Cover des Buches Samy (ISBN: 9783839222546)
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Rezension zu Samy von Zdenka Becker

Rezension: Samy

von killmonotony vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Unangenehm, bedrückend und leider immer noch Realität.

Rezension

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killmonotonyvor 6 Jahren
In Zdenka Beckers Roman "Samy" lernen wir den zu Beginn kleinen Samy kennen und mit ihm seine Familie. Seine Mutter Olga wuchs zusammen mit ihrer besten Freundin Viera in der Slowakei auf: beide Mädchen verband stets eine tiefe Freundschaft, was sich aber in einigen Jahren ändern sollte, als Vieras Söhne zu Neonazis herangewachsen sind und Olgas Sohn, der mit seiner Hautfarbe nicht ins Bild der Gemeinde passt, penetrant diskriminieren und zusammenschlagen. Samys Vater ist ein österreichischer Arzt, der gebürtiger Inder ist, und Samy wächst so ohne einen richtigen Sinn für Identität auf. Wer ist er? Österreicher? Inder? Oder Slovake? Womit kann er sich identifizieren?

Dadurch, dass Olga ihm nur häppchenweise die Wahrheit erklärt, dass ihre Eltern seinen Vater genausowenig akzeptieren würden wie sie ihn akzeptieren - nämlich zunächst gar nicht. Samy wächst in einem schwierigen Umfeld heran: Mobbing und Prügel in der Schule, daheim eine Mutter, deren Erziehung inkonsequenter kaum sein könnte, und dann noch Großeltern, die bereits bei Samys Geburt gesagt haben, dass Olga nicht länger ihre Tochter ist - also Samy von Grund auf nicht akzeptieren. Bei den seltenen Besuchen wird Samy anfangs vom Großvater völlig ignoriert; er wächst aus diesen Verhältnissen zu einem depressiven, missmutigen Jugendlichen heran, der sich für nichts begeistern kann und weder Arbeit noch Hobbys hat. Olgas bescheidene Versuche, ihren Sohn zu erreichen, scheitern kläglich. Und am Ende geschieht das, was geschehen musste.

"Der Papa wird es nicht überleben, eine solche Schande, seine einzige gesunde Tochter ist eine ledige Mutter und noch dazu mit einem schwarzen Kind. Es wird ihm das Herz brechen. Er wird sicher bald sterben, und du allein bist dafür verantwortlich."

Ein bedrückender Roman mit einer seltsamen Grundstimmung. Olgas Eltern und auch die gesamte Umgebung wirkt rückständig, scheint Rassismus doch an der Tagesordnung zu sein. Aber so ist es leider in der Realität noch immer. Die sozialistische Ideologie in Bratislava macht es Olga schwer, mit ihrem Sohn akzeptiert zu werden. Stets ist sie die Verstoßene, über sie wird getuschelt und getratscht. Dass sie einen Mann aus dem Westen liebt - undenkbar.

Zdenka Becker zeichnet hier ein trauriges Familienportrait, das sich so oder so ähnlich garantiert schon irgendwo auf der Welt abgespielt hat, so traurig es ist. Man findet gut in die Geschichte hinein, doch etwas fehlt mir - der Punkt der Identifikation. Mit keinem der Charaktere konnte ich mich identifizieren, es war stets ein "von oben Zuschauen". Manche Passagen kamen mir seltsam vor, wenn in wörtlicher Rede ausschweifige Phrasen verwendet wurden, die so kein Mensch sagen würde - so gab es auch eine Stelle, wo der noch junge Samy mit seinen vielleicht acht Jahren Sätze sagt, die völlig unglaubwürdig erscheinen.

"[...] ich finde es sehr traurig, dass alle, sogar deine Kinder, Samys Hautfarbe mehr interessiert als das, was ihn tatsächlich ausmacht. [...] Hast du ihnen einmal gesagt, dass ein Mensch ein Mensch ist, egal, wie er aussieht?"

Fazit: "Samy" war einfach nicht mein Buch. Natürlich, die aufgegriffenen Themen sind immer noch aktuell und immens wichtig, aber mir hat die Erzählweise nicht hundertprozentig zugesagt, es war auch mehr ein "Erzählen statt Zeigen". Große Emotionen wurden erklärt, statt die Charaktere sie einfach ausleben zu lassen. Vielleicht lag es auch nur am Zeitpunkt meiner Lektüre, für manche Bücher braucht man als Leser den Moment, wo alles passt und man sich voll auf ein Buch einlassen kann. Das war bei "Samy" leider nicht der Fall. Ich hatte das Gefühl, dass Zdenka Becker hier nur an der Oberfläche kratzt, sehr gern hätte ich mehr aus Samys Gefühlswelt erfahren.
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