Lesenswert: Leseempfehlungen für historische Romane 2024 / 2025

"Lebensträume - Ärztin einer neuen Zeit" ist ein vielschichtiger Entwicklungsroman über eine engagierte junge Ärztin, der von 1961 bis 1972 handelt. Er schildert detailreich einen emanzipierten Lebensweg vor dem Hintergrund des Verlusts der Heimat, hinterfragt damalige Moralvorstellungen und hinterlässt durch den unerschütterlichen Lebensmut der Hauptfigur, sich entwickelnde Freundschaften, Fortschritte und Erfolge, ein wohliges Gefühl. Der Roman ist abwechslungsreich, spannend und emotional und verbindet die fiktive Geschichte um berufliche und persönliche Träume mühelos mit realen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen. Svea Lenz macht Geschichte lebendig und zeigt mit ihrem Roman eindringlich den Wert von Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.

Um die Welt mit der "Völkerfreundschaft", einem großen Kreuzfahrtschiff nämlich, das in Stockholm gefertigt wurde und nach einem Unfall von der DDR aufgekauft wird. Für Henri, der schon als Kind vom Seefahrerleben träumte, werden damit seine kühnsten Träume wahr. Seine Ausbildung zum Matrosen in der Tasche, kennt er keine Grenzen mehr und heuert auf dem großen Kreuzfahrtschiff an, das bei seinen Reisen die vom Staat gesetzten Grenzen einhalten muss und das er Jahrzehnte später wieder als Tourist betritt. Kati Naumann ist eine der Autorinnen, deren Romane ich voller Sehnsucht erwarte, sobald ich von ihnen gehört habe. In ihnen wird die Vergangenheit auf eine Art zum Leben erweckt, die informiert, berührt und mich mit allen Sinnen packt.

Dieser trotz seines ernsten Hintergrunds witzige Roman hat mir herrliche Lesestunden beschert. Und dabei bin ich gar kein Fan von Jonas Jonasson. Wie der aufgrund einer Intrige völlig verarmte junge Algot es schafft, sich mit Intelligenz und Beharrlichkeit aus seiner prekären Lage zu befreien, das beschreibt Jonasson mit Wärme und Humor. Die Wortspielereien sind ein Genuss und wurden von Astrid Arz perfekt ins Deutsche übertragen. Die originellen Personen wirken lebendig, die skurrilen Situationen, in die sie geraten, nehmen einfach kein Ende. Für mich war das großes Lesekino, ich habe mich schon lange nicht mehr so gut unterhalten gefühlt. Und ganz nebenbei habe ich etwas über das gar nicht so heitere Leben in Schweden im 19. Jahrhundert gelernt.

Die Geschichte ist lebendig und bildhaft beschrieben und versetzt ihre Leser*innen anschaulich in die damalige Zeit. Mit dem mühevollen, aber erfolgreichen Weg der Familie Sprüngli verwebt die Autorin die Lebensumstände der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Kontrast zur luxuriösen Schokolade und dem Ziel kaufkräftiger bürgerlicher Kund*innen wird die Situation der unteren Schicht, der Verdingkinder und der Arbeiter*innen, dargestellt. Die unterhaltsame und informative Mischung aus historischer Wahrheit und Fiktion um den Aufstieg einer Dynastie zeugt von einer aufwändigen Recherche und Feingefühl für die Figuren. Rudolf Sprüngli ist ein Musterbeispiel dafür, was es heißt, seine Träume zu leben, an den Fortschritt zu glauben, Visionen zu haben und mutig seinen Weg zu gehen.

Gabriel Chanel kommt aus einfachsten Verhältnissen. Dennoch hat sie immer schon den Wunsch verspürt, groß herauszukommen. Dafür arbeitet sie hart und nimmt jede Herausforderung in Kauf. Das hat mich genauso sehr an ihr beeindruckt wie die Tatsache, dass sie sich auch von emotionalen Rückschlägen nicht unterkriegen lässt. Ob es die Liebe oder Freundschaften sind, Garbiel alias Coco findet immer wieder einen Weg auf die Sonnenseite zurück. Und auch wenn dieser historische Roman nicht nur mit echten Tatsachen, sondern auch ein wenig mit Fiktion spielt, so habe ich doch das Gefühl, Coco Chanel selbst gekannt zu haben. Eine beeindruckende Frau ihrer Zeit mit einem wilden Leben.

In diesem Buch spielt der große Autor Thomas Mann, der ja an der Kurischen Nehrung sein (von der Nobelpreis-Prämie bezahltes) Sommerhaus hatte, nur eine Nebenrolle. Hauptakteur ist der junge litauische Übersetzer Žydrūnas Miuleris, der hofft, vom Autor persönlich den Zuschlag für die Übersetzung der "Buddenbrooks" in seine Heimatsprache zu erhalten. Aus seiner Sicht wird die Handlung geschildert. Der Autor versteht es, eine Atmosphäre zu erzeugen, die im Jahr 1930 tatsächlich hätte herrschen können . Ich jedenfalls habe mich in dem von ihm erschaffenen Nidden wie zu Hause gefühlt und empfand das Miteinander der Völker - der Litauer*innen, Deutschen, Russ*innen und anderweitiger Nationen - als sehr treffend wiedergegeben. So hätte es damals sein können in Nidden - ein heiterer Sommer mit durchaus realen drohenden Vorzeichen aus der rechten politischen Ecke.

Mit "Die Frauen jenseits des Flusses" hat Kristin Hannah erneut ein Kapitel US-amerikanischer Geschichte beleuchtet, das zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist: in Vietnam gab es auch Tausende Amerikanerinnen, die bspw. als Krankenschwester dort gedient haben. Diese Frauen arbeiteten dort unter Schwerstbedingungen und hatten, zurück auf US-amerikanischem Boden, sehr mit den Folgen wie PTBS zu kämpfen. Als Leser*in bekommt man einen nahe gehenden Eindruck des Vietnam-Krieges und lernt sowohl über die kommunizierte Politik als auch die Auswirkungen des Krieges auf die wieder heimgekehrten Frauen (und Soldaten).

Ein deutsches Fräulein und ein amerikanischer Staff Sergeant verlieben sich nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Hessen in einander. Deutschland ist besiegt und besetzt und das Fraternisierungsverbot soll jegliche Annäherung zwischen Amerikanern und Deutschen verhindern. Doch die Zeiten ändern sich, das Verbot wird aufgehoben, 1946 sogar Verlobungen zugelassen. Jo Hunters Militärdienst endet, er muss zurück nach Amerika und Luise Adler möchte ihm baldmöglichst folgen. Es soll noch zwei Jahre dauern, bis Luise die Chance ergreift, bevor der War Bride Act endet. Kurz vor Weihnachten 1948 landet Luise in New York, aber Hunter ist nicht da, um sie abzuholen. Was ist passiert und wird Luise ihren Hunter wiedersehen? Muss sie zurück nach Deutschland? Der Roman ist romantisch, fesselnd und geht ans Herz. Er zeigt eindrücklich, wie aus Feinden Freunde und wie aus Fremden Liebende werden. Es ist, wenn auch fiktiv, ein Zeitzeugnis über Menschlichkeit, Zusammenhalt und Fürsorge über alle Grenzen hinweg.

Trotz meiner Liebe zu historischen Romanen habe ich noch nie über die Besatzungszeit nach dem Krieg in Deutschland gelesen. Mit "Don‘t kiss Tommy", das im britisch besetzten Bad Oeynhausen spielt, habe ich das geändert und war ganz begeistert, wie viel neues ich gelernt habe. Dabei haben mich die gegensätzlichen Frauen Anne und Rosalie begleitet. Sie erzählen in wechselnden Kapiteln, wie unterschiedlich die Erfahrungen, der Umgang, das Schicksal mit den Engländern und der Blick auf die Besatzer war. Spannend fand ich, dass man mal so denkt wie die eine und dann wieder wie die andere, während man mit beiden mitfühlt. Trotz Not und Hunger kommen ganz alltägliche Emotionen wie Liebe, Freundschaft und Ärger auf und sind so greifbar, dass man deren Alltag mit durchlebt.

Wir Leser*innen dürfen hier die Geschiche von Maria verfolgen, die zunächst in der Ausbildung, dann mit Berufsabschluss die Tätigkeit als Hebamme ausübt. Sie ist bei vielen Wöchnerinnen nicht willkommen, weil sie als Waise, als "Bankert" im Heim aufwuchs. Auch wenn das schmerzhaft ist und die bisherige, inzwischen alt gewordene wie auch veraltet praktizierende Amme in ihrem Heimatdorf sie anfeindet - Maria lässt sich nicht beirren. Ihr ist es ein Anliegen, die Frauen nach den neuen Maßstäben der Hygiene zu betreuen. Ein Roman mit viel Gefühl, aber auch einer, der Faszinierendes aus einem Frauenberuf in vergangenen Zeiten berichtet. Einem Beruf, den es im Gegensatz zu den meisten immer schon gab. Ein spannendes und berührendes Buch über das Arbeitsleben der Frauen, das ich kaum aus der Hand legen konnte!