Ich durfte bei der neuen Veröffentlich von Antonia Michaelis ja vorab mitlesen und wollte euch heute, pünktlich zur offiziellen Veröffentlichung, meine Gedanken zu dem Buch mitteilen. Ich habe mich sehr gefreut bei dieser Leserunde dabei sein zu dürfen und hoffe, ihr habt genau soviel Spaß mit der frischgedruckten Lektüre wie ich.
Svenja ist frischgebackene Studentin. Als solche will sie das, was die meisten Erstis wollen: raus von zu Hause! Svenja zieht daher in eine kleine, schäbige Studentenbude in Tübingen um ihr Traumstudium Medizin beginnen zu können. Schnell entdeckt sie ihren "Mitbewohner" - einen kleinen, vielleicht neunjährigen, stummen Jungen. Nach dem Aufdruck seines T-Shirts nennt sie den Jungen Nashville. Obwohl sie gerade einmal 18 Jahre alt ist, beschließt sie Nashville bei sich wohnen zu lassen und sich um ihn zu kümmern. Keiner scheint ihn zu vermissen.
Dann geschehen plötzlich grausame Morde an Obdachlosen in Tübingen und Svenja fragt sich, was Nashville - der regelmäßig nachts verschwindet und mit seltsamen Dingen zurückkommt - mit den Geschehnissen zu tun hat...
Ich bin bei diesem Buch total hin- und hergerissen. Ich muss sagen, dass mir das Lesen zu jeder Zeit Spaß gemacht hat und ich mich immer gefreut habe, wenn ich Zeit gefunden habe um weiterzulesen. Es war nie so, dass ich mich förmlich zwingen musste das Buch weiterzulesen. Auf der anderen Seite gab es aber viele Dinge, die mir aufgestoßen haben. Es ist ein bisschen seltsam weil es viele Dinge gab, die mich gestört haben und ich das Buch trotzdem sehr gerne gelesen habe (und auch definitiv empfehlen kann).
Was hat mich gestört?
Da ist erstmal diese Geschichte um Nashville. Svenja, ein 18jähriges Mädchen, findet einen wildfremden und offenbar zutiefst verstörten Jungen. Was tut sie? Nein, sie sucht keine Hilfe sondern behält den Jungen einfach so und das über lange Zeit. Das alleine finde ich schon etwas unglaubwürdig, könnte es aber noch hinnehmen. Dazu kommt im Laufe der Geschichte aber, dass sie allen möglichen Leuten (inklusive ihren Eltern) von dem Jungen erzählt - keiner dieser Leute meldet die Geschichte der Polizei oder macht die Geschichte auch nur zum Dorfklatsch. Das ist für mich ziemlich hanebüchen. Tübingen ist eine Kleinstadt. Stelle ich mir das Szenario um dieses Kind in der Realität vor, bin ich mir sicher dass innerhalb kürzester Zeit jeder von der Existenz des Jungen wüsste und genauso schnell stünden irgendwelche Behörden vor der Türe um den Jungen einzukassieren. Das fand ich grenzenlos unglaubwürdig. Noch absurder wird es natürlich in Anbetracht dessen, dass seltsame Dinge um Nashville herum geschehen und dennoch behält Svenja ihn. Fehler in der Logik gab es für mich auch noch andere...zum Beispiel wie zur Hölle Nashville stehenderweise in einem Küchenschrank auf dem Kopf stehen kann...das passt ja einfach von der Länge her nicht.
Was mich auch irgendwie gestört hat war das Ende. Ich möchte nicht allzu viel dazu sagen um euch die Freude am Lesen nicht zu nehmen. Mein Fall war es jedenfalls nicht - ich mag diese Art von Enden nicht und insgesamt war es mir auch zu unspektakulär. Ich hatte das Gefühl das Buch arbeitet die ganze Zeit auf den Höhepunkt hin und dann zischt der Höhepunkt mit einem kleinen Puff an mir vorbei. So wie das Finale von Harry Potter im Film. Ich war nicht sehr glücklich damit und hätte mir irgendwie mehr erhofft.
Was hat mir gefallen?
Grandios war auf jeden Fall der Schreibstil. Ich glaube, dass die Bücher von Antonia Michaelis Jugendbücher sein sollen - dafür finde ich die Sprache relativ gehoben aber noch absolut im grünen Bereich. Die Autorin kann, meiner Meinung nach, wirklich wahnsinnig gut mit Sprache umgehen und es ist eine Freude das Buch zu lesen. Sie trifft in den richtigen Momenten die richtige Worte, erzeugt die richtigen Bilder. Das gefiel mir wirklich gut. Teilweise wird ihr Schreibstil sogar ziemlich philosophisch - vor allem die Stellen mit dem Jungen zwischen den Zeilen gefielen mir in dieser Hinsicht immer wieder ausgesprochen gut. Dafür kann man nur 1000mal einen Daumen hoch geben :).
Antonia Michaelis überzeugt mich außerdem immer wieder in der Art und Weise Charaktere zu erschaffen. Das Buch hat recht viele, verschiedene Figuren und doch wirkt keine davon blass - das gelingt nicht unbedingt vielen Autoren so wie ihr. Ich fand die Figuren in diesem Buch wahnsinnig gut ausgearbeitet, spannend und vielschichtig. So wie ich es bei Lovelybooks wahrgenommen habe, war die Verwirrung wer wie wo drinsteckt recht hoch, auch wenn es eine Person gab, die recht weit oben auf der Liste der Verdächtigen landete. Insgesamt sind die Figuren mehr grau als schwarz-und-weiß und das gefällt mir gut - weil echte Menschen auch so sind.
Ich hatte auch meine wahre Freude an der Beschreibung des Studentenalltags - diese kleine Milieustudie gefiel mir gut und nun weiß ich auch, dass sich in Tübingen tatsächlich die Statue einer Vagina befindet. Man lernt nie aus.
Svenja war eine klasse Protagonistin. Ich mochte sie vom ersten Kapitel an gerne. Sie hat ihre Fehler aber das ist gut so. Von Zeit zu Zeit ging sie mir durch ihre naive und irgendwie kindliche Art auf die Nerven (wie sie z.B. von Familie, Amt, Soziales geredet hat...da dachte ich mir nur: "Um Gottes Willen). Das konnte ich ihr aber verzeihen und insgesamt kam ich gut mit ihr als Hauptperson aus. Sie ist nicht die klassische Medizin-Streberin aber auch nicht total neben der Spur, versucht eben alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Ihre Art alles hinkriegen zu wollen mochte ich.
Friedel und der komplette Rest der Studenten war mir oft suspekt im Sinne von: Haben sie etwas mit den Morden zu tun? Als Charaktere mochte ich sie aber grundsätzlich alle gerne. Jeder ein Spinner für sich, jeder hat seine eigenen Macken aber alle sind gleichzeitig auch so lustig, solidarisch und sympathisch. Komisch fand ich, dass sie zwischenzeitlich komplett verschwunden waren und sich auch nicht bei Svenja gemeldet haben als wäre es in der heutigen Zeit mit Facebook und Co. ein riesen Problem...aber na ja, gut.
Auch Nashville ist ein rundum gelungener Charakter. Man ist bei ihm hin- und hergerissen zwischen "mag ich" und "iiiirgendwie creepy". Es ist erstaunlich wie unterschiedlich die Gefühle sind, die die Autorin mit diesem Charakter erzeugt. Stellenweise habe ich mir gewünscht, Svenja möge ihn doch ENDLICH abgeben und an anderen Stellen wiederrum habe ich gehofft, dass sie es nicht tut.
Insgesamt haben sich alle Charaktere wirklich lebensecht angefühlt. So als würde die Autorin einfach über ein paar Kommilitonen schreiben, die am Nachbartisch in der Mensa sitzen könnten. Ich glaube die Entwicklung von Charakteren ist wirklich die Stärke der Autorin. Klischeehafte Figuren kamen hier überhaupt nicht vor und dafür bin ich doch sehr dankbar.
Auch was den Schreibstil anbelangt konnte mich Antonia Michaelis überzeugen. Man kann das Buch zwar total leicht lesen, trotzdem ist es an vielen Stellen fast schon poetisch. An anderen Stellen ist es wahnsinnig witzig. Dann wieder todestraurig. Die Autorin weiß wie man mit Sprache umgeht - das ist ein großer Pluspunkt von "Nashville".
Lediglich am Ende war ich sehr enttäuscht. Ich verstehe zwar, warum der Sprachstil sich verändert (wenn ihr es aufmerksam lest, werdet ihr es auch verstehen) allerdings verändert sich der Schreibstil in meinen Augen zu früh und das Ende wirkte für mich insgesamt total hingerotzt, runtergeschrieben und lieblos. Nicht nur inhaltlich, auch sprachlich.
Die Sache mit dem Ende ist wirklich schade. Mir hat es etwas die Lesefreude genommen - es ist ja schon ärgerlich wenn man sich durch zig-Seiten arbeitet und das Finale dann so mau ausfällt. Insgesamt gibt es daher von mir auch nur eine mittelmäßige Bewertung.
Vielen Dank nochmal an den Oetinger-Verlag für das Leseexemplar! Die Lektüre hat trotz allem großen Spaß gemacht.
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