Cover des Buches Liebe am Papierrand (ISBN: 9783746631233)
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Rezension zu Liebe am Papierrand von Yoko Ogawa

Ein wunderbar sanfter Roman zum Träumen und Wohlfühlen

von Svenjas_BookChallenges vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Ein sanfter Roman über die Vergänglichkeit der Liebe

Rezension

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Svenjas_BookChallengesvor 8 Jahren
Der nebulöse Klappentext hat mich wirklich neugierig auf Liebe am Papierrand gemacht und außerdem habe ich vorher noch nie etwas von einer japanischen Schriftstellerin gelesen. Deswegwen bin ich völlig vorbehaltlos an das Buch herangegangen und wurde überrascht. Ich hatte eine leichte Liebesgeschichte, eventuell mit fantastischen Elementen, erwartet, aber das istLiebe am Papierrand ganz und gar nicht. Vielmehr geht es um die Psyche, darum, wie die eigene Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst und wie man sie richtig verarbeitet und deutet.
Ogawas Protagonistin ist eine junge Frau, über die man als Leser nicht viel mehr erfährt, als dass sich ihr Mann gerade von ihr getrennt hat und dass sie einmysteriöses Ohrenleiden hat. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive der jungen Frau. Dennoch ist man ihr nicht wirklich nahe, da weder ihr Name noch ihr Alter noch der Ort oder die Zeit der Handlung aufgedeckt werden. Normalerweise stört mich das bei einem Roman, weil es das Ganze so anonym und körperlos macht. BeiLiebe am Papierrand wirkte dieses Verfahren aber nicht fehl am Platz, sondern im Gegenteil genau richtig. Es erzeugt eine Art Allgemeingültigkeit und sorgt auch dafür, dass die Geschichte mysteriöser und nebulöser wirkt, als sie tatsächlich ist.
Die junge Frau wird praktisch zu einem Symbolbild, mit dem man sich genau deshalb identifizieren kann, weil sie gesichts- und körperlos ist - sie könnte praktisch jeder sein. Da auch der Ort und die Zeit nicht genannt werden, kann die Geschichte sozusagen überall spielen und daher auch die eigene sein. Die einzigen Namen, die man erfährt, sind der ihres Neffen Hiro und der des Stenographen. Interessant ist allerdings, dass der Stenograph stets nur "Y" genannt wird und es nicht klar ist, ob er tatsächlich so heißt oder die junge Frau ihn einfach in Ermangelung eines anderen Namens so nennt.
Ys Wesen ist jedenfalls genauso mysteriös wie sein Name. Auch über ihn erfährt man wenig - alles, was man wissen muss, ist, dass er ein sehr fähiger Stenograph ist und dass er der jungen Frau dabei hilft, ihre mysteriösen und störenden Ohrgeräusche zu deuten und ihnen auf den Grund zu gehen. Dabei kommen sich die beiden näher, aber das spürt man als Leser eher unterschwellig. Es ist eine sehr zarte, irgendwie zerbrechliche Liebe, die von Anfang an endlich ist. Das symbolisieren die Blätter des Stenographen, die umso weniger werden, desto öfter sich Y und die junge Frau treffen. Hin und wieder hat man das Gefühl, dass Y gar nicht wirklich existiert, sondern eher so eine Art Fantasiefreund ist, der der jungen Frau durch eine schwere Zeit hilft. Auch manche Orte scheinen aufzutauchen und wieder zu verschwinden, mal stolpert man über sie, mal findet man sie nicht wieder. Das hat mir beim Lesen irgendwie gefallen, denn das lässt die Handlung doch etwas fantastisch wirken und verleiht ihr gleichzeitig eine gewisse Ruhe.
Ogawas Schreibstil passt sehr gut zur nebulösen, aber ruhigen Handlung.Sie erzeugt mit ihrer Sprache Bilder, die einen träumen lassen, zum Beispiel von einem bitterkalten Tag im Winter, an dem der weich fallende Schnee alle Geräusche verschluckt und eine gespenstische Stille über die Stadt legt. Irgendwie treibt man beim Lesen von Seite zu Seite, was mir sehr gut gefallen hat. Trotzdem hätte ich mir hier und da vielleicht ein bisschen mehr Action und auch ein wenig mehr Aufklärung gewünscht. Obwohl die Ungewissheit und die Geheimnisse sowie die offenen Fragen natürlich auch ihren Reiz haben und den Roman zweifelsohne zu etwas ganz Besonderem machen.
Fazit:
Liebe am Papierrand von Yoko Ogawa ist nicht wie erwartet eine schnulzige Liebesgeschichte, sondern ein ungewöhnlich zarter Roman darüber, wie man mit seiner Vergangenheit fertig wird und wie man sie (bewusst und unterbewusst) verarbeitet. Die Handlung ist sehr rätselhaft und nebulös, hat mir aber im Großen und Ganzen sehr gut gefallen. Ich mochte es, dass die Protagonistin nicht näher beschrieben wird, denn so konnte ich sie mir ganz nach meinen Vorstellungen ausmalen. Ich konnte mich während des Lesens einfach treiben lassen, denn der Roman hat irgendwie eine gewisse Ruhe auf mich ausgestrahlt. Hier und da hätteich etwas mehr Informationen zwar begrüßt, aber insgesamt mochte ich es, dass man über vieles im Dunkeln gelassen wird. Liebe am Papierrand ist eine ganz außergewöhnliche Liebesgeschichte und daher möchte ich dem Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar danken.
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