Rezension zu "Die Wanderbühne" von Zoran Feric
Kroatien ist ein Land mit viel Kriegserfahrung. Keine Generation in den letzten 100 Jahren ist ohne Rangeleien um Land, Grenzen und Ehre aufgewachsen. Mal gehörte man zu Österreich, mal zu Italien, ein anderes Mal standen die Osmanen vor der Tür. So lassen sich die Ex-Jugoslawen instrumentalisieren und mischen, teilweise kräftig mit, im großen Spiel um Religion, Identität und wer der Beste und Tollste ist. Ich gendere hier ganz bewusst nicht. Denn Frauen haben nicht viel zu kamellen, wie man bei uns im Rheinland sagt. Deshalb spielen sie, in diesem Familien Roman auch nur eine emotionale Rolle, bringen Männer manchmal dazu Dieses zu tun und Jenes zu lassen und werden in der Regel nicht wirklich ernst genommen. Das ist zum Teil heute noch so, da ändert auch die ehemalige Regierungschefin nichts dran.
Zoran Ferić hat die Geschichte Kroatiens, mit ihrer ganzen Brutalität und dem ewigen „Hin und Her“ mit seiner Familiengeschichte verknüpft.
Sie beginnt um 1900 und endet zu Beginn des neuen Jahrtausends. Nicht nur einmal werden die Menschen in dem kleinen Staat zerrieben zwischen großen Ambitionen kleiner Männer.
Im Zentrum steht die Stadt Zagreb und die Familien Bernstein und Ferić die sich in den 40er Jahren mit der Ehe der Eltern des Autors vereinen.
Obwohl meine zweite Heimat in Dalmatien liegt, welches sich von Zagreb ungefähr so unterscheidet wie Sylt von Oberammergau, habe ich mich sofort heimisch gefühlt. Ferić schafft es, die kroatische Seele sehr authentisch wiederzugeben. Das schlägt sich nicht nur in den politischen Ereignissen und ihren Einfluss auf die Menschen wieder, die er geschickt in die Familiensaga einwebt, sondern auch in den Singsang der Sprache, der mir sofort vertraut war . Für Nicht-Slawen könnte das eventuell etwas ungewöhnlich anmuten, auch die vielen Straßennamen, die die Aufenthaltsorte bezeichnen und die ganzen„’ić‘s“ sind für ungewohnte Augen & Ohren sicherlich nicht einfach auseinanderzuhalten. Zudem bleibt der Autor bei seiner Erzählung nicht immer im Chronologischen verhaftet und springt durchaus ab und zu mal in den Zeiten. Das er Vera oft Mama nennt irritierte mich am Anfang sehr doch irgendwann hatte ich mich dran gewöhnt. Der Stil ist für eine Familiensaga durchaus anspruchsvoll, aber nicht überfordernd.
Begeistert bin ich darüber, wie viel Neues ich doch über das Land meines Vaters gelernt habe. Dabei fand ich besonders die Zeit bis zum Ende des 2. Weltkrieg, über die ich nur sehr wenig wusste, am interessantesten, und auch die jüngste Vergangenheit ging mir sehr nah, da ich hier emotional ziemlich involviert war und viele Erinnerungen an den schlimmen Krieg der 90er hochkam. Die Auseinandersetzung des Autors mit der Geschichte seines Landes ist durchaus kritisch und stimmt nicht in die patriotischen Ehrbekundungen seiner Landsleute ein. Das letzte Kapitel, in dem Zoran seinen Vater pflegt und der alte Mann zwischen Suizidgedanken, Vorwürfen und jugendlichem Ungestüm taumelt hat mich sehr berührt. Der Ton dieser nicht ganz ernst zunehmenden Bollerigkeit ließ mich schmunzeln. Ich kenne solche Männer!
Wenn ihr also ein neues Land entdecken wollt, euch tiefergehend mit seiner Geschichte und der Mentalität der Menschen auseinandersetzen möchtet, dann kann ich euch diesen Schmöker wärmstens empfehlen.