Bist du sicher, dass dich niemand überwacht? Dich permanent beobachtet? Alle Schritte? Jeden Atemzug? Auch das, was du lieber verbergen möchtest?
Die Möglichkeiten der Überwachung sind unauffällig und groß. Das weiß niemand besser als der Außenseiter Siv, der sich das Infiltrieren von Telefonen selbst beibrachte. Eine geheim operierende Firma wirbt ihn an und bringt Wendung in sein einsames Leben. Es lockt ihn gutes Geld, Reisen und er rechnet sich Chancen aus bei einer wunderschönen Kollegin. Sie datet ihn sogar, doch wie andere Frauen schaut sie durch ihn hindurch. Auch Männer meiden seine Nähe, Siv versteht die Regeln nicht.
Aber als Hacker ist er brillant. Niemand anderes schafft es so schnell, sich in die Privatsphäre anderer einzuloggen, was zu immer aufregenderen und zweifelhafteren Aufträgen führt. Auch privat greift Siv nach der Macht, die ihm das Hacken bietet, bis Kontrolle und Grenzen fallen und er selbst in Gefahr gerät.
Ein Krimi, aufregend, soghaft, selten geht es mir so, dass ich am Text festklebe, so dass ich Verabredungen verpasse, zu spät ins Theater komme und bis tief in die Nacht weiterlese, obwohl ich todmüde bin. Es mag am Genre liegen und mit Sicherheit daran, wie Sarid Figuren aufbaut, einsame Figuren, die eigentlich nicht Sympathieträger sind, die in ihrem Hunger nach Bedeutung und Zugehörigkeit nahe kommen, um dann in unmoralische Konstellationen zu geraten. Auch Schwachstellen landet bei Fragen der Moral und lässt über gesellschaftliche Konfliktthemen nachdenken.
Yishai Sarid
Lebenslauf
Eine andere Sichtweise: Yishai Sarid, geboren 1955 in Tel-Aviv-Jaffa, ist ein israelischer Schriftsteller und Jurist. Bevor er in Harvard Jura studierte arbeitete er zunächst als Offizier im israelischen Armee-Nachrichtendienst. Nach seinem Abschluss wurde er Rechtsanwalt. Im Jahr 2000 gab er dann sein Debüt als Autor mit seinem ersten Roman. In seinen Werken behandelt er vor Allem die Thematik des Holocausts in Israel. Aus diesem Grund wurden zahlreiche seiner Romane schon in Deutschland als Hörspiel umgesetzt. Für seine Werke wurde er mit dem Grand prix de Litterature poiliciere, in der Kategorie International ausgezeichnet. Der Autor lebt und arbeitet heute in Tel Aviv.
Alle Bücher von Yishai Sarid
Monster
Siegerin
Limassol
Schwachstellen
Alles andere als ein Kinderspiel
Limassol: Politthriller
Schwachstellen
Limassol
Videos zum Autor
Neue Rezensionen zu Yishai Sarid
»Sehr geehrter Herr Direktor von Yad Vashem, dies hier ist der Bericht über das, was dort vorgefallen ist. Mir wurde mitgeteilt, dass sie einen solchen erwarten, und ich möchte ihn auch erstatten.« |5
Um Aufrichtigkeit bemüht erzählt ein israelischer Holocaustforscher und Lagertourguide auf eine Eskalation zu. Er holt weit aus, rekapituliert seinen Werdegang mit Aufstieg und Fall. Es führt ihn zu Fragen der Moral, der Erinnerung und des Gedenkens, zu Identifikationen und Zuschreibungen, zu Opfer- und Täterrollen, zu ihrer Wirkung bis in die Gegenwart hinein. Wut, Ohnmacht und Brutalität brechen seinen emotional-distanziert wissenschaftlichen Selbstschutz. Die Zusammenarbeit mit einem deutschen Regisseur führt zu einer radikalen Wendung, die seinen Bericht an den Direktor von Yad Vashem erforderlich macht.
In wenigen Seiten gelingt es Sarid, eine kammerspielartige Intensität aufzubauen. Die moralischen Konflikte seiner Figur spitzt er so zu, dass es kaum möglich ist, sich den aufgeworfenen Fragen und ausgearbeiteten Widersprüchen zu entziehen. Wie geht aufrichtiges Erinnern? Welche Botschaften sind möglich und wie kommen sie bei den Nachkommen an? Wie ist es mit Universalität, mit Universalismus? Was macht Nähe und Distanz zur Shoah mit der jüdisch-israelischen Figur? Wie wirkt eine Identifikation mit den Opfern oder eine Abwehr von Opferrollen, eine Identifikation, Bewunderung oder Abscheu von Tätern, eine Zuwendung zum Militärischen? Wie die eigenen Kinder erziehen? Wie leben mit detailliertem Wissen um die Gewalt der Vergangenheit, die die Figur für ihren Sohn als Monster der Erinnerung benennt?
»"Was arbeitest du denn Papa?", fragte er. "Er erzählt ihnen, was passiert ist", half Ruth mir aus. "Was ist passiert?" Ido sah mich besorgt von unten an. "Es gab mal ein Monster, das Menschen getötet hat" , antwortete ich. "Und du bekämpft es?“, fragte Ido begeistert." Es ist schon tot", versuchte ich ihm zu erklären, "es ist ein Monster der Erinnerung".« |77
Die ganze Lektüre hindurch fragte ich mich, was es verändert, »Monster« in der deutschen Übersetzung durch eine deutsche Perspektive zu lesen und ob es überhaupt passend ist. Ich habe keine Antwort darauf und hätte gern Sarids Gedanken dazu erfahren.
Rezension zu "Schwachstellen" von Yishai Sarid
„Der Mensch muss verstehen, dass das, was er hinter verschlossener Tür tut, für alle einsehbar ist. Sogar das, was er im Kopf hat […]. Er ist selber schuld, wenn er nicht merkt, dass die Zeiten sich geändert haben“ (S.265).
Zwei Monate vor seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst wird der 23-jährige Siv von einem Unternehmen angeworben, das sich das ambitionierte Ziel gesetzt hat, den besten privaten technologischen Nachrichtendienst der Welt zu etablieren. Unter der Leitung von Bulka, einem ehemaligen Geheimdienstoffizier der israelischen Armee, übernimmt Siv die Rolle eines sogenannten „Schwachstellenentdeckers“. Seine primäre Aufgabe besteht zunächst darin, Sicherheitslücken in Computer- und Telefonnetzen aufzudecken – vermeintlich zum Schutz der Demokratie im Kampf gegen Terrorismus, Pädophilie, Drogen- und Menschenhandel.
In der festen Überzeugung, auf der Seite der Gerechtigkeit und des Guten zu stehen, avanciert Siv in Windeseile zu einem begehrten Experten und intelligenten Ausnahmetalent auf seinem Gebiet. Er wird zu hochbrisanten Auslandseinsätzen entsandt und verliert zunehmend seinen moralischen Kompass. Siv bleibt über einen erheblichen Zeitraum hinweg blind für das komplexe Geflecht aus moralischer Skrupellosigkeit, manipulativer Überwachungsmaschinerie sowie den grausamen Machenschaften, an denen er mitwirkt – einem System, in dem die Auftraggeber in den autokratischen und diktatorischen Staaten ihre Zielpersonen nicht nur inhaftieren, sondern auch foltern und letztendlich hinrichten. Zugleich intensiviert Siv die Nutzung der ihm zur Verfügung stehenden technologischen Mittel für private Zwecke …
„Ich bin nicht schuld, sagte ich mir, bin nur eine kleine Figur in einem großen Spiel, dessen Regeln andere bestimmt haben. Mich interessiert nicht, wer gewinnt und wer verliert“ (S.152).
Mit „Schwachstellen“ hat Yishai Sarid erneut ein literarisches Psychogramm und eine Charakterstudie über einen tragischen Antihelden vorgelegt. Dieser fungiert wahrlich nicht als Sympathieträger und ruft ambivalente Gefühle hervor. In meiner Interpretation zielt Sarid dabei weniger auf die moralische Verurteilung oder Entschuldigung seines Protagonisten ab, sondern eher auf eine möglichst wertfreie Sensibilisierung für die Ursachen und Prägungen, durch die sich die Blindheit eines jungen Menschen wie Siv für moralische Abgründe, sein fehlendes Reflexionsvermögen, seine Anfälligkeit für Lob, Anerkennung und Instrumentalisierung, das schnelle Verlieben in unerreichbare Frauen, das Streben nach Macht sowie hinsichtlich des Wertes der Arbeit als vermeintlich sinnstiftender Kompensationsstrategie und Indikator zur individuellen Selbstdefinition erklären lassen (könnten).
In diesem Kontext lernen wir Siv als einen äußerst einsamen Menschen kennen, der in der Schule gemobbt wurde, kaum zwischenmenschliche Beziehungen pflegte und in einem zerrütteten Elternhaus aufgewachsen ist, welches von fehlender Liebe und Aufmerksamkeit geprägt war. Auch in der Gegenwart dauert die Umkehr der Eltern-Kind-Rolle fort, und auf Siv lasten weiterhin die elterlichen Schulzuschreibungen am Absturz seiner jüngeren Schwester in die Drogensucht wegen eines traumatischen Erlebnisses in der Kindheit.
Wollte ich Kritikpunkte anfügen, dann würden sich diese auf eine gewisse Eindimensionalität der weiblichen Figurenzeichnung sowie partiell leichte „Narrationsabhackungen“ beziehen. Doch insgesamt überwiegt ein positiver Gesamteindruck. „Schwachstellen" ist nicht nur ein spannender Roman zwischen Coming-of-Age, Gesellschaftskritik, literarischem Psychogramm und Politthriller über Spionage, Geheimdienste, Überwachung, Hacking, moralische Verwerfungen, ethische Grundsätze und menschliche „Schwachstellen“, sondern integriert gleichsam eine Kritik an Rassismus und Homophobie und zwingt letztendlich auch zur allegorischen Reflexion darüber, inwiefern die sozialen Medien eine moderne Art der Spionage ermöglichen und inwiefern jede*r einzelne von uns (möglicherweise) dabei mitwirkt.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
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