Bewertung zu "Die Hälfte der Sonne" von Chimamanda Ngozi Adichie
Adichies zweiter Roman will in einem groß angelegten Handlungsbogen die kurze und dramatische Geschichte eines ganzen Landes erzählen. Ein gewagter Versuch, an dem die Autorin letztlich scheitert, wenn auch auf recht hohem Niveau.
Wie schon „Blauer Hibiskus“ spielt auch „Die Hälfte der Sonne“ überwiegend im Milieu der wirtschaftlichen und ökonomischen Oberschicht der Ibo-Gesellschaft. Im Zentrum stehen die als gegensätzliche Zwillinge gezeichneten Schwestern Olanna und Kainene. Aus der Sicht der Töchter eines superreichen Unternehmers und einer Vielzahl von mehr oder weniger wichtigen Nebenfiguren, die sich durch Bande der Familie, Liebe, Freundschaft und Nachbarschaft mit ihnen verknüpfen, versucht Adichie, die Ereignisse zu schildern, die zur Gründung Biafras, zum dreijährigen Bürgerkrieg und schließlich zum Fall des jungen Staates geführt haben.
Die Erzählung wird dabei fast durchgehend von einem sehr subjektiven, emotionalen Ton bestimmt. Adichie bleibt sehr nahe an ihren Figuren, sie interessiert sich weniger für die großen politischen Zusammenhänge als für deren Auswirkungen auf den Alltag und das Innenleben der Menschen. Ihre Fähigkeit, dabei auch extreme Gefühlszustände glaubwürdig in Worte zu fassen, wie auch die Leichtigkeit und Eleganz ihrer Dialoge, hat mich wie schon beim ersten Buch beeindruckt.
Die Waage zwischen äußerer und innerer Handlung droht jedoch immer wieder einseitig in die eine Richtung auszuschlagen. Adichie hält sich zunächst so ausführlich mit den familiären und amourösen Angelegenheiten ihrer Protagonisten auf, dass mir das Buch über weite Strecken eher wie ein Familien- und Ehebruchsroman vorkommt, zu dem die politischen Konflikte und der Bürgerkrieg nur die Kulisse abgeben. Andererseits werden gerade am Ende die den Krieg und das daraus erwachsende Leid demonstrierenden Ereignissen in einer derartig hohen Frequenz aneinandergereiht, dass die Handlung immer oberflächlicher und plakativer wird.
Zudem fand ich die Kriegsdarstellung in „Die Hälfte der Sonne“ nicht auf der Höhe der modernen Literatur. Während andere Autoren schon vor langer Zeit erkannt haben, dass die unmenschliche Erfahrung des Krieges wenn nicht zur völligen Sprachlosigkeit, so doch zum Rückzug in die Groteske zwingt, hält Adichie unbeirrt an einer realistischen Erzählweise fest und bietet dem Leser am Ende sogar noch ein Schlupfloch in die Sinnfindung an: Die Schrecken der Kämpfe, die Verluste und die Verstrickung in Schuld lassen den Houseboy Ugwu zum Schriftsteller werden, der durch Worte zu bändigen weiß, wovor man eigentlich verstummen müsste.