Hätte ich Der Ort, an dem die Reise endet direkt in seinem Erscheinungsjahr 2016 gelesen, so hätte ich niemals zu Yvonne Adhiambo Owuors zweitem Roman Das Meer der Libellen gegriffen. Denn alles, was ich ihrem Folgeroman so gemocht habe – die Nähe zu den Figuren, eine besondere Atmosphäre beim Lesen, eine gute Verflechtung der Story mit politischen und historischen Bezügen – geht dem Debüt leider so gänzlich ab: Nicht greifbare Figuren, die auch nach fast 500 Seiten Fremde bleiben; eine Story, die ich nur in Grundzügen verstanden habe; Andeutungen zur Unabhängigkeitsbewegung Kenias und zur jüngsten Entwicklung der Nation, die ich trotz Wikipedia und Glossar nicht enträtseln konnte. Kurzum: Eine Lektüre, die mir leider gar nicht zugesagt hat.
Was gibt es also noch zu sagen? Vielleicht der Versuch einer Plotskizzierung: Der junge Odidi Oganda wird in den Straßen Nairobis erschossen. Seine Schwester Ajany kehrt deswegen aus Brasilien und überführt den Leichnam gemeinsam mit ihrem Vater Nyipir in den Norden des Landes. Dort wartet die Mutter Akai, die vor Schmerz über den Tod ihres Sohnes zusammenbricht und in die Wüste flüchtet. Dafür taucht ein Engländer namens Isaiah Bolton auf, der mit Odidi in Kontakt war, um mehr über seinen Vater Hugh Bolton zu erfahren, der in Ajanys Elternhaus für sie nicht erklärbare Spuren hinterlassen hat.
In den wenigen starken Momenten ist Der Ort, an dem die Reise endet eine Familiengeschichte, die eng mit der jüngeren Geschichte Kenias verbunden ist. Es geht um Schuld, die die Elterngeneration während der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung angehäuft hat – sei es, weil sie auf der Seite der Kolonialisten, der Befreier oder irgendwo dazwischenstanden. Um das zähe Schweigen, das sich danach über die junge Nation legte und noch heute für Korruption, Misswirtschaft und eine Politik sorgt, die nur ihr eigenes Interesse im Blick hat und nicht das der Bevölkerung. Und es geht um Kinder, die von alldem nichts wissen, jedoch eine Schwere in sich spüren und an ihrer Familie, ihrem Land und ihrem Schicksal bisweilen verzweifeln.
Dies ist, was ich glaube, verstanden zu haben. Yvonne Adhiambo Oquor schreibt sehr verhüllend und kreiert Sprachbilder, die zwar einmalig und durchaus poetisch sind, jedoch nicht weniger sperrig. Hinzu kommt eine Fülle von Sätzen und Ausdrücken in Swahili, die leider in dem umfangreichen Glossar nicht übersetzt werden, sodass kurze Passagen unverständlich bleiben bzw. nur über Umwege erschlossen werden. Es ist maßgeblich dieser Stil, der die Distanz zu den Figuren kontinuierlich aufrechthält und der einen bei den geschilderten politischen Verhältnissen damals wie heute im Dunkel tappen lässt.
Vielleicht ist Der Ort, an dem die Reise endet einfach kein Buch für westliche Leser:innen. Dies gilt es zu akzeptieren und es reicht sicherlich völlig, wenn der Roman von Menschen mit ostafrikanischen Wurzeln gelesen und entschlüsselt werden kann. Meine Bewertung kann dann als nichtig betrachtet werden. Für mich persönlich bleibt der Roman jedoch als besonders zähe und unbefriedigende Lektüre im Gedächtnis, durch die ich mich den Großteil der Zeit gequält habe. 2 Sterne.