Auf der Suche nach der Wahrheit...
London 1873. Mrs. Eliza Touchet ist die schottische Haushälterin und angeheiratete Cousine des einstmals erfolgreichen Schriftstellers William Ainsworth. Eliza ist aufgeweckt und kritisch. Sie zweifelt daran, dass Ainsworth Talent hat. Und sie fürchtet, dass England ein Land der Fassaden ist, in dem nichts so ist, wie es scheint.
Mit ihrer Schwägerin besucht sie die Gerichtsverhandlungen des Tichborne-Falls, in der ein ungehobelter Mann behauptet, der seit zehn Jahren verschollene Sohn der reichen Lady Tichborne zu sein. Andrew Bogle, ehemaliger Sklave aus Jamaika, ist einer der Hauptzeugen des Prozesses. Eliza und Bogle kommen ins Gespräch und der Wahrheit näher. Doch wessen Wahrheit zählt?
Basierend auf realen historischen Ereignissen ist „Betrug“ ein schillernder Roman über Wahrheit und Fiktion, Jamaika und Großbritannien, Betrug und Authentizität und das Geheimnis des Andersseins. (Quelle: Inhaltsangabe – KiWi-Verlag)
BETRUG ist der neue Roman von Autorin Zadie Smith und gleichzeitig mein erstes Buch von ihr. Hier geht es zurück ins 19. Jahrhundert und zu einer Gerichtsverhandlung, die damals für großes Aufsehen sorgte: Der Tichborne-Fall.
Die Hauptfigur hier ist jedoch Mrs. Eliza Touchet, die nach dem Tod von Ehemann und Sohn eine Stelle als Haushälterin bei ihrem angeheirateten Cousin, dem Schriftsteller William Ainsworth annimmt, um dessen Familie zu unterstützen. Nach vielen Jahren und einigen Veränderungen in Ainsworths Leben ist Eliza immer noch an dessen Seite und hat sich ihre eigene Meinung zu vielen Dingen gebildet. Zusammen mit ihrer jungen Schwägerin wird sie schließlich auf den Tichborne-Fall aufmerksam, der in jenen Tagen die Zeitungen beherrscht: Ein Mann behauptet, der seit zehn Jahren verschollene und todgeglaubte Sir Roger Tichborne zu sein – der Sohn und einziger Erbe von Lady Tichborne. Doch es gibt viele Ungereimtheiten. Eliza und Sarah, die nicht immer einer Meinung sind, besuchen die Gerichtverhandlungen, die immer größere Ausmaße annehmen. Später kommt Eliza mit Andrew Bogle ins Gespräch – er ist der Hauptzeuge in dem Verfahren und hat eine ganz eigene Geschichte…
Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass der Roman einen außergewöhnlichen Schreibstil hat – zunächst gewöhnungsbedürftig, doch schon bald wird deutlich, dass genau jene Erzählweise sehr gut dem ganzen Roman passt. Zunächst lernen wir Eliza Touchet kennen und erfahren einiges über ihr Leben - auch wie sie schließlich die Haushälterin ihres Cousins wurde. Auch in das Leben des Autors William Ainsworth gibt es einen detaillierten Einblick, u.a. in seine Treffen mit anderen Literaten, zu denen auch Charles Dickens gehörte.
Die Handlung wechselt oft zwischen den aktuellen Geschehnissen, die in den 1860er- und 1870er Jahren angesiedelt sind, und der Vergangenheit, die einige Jahrzehnte zurückreicht.
So setzt sich nach und nach die Lebensgeschichte von Eliza, die es alles andere als einfach hatte, zusammen.
In der ersten Hälfte wird der Tichborne-Fall nur am Rande erwähnt, erst später wird er ein zentrales Thema des Romans – gerade hier wird es sehr fesselnd. Auch Andrew Bogle, der jahrelang als Kammerdiener für die Tichbornes tätig war, rückt in den Fokus – und mit ihm seine Lebensgeschichte, die als Sklave in Jamaika begann.
„Mein Leben besteht aus mehreren Teilen“, erzählte Bogle. „Es fällt mir schwer zu sagen, wie viele Leben ich gelebt habe und wo meine Geschichte wahrhaft beginnt. Eins weiß ich aber genau: Meine Geschichte verlief nicht so, wie sie hätte verlaufen sollen.“ – Seite 312, eBook
Der Tichborne-Fall ist zunächst sehr undurchsichtig mit verschiedensten Namen, Anwesen und Erben. Erst nach und nach, durch Bogles Geschichte kommt Licht ins Dunkel. Schließlich setzt sich ein Gesamtbild zusammen und offenbart einiges…
„Mr. Bogle war das ruhige Auge im Zentrum des Sturms aus Aberwitz. (…) Die Vergangenheit wurde am Beispiel der Gegenwart umgestaltet. Die Gegenwart mit Blick auf die Zukunft – und den eigenen Vorteil – frisiert. Bogles Geschichte hingegen veränderte sich nie.“ – Seite 301
Zunächst war für mich die Figur Eliza Touchet nicht ganz greifbar, was wahrscheinlich an dem Schreibstil lag. Auch, dass die Rückblicke in die Vergangenheit nicht immer chronologisch sind, hat es nicht einfacher gemacht. Erst als sie Andrew Bogle und dessen Sohn Henry begegnet, war sie besser zu verstehen. Auch, nach was sie im Leben strebt und das dieses auch später noch einige Überraschungen bereithält, wird deutlich und ist gut zu verfolgen.
„(…) Ja, da überließ sie sich sogar dem Genuss, an Zufälle zu glauben – jene Löcher im Gewebe, durch die sich ein Blick auf das Gewirk der Ewigkeit erhaschen ließ -, und nahm es als Zeichen der Vorsehung, dass sie sich auf dem richtigen Weg befand.“ – Seite 237, eBook
Zadie Smith hat hier gekonnt und historische Persönlichkeiten, Fakten und natürlich auch den Tichborne-Fall mit fiktiven Einzelheiten verwoben.
Insgesamt – und nach etwas Einlesezeit- hat mir der Roman mit seinem außergewöhnlichen Stil gut gefallen – manche Themen sind nicht immer einfach und durchleuchten die dunkle Vergangenheit und einen Kampf um Gerechtigkeit. Dazu geht es noch um Wahrheit und Betrug, Schein und Sein und der Wunsch nach Freiheit. Sehr spannend zu verfolgen ist der Tichborne-Fall. Ebenso lesenswert und informativ ist das Nachwort.
Mein Fazit: Ein gelungener Roman, der auf außergewöhnliche Weise den Tichborne-Fall beleuchtet. Angesiedelt im 19. Jahrhundert und mit einem besonderen Schreibstil hat Zadie Smith hier gekonnt historische Fakten und Persönlichkeiten, sowie fiktionale Momente zu einem spannenden Roman verwoben. Anfangs hat es etwas gedauert, bis ich mich in der Geschichte zurechtgefunden habe, doch im Laufe der Handlung wird es sehr interessant und spannend. Eine Leseempfehlung.