Der dritte Teil der Barcelona Reihe des von mir sehr geschätzten Carlos Ruiz Zafon lag unterm Tannenbaum – und nur 2 Tage später war der Schmöker weggelesen. Nachdem „Das Spiel des Engels“ für mich leider ein totaler Reinfall war, war die Freude hier zunächst groß – es sollte um die in den bisherigen Romanen so schmählich vernachlässigte Figur des Fermin gehen! Spannend! Und meiner Meinung nach längst überfällig. Woher kommt dieser Mensch? Warum wird er von dem grausamen Inspektor Fumero verfolgt? Fragen über Fragen, auf die ich mir Antworten erhoffte.
Aber eins nach dem anderen. Die Story gestaltet sich zunächst wirklich spannend und ergreifend: Spanien nach dem zweiten Weltkrieg ist ein historisch einfach packendes und aufwühlendes Thema. Die eindringlichen Schilderungen der Willkür und des Leides, dass dem politisch Inhaftierten Fermin in dem Verlies der Burg in Barcelona widerfährt, können niemanden kalt lassen. Das sind die einzigen Stellen, an denen ich Zafons politische Anmerkungen wirklich ernstnehmen kann – denn sonst versteckt sich die Zeitkritik oft hinter blumigen Beschreibungen und leeren Worten. Doch die Gewalt, der Terror und die Unmenschlichkeit des diktatorischen Regimes ist in diesen Phasen des Buches greifbar.
Wie jeder Barcelona-Tourist habe ich mir damals auch das Kastell angesehen, bin durch ein paar Gänge gelaufen und habe anschließend einen Kino-Film bei Sonnenuntergang vor den Mauern der Burg geschaut. Schöne Uraubserinnerungen, die nun mit diesen Schilderungen des Ortes zusammentreffen. Klar wusste ich von der Geschichte des Schlosses nicht nur aus dem Reiseführer, aber in dem Moment habe ich das alte Gemäuer einfach nur genossen. Mir persönlich eröffnet sich dadurch eine besondere Fähigkeit Zafons: Er hat es einfach drauf, mir bei hellichtem Sonnenschein eine Gänsehaut den Rücken runterzujagen. Das war schon in seinen anderen Büchern so und hat auch dieses Mal seine Wirkung bei mir nicht verfehlt.
Doch das war es leider schon an Positivem. Schwer enttäuscht bin ich von der allgemein Story, die mir einfach nicht durchdacht genug ist. Das ist nicht sehr typisch für Zafon, sodass die Vermutung nacheliegt, dass das Buch unter Zeitdruck herausgebracht wurde – das Weihnachtsgeschäft lockt! Die Geschichte wirkt unvollständig. Die Hauptmotivationen der Figuren sind mir leider völlig schleierhaft geblieben. Spoileralarm! Ein Kulturfunktionär will den Jahrhundertroman schreiben und hält deshalb einen Schriftsteller gefangen (warum ist dieser Gefangene eigentlich des Himmels, hab ich was verpasst?). Gleichzeitig ist dieser Schuft hinter dessen Bekannten, Daniels Mutter, her? Man kann an dieser Stelle wieder argumentieren, dass das die Willkür der „Ruling Class“ wiederspiegelt, aber ich fand die Mtivation etwas mau. Aber vielleicht habe ich auch einfach einen Handlungsstrang aus „Das Spiel des Engels“ verdrängt.
Zu meinem Hauptkritikpunkt: Obwohl Fermins Geschichte eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte, ist er am Ende doch nur ein Bindeglied zwischen dem zweiten und dem ersten Roman und ist nur ein Nebencharakter in der Geschichte der Semperes. Die „komische Person“, die nun mit einer etwas dürftigen Vorgeschichte ausgeschmückt wurde. Das finde ich wirklich schade! Es bleiben so viele wichtige Details aus Fermins Leben ungeklärt – zum Beispiel wer er war, bevor er Fermin wurde! Und wo sein spezielles Verhältnis zu Fumero herrührt. Nichts!
Am Ende geht es nur darum, dass Fermin vor dem Gesetz einen offiziellen Namen erhält, mit dem er seine Bernarda heiraten kann. Wieder eine Motivation, die mir nicht schlüssig ist. Warum sollte das für Fermin in einem Staat, den er verachtet, so wichtig sein, „jemand zu sein“? Das passt ganz und gar nicht zu der sonst so freiheitsliebenden Person. Aber man sagt ja, die Ehe verändere die Menschen. Vielleicht ist das bei Fermin nicht anders, sondern geht einfach etwas schneller.Spoilerende
Ja, auch das hat Zafon sehr geschickt gemacht. Er entlässt den Leser mit mehr Fragen, als er vor beginn des Buches ohnehin schon hatte und schafft so einen super „to-be-continued“-Moment. Ich persönlich bin etwas genervt, weil Fermin und damit dieser Roman, so viel mehr hätten sein können. Es war bereits alles da, spannende Charaktere aus den bisherigen Büchern, historischer Kontext, der für Dramatik garantiert, eine Stadt, die Zafon so wunderbar beschreibt – und trotzdem: die Geschichte wurde zuweilen wirklich lieblos vorangetrieben. Hätte würde könnte, es wird definitiv einen weiteren Teil der Barcelona-Saga geben, in der Zafon dann einiges an Wiedergutmachungen zu leisten hat – lesen werde ich das Buch natürlich trotzdem... .