Cover des Buches Die Landkarte der Finsternis (ISBN: 9783548612133)
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Rezension zu Die Landkarte der Finsternis von Yasmina Khadra

Der zerrissene Kontinent

von serendipity3012 vor 7 Jahren

Rezension

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serendipity3012vor 7 Jahren
Der zerrissene Kontinent

Yasmina Khadra ist ein Pseudonym, unter dem der algerische Autor Mohammed Moulessehoul zu schreiben begann, als die Zensur ihn zwang, seine wahre Identität zu verschleiern, da er ein hoher Offizier in der algerischen Armee war. Inzwischen ist das Geheimnis um ihn längst gelüftet und er lebt seit dem Jahr 2000 in Frankreich, jedoch entschied er sich, das Pseudonym, das aus zwei Vornamen seiner Frau besteht, ihr zu Ehren beizubehalten.

In seinem Roman „Die Landkarte der Finsternis“ erzählt er die Geschichte von Kurt Krausmann, der ein gutbürgerliches Leben als Arzt in Frankfurt führt. Als seine Frau, im Roman stets als seine „große Liebe“ betitelt, stirbt, fällt er in ein tiefes Loch und verliert seinen Lebensmut. Sein alter Freund Hans, selbst schon seit längerer Zeit Witwer, überredet ihn, ihn auf seiner Segelyacht in Richtung Komoren zu begleiten. Hans ist oft in Afrika, wo er humanitäre Arbeit leistet. Eines Nachts werden sie überfallen und von Piraten entführt. Eine zermürbende Zeit in den Händen der Entführer beginnt, in der sie immer wieder an andere Orte gebracht werden und schließlich auf den Franzosen Bruno treffen, der seinerseits schon länger in den Händen der Entführer ist. Bruno lebt schon lange in Afrika und liebt das Land sehr – auch seine Situation als Geisel kann daran nichts ändern.

Der Roman erzählt den Teil aus dem Leben Kurts, der den tragischen Tod seiner Frau und dann die Ereignisse in Afrika und deren Auflösung umspannt, in einer nicht nur spannenden, sondern vor allem lehrreichen Art und Weise. Stets stehen sich hier die Figuren und mit ihnen die Sichtweisen, die Einstellungen, die Kulturen gegenüber. Kurt ist in Trauer – und trotzdem geht es ihm besser als denen, die ihn entführt haben und die aggressiv und gewalttätig auftreten, die ihre Machtposition immer wieder aufs Neue demonstrieren. Sie kommen aus der Armut und da sie immer einer Zukunft ohne Perspektiven entgegen sahen, schlossen sie sich einer Art Branche an: Schließlich gibt es in Afrika eine ganze Entführungsindustrie, werden Geiseln von Organisation zu Organisation weiterverkauft, bis sie bei denen angekommen sind, die mächtig genug sind, um die Verhandlungen um Lösegeld zu führen. Die Dialoge zwischen den Entführten und ihren Geiselnehmern sind in der Hinsicht sehr aufschlussreich – auch wenn nicht immer alles authentisch klingen mag. Khadra zeigt eindrücklich, aus welch verschiedenen Welten seine Figuren kommen, macht ihre Positionen deutlich. Eine interessante Figur ist hier der schon seit langer Zeit in Afrika lebende Bruno, der es regelrecht zu bedauern scheint, dass man ihm auf den ersten Blick ansieht, dass er Europäer ist, fühlt er sich doch schon seit langem dem afrikanischen Volk zugehörig und insistiert immer wieder, er kenne die Afrikaner genau, er verstehe sie und ihre Kultur bis ins Kleinste, womit er Kurt manchmal auf die Nerven geht.

Khadra schafft es so, Verbindungen zu ziehen, Kausalitäten zu zeigen, ohne den Entführern, die bei aller durchaus vorhandener Menschlichkeit letztendlich doch schlicht und einfach Verbrecher bleiben, zu viel Verständnis und Empathie entgegenzubringen – diese Gratwanderung gelingt ihm gut. Seine Einteilung der Figuren ist für den Leser stets sichtbar, ein bisschen scheint das Schema durchzuscheinen, an dem er sich abgearbeitet hat, was aber leicht zu verzeihen ist, da „Die Landkarte der Finsternis“ sich sehr lebendig und spannend liest. Khadras Sprache ist dabei mal schlicht und einfach, mal bildreich, nicht immer liest sich das ganz glatt.

So bewegt sich die Geschichte ständig zwischen zwei Polen und schafft es, uns den afrikanischen Kontinent und seine Menschen ein Stück näher zu bringen. Menschen, die viel weniger haben als wir, die, auch wenn ihnen Schlimmes widerfährt, positiv in die Zukunft blicken. Das klingt banal und ein wenig wie ein Klischee, dennoch kann es nicht schaden, sich gelegentlich vor Augen zu führen, wie gut wir es haben, was man im stressigen Alltag gern vergisst. Daran erinnert der Roman.

So stellt sich am Ende die Frage, was auf der titelgebenden „Landkarte der Finsternis“ wohl zu sehen sein mag – bei aller Not, Armut und der Gewalt, die den Protagonisten in Khadras Geschichte widerfährt, wäre es zu einfach, dem afrikanischen Kontinent das Attribut finster so einfach und undifferenziert zuzuschreiben. In dem informativen Roman des algerischen Autors lernen wir, dass Afrika viele Seiten hat, die man erkennt, wenn man sich die Mühe macht, genauer hinzusehen. Auch wenn es sprachlich an einigen Stellen ein wenig holpert und die Figuren noch etwas differenzierter hätten charakterisiert werden können, lohnt sich die Lektüre des Romans.

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