es geht Hand in Hand, es existiert beides miteinander, und Yasmin fängt beide Seiten wirklich gut ein, z.B. auch in der Person von Amira (auch wenn ich wohl selbst zu wenig Kenntnis des Landes habe, um das wirklich zu beurteilen). Dazu kommt die eindrucksvoll beschriebene Wüstenatmosphäre. Wenn Rea in der Wüste war, an Ausflügen teilnahm, von Sanddünen rollte, dann konnte ich förmlich den Sand zwischen meinen Zähnen knirschen und die Hitze auf meiner Haut fühlen.
Die Liebesgeschichte zwischen Rea und Shabah ist zart und zurückhaltend. Sehnsuchtsvoll und bittersüß. Die beiden haben mich wirklich berührt. Ihr Umgang miteinander, ihre emotionale Nähe, ihre Gespräche (Stichwort andere Universen). Auch wenn mir manches vielleicht zu plötzlich war, ich gern ein paar mehr Momente zwischen ihnen gehabt hätte, bevor das Geheimnis rauskommt, und Reas Umdenken danach sehr schnell war, hab ich beim Weiterlesen gemerkt – genau so musste es kommen, damit das, was danach noch passiert, den Raum bekommt, den es auch bekommen sollte. Und dann waren das andere rückblickend Kleinigkeiten, und ich hab Rea und Shabah nur umso mehr ins Herz geschlossen.
An dieser Stelle auch ein ganz großes Herz an Farah und die Accelerate-Frauen, die mich umgehauen haben, die stark und furchtlos sind. Die für viele aufregende, lustige und eindrucksvolle Momente im Buch sorgen und die ich sehr gefeiert habe. Auch wenn die Autofaszination nicht hundertprozentig meine Welt ist, fand ichs doch interessant, und vor allem habe ich geliebt, wofür all das steht. Was es den Frauen gibt und wie sie dadurch ein Stück Selbstbestimmtheit gewinnen.
Ohne spoilern zu wollen, kann ich nicht zu viel zum Konflikt sagen, der ca. das letzte Drittel des Buches dominiert. Aber das Buch stößt dabei eine ganze Palette an Emotionen an. Vor allem auch Verzweiflung, weil das nichts ausgedachtes ist, sondern Probleme unserer realen Welt. Weil Yasmin den Kampf, die Liebe und die Zweifel so intensiv beschreibt, dass mein Herz ein bisschen wund geworden ist. Es macht aber auch Mut und zeigt, wie viel wir erreichen können, wenn wir zusammenhalten. Wenn wir aufstehen, uns wehren. Gleichzeitig war ich zutiefst bestürzt, weil ich an all die denken musste, die nicht so viele (einflussreiche) Menschen haben, die für sie kämpfen und hinter ihnen stehen. Die dieses Glück im Unglück nicht erleben dürfen. Das hat dafür gesorgt, dass ich das Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge, und ein bisschen Wut im Herzen, zugeklappt habe.
Sturmflirren ist atmosphärische Beschreibungen und berührende Momente. Sturmflirren ist Mut, Liebe, Freiheit, Kampf und weibliche Stärke. Es trifft mitten ins Herz, lässt einen so viel fühlen, und schafft trotzdem, all das mit leichten und humorvollen Momenten und Dialogen auszubalancieren. Ich finde, es braucht mehr Bücher wie dieses. Mehr YA und NA, die auch andere Kulturen, andere Perspektiven einbauen und laut Ungerechtigkeiten anprangern. Die aber gleichzeitig eine schöne Liebesgeschichte sind, an die man sich gern zurückerinnert.
Ein wichtiges und gut geschriebenes Buch. 5 Sterne.