Rezension zu "Meine Flucht aus Nordkorea" von Yeonmi Park
Was einem beim Lesen bewusst sein muss
Berichte von Nordkorea-Flüchtlingen faszinieren mich. Leider muss man sie mit Vorsicht geniessen, wie etwa den Bericht «Flucht aus Lager 14», bei welchem sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass einige Angaben nicht ganz der Wahrheit entsprechen (siehe online Spiegel-Artikel vom 19.01.2015). Es ist ja verständlich – dramatische Berichte bringen den Flüchtigen (welche meist keine gute wirtschaftliche Perspektive haben) Geld. Teilweise fehlt auch die Reflektion, was ebenfalls verständlich ist, diese Leute kennen ja oftmals nichts Anderes und/oder sind traumatisiert, erzählen vielleicht aus Selbstschutz nicht die ganze Story. So viel muss man sich bewusst sein. Yeonmi selbst geht im letzten Drittel auf solche Phänomene ein.
Zur Autorin
Ich kannte Yeonmi zuvor als Youtuberin (wo sie über ihre Erfahrungen wie auch ihre Weltanschauungen berichtet) und wollte mich vertiefter mit ihrer Lebensgeschichte befassen. Sie hat etwas auf dem Kasten und kann sich eloquent ausdrücken (das kann sie durchaus auch ohne die Co-Autorin dieses Buchs, Maryanne Vollers). Yeonmi und ihre Meinungen werden auch kritisch diskutiert: Sie ist Anhängerin von einigen libertären und anti-«woke» Ideologien der USA. Darüber möchte ich hier kein Werturteil abgeben und die Entwicklung ihrer politischen Ansichten wird auch nicht explizit im Buch diskutiert – ABER dieses Wissen macht die Lektüre umso interessanter. Man merkt, dass Yeonmi so negativ geprägt wurde von der alles-überschattenden Diktatur, dass nun ihr inneres Pendel stark in die andere Richtung schwingt.
Einserseits ist Yeonmi mit dreizehn alt genug geflüchtet, um alles bewusst miterlebt zu haben, aber jung genug, sich gut in die Gesellschaft der südlichen Seite der Grenze einzufügen und dort sogar zu glänzen. Deshalb ist sie die ideale Botschafterin, das Erlebte für Westler wie mich verständlich zu übermitteln.
zum Buch
Leider empfinde ich gerade im ersten Drittel des Buchs (Yeonmis Kindheit in Nordkorea), dass Dramatik zumindest teilweise höher gewichtet wurde als sachliches Schildern. Bitte nicht falsch verstehen. Der Hunger, die Unterdrückung, die Diktatorenverehrung etc. sind Fakt. Was ich sagen möchte, ist dass man sich übertriebene Aussagen wie «in Nordkorea gibt es keine wahre Liebe ausser die zum Diktator» hätte sparen, und stattdessen die Fakten für sich hätte sprechen lassen können. Yeonmi selbst gibt genügend Beispiele z.B. von Eltern, die bereit sind, für ihre Kinder zu sterben. Was ist denn das, wenn nicht wahre Liebe.
Apropos Fakten: Das Buch ist keine Gutenachtgeschichte. Gerade im mittleren Drittel (Flucht und Zeit in China), ekelte es mich beim Lesen schlichtweg vor den vorkommenden Figuren. Allesamt Vergewaltiger und Versklaver. Hier kann man auch «schön» beobachten, wie ein «Kreislauf der Gewalt» entsteht – die versklavten Frauen werden teilweise selbst zu Menschenhändlerinnen, weil sie einerseits abstumpfen, andererseits alles tun, um zu überleben, und einfach nichts anderes mehr kennen.
Erst im letzten Drittel (Zeit in Südkorea und auf Reisen) kehrt der Glaube in die Menschheit in mich als Beobachterin langsam wieder zurück, auch wenn das Leben in Südkorea für Yeonmi als traumatisierte Aussenseiterin immer noch schwer ist.
Besonders interessant waren für mich nebst Yeonmis Lebensweg die Schilderungen des Alltagslebens. Wie man sich beispielweise als Familie im Winter um den Küchenofen herum direkt auf den Boden legt, um von der traditionellen Bodenheizung etwas abzubekommen. Dass die Bevölkerung ihren eigenen Kot sammeln und abliefern muss, damit er als Düngemittel verwendet werden kann. Wie man sich Narkosemittel selbst auf dem Schwarzmarkt besorgen muss, um sie dem Krankenhauspersonal für eine OP zu übergeben. Oder welche überragende kulturelle Rolle die Hauptstadt Pjöngjang einnimmt und wie sehr sich das Leben der Stadtbewohner von dem der Landbewohner unterscheidet.