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Alexander_Bally

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Cover des Buches Francobaldi – Familiengeheimnisse (ISBN: 9783962333850)

Bewertung zu "Francobaldi – Familiengeheimnisse" von Elisabeth Schinagl

Francobaldi – Familiengeheimnisse
Alexander_Ballyvor 3 Monaten
Kurzmeinung: Ein bezauberndes Fenster ins ausgehende 18te Jahrhundert,
Ein Krimi aus dem 18. Jahrhundert

Es ist schwer, ein gutes Buch zu schreiben. Eine Fortsetzung eines guten Buches zu schreiben ist noch schwerer. Die Latte liegt hoch und es sind schon reichlich fiktionale Tatsachen geschaffen, die man nicht ignorieren darf. Um so höher ist es anzurechnen, wenn es einer Autorin oder einem Autor gelingt. So wie hier.

 Wer Frankobaldi schon aus dem gleichnamigen Vorgängerband kennt, wird den Einstieg schnell schaffen, auch wenn sich einiges getan hat in Eichstätt und anderswo. Alle anderen werden sich rasch einlesen. In Frankreich hat sich das Volk erhoben und eine Republik ist die neue Regierungsform. In verträumten Fürstbistum an der Altmühl ist nicht nur der alte Bischof gestorben, auch Frankobaldis guter Freund Graf Cobenzl ist nicht mehr. Beide waren Freunde der Aufklärung. Der Graf förderte die Künste und tat viel dafür, die Standesunterschiede auszugleichen. Der Bischof ließ ihn gewähren und unterstützte ihn indirekt durch sanftes Dulden und wohlberechntes Nichtwahrnehmen. Doch nun ist der Wind ein anderer und man hat eher Angst vor Gleichmacherei und den Ideen der Aufklärung. Frankreich ist ein abschreckendes Beispiel.

So taucht der Leser ein in die unruhige Welt vor den napoleonischen Kriegen. Francobaldi hat sich ins Privatleben zurückgezogen und … er langweilt sich in seiner Behaglichkeit. So ist es eine willkommene Abwechslung, dass Babette, seine Frau, darauf drängt, nach Wien zu reisen. Dort studieren ihre Kinder, die Frankobaldi adoptiert hat und auch seinen Bruder will er gerne wiedersehen – Frankobaldi stammt ja aus Wien.

Francobaldi kann es zwar vermeiden, den rätselhaften Tod Mozarts aufklären zu müssen, stolpert aber unversehens in ein anderes Verbrechen, dass einer diskrete Ermittlung harrt. Erstaunlicherweise ist hierbei seine Gattin Ottilie eine ganz wesentliche Triebfeder. Es geht um das Schicksal junger Frauen und lediger Kinde in der mitunter herzlosen Gesellschaft. Einige der Spuren führen zurück nach Bayern. Langsam und geduldig gelingt es den beiden, den Knoten zu entwirren.

Wieder ist es ein schönes Zeitbild, ein tolles Fenster in die Vergangenheit und das alles in eine wunderschöne Geschichte gewickelt. Was mir noch besser gefallen hat als der hervorragende Vorgänger, war die Ergänzung unseres Helden durch seine Frau Ottilie, die mit Herz und praktischem Verstand ihren Gatten auch bei seinen Abenteuern wunderbar ergänzt.

Cover des Buches Asterix 40 (ISBN: 9783770424405)

Bewertung zu "Asterix 40" von Fabcaro

Asterix 40
Alexander_Ballyvor 6 Monaten
Kurzmeinung: Cäsar will die Gallier mit Achtsamkeit bezwingen und der Kraft des positiven Denkens.
Der vierzigste Band, und vielleicht der beste der neuen Ära

Ein neuer Asterix ist da. Die weiße Iris. Und es ist erfreulicherweise ein guter!

Der jähe Tod vom Texter Goscinny 1977 hat die legendäre Reihe um die unbeugsamen Gallier beinahe zugrunde gerichtet. Uderzo war als Zeichner genial, doch als Geschichtenerzähler und Gagproduzent konnte er seinem alten Partner leider nicht das Wasser reichen. Zunächst konnte er sich noch auf gemeinsam entwickelte Storykonzepte stützen, doch je länger er alleine die Gallier betreute, um so fragwürdiger wurden die Geschichten und so schmolz die Fangemeinde immer weiter. Ich bin einer der Hardcorefans, doch sogar ich haderte mit dem Kauf neuer Bände.

Es war eine Erlösung, als 2013 endlich das gallische Erbe in neue Hände überging. Asterix bei den Pikten und die folgenden Bände wurde nun von Conrad gezeichnet, und er macht es gut. Der alte Charme und der Geist der Figuren wurde erhalten, auch wenn der Strich gelegentlich akzentuierter ist. Der Text war bislang von Ferri und auch er machte seine Sache gut.

Zwar waren nicht alle neuen Bände erstklassig und keiner erreichte das Format der besten der alten Alben, doch es waren allesamt würdige Nachfolger. Nun, in der „weißen Iris“ hat ein neuer Texter gearbeitet: Fabcaro. Ich halte dieses Album nun für das bislang Beste der neuen Ära.

Cäsar ist besorgt: Die Gallier demoralisieren seine Truppen. Das muss aufhören. Visusversus soll es richten. Dieser abgefeimte Schurke darf sich zu Lügfix, Tullius Destruktivus und Technokratus in eine Reihe stellen, denn auch er versucht die unbezähmbaren mit „Kultur“ zu bändigen. In seinem Fall ist es die Kultur der weichgespülten Achtsamkeit und des positiven Denkens.

Er hat Erfolg, den bald schwurbeln die Gallier harmonische Sentenzen, anstatt sich zu streiten und nicht einmal eine Radialkur – ein Konzert von Troubadix – bringt sie in Rage. Besonders Gutemine geht dem raffinierten Visusversus voll auf den Leim. In Majestix und Asterix aber spürt er Widerstand. Als es ihm im Dorf zu heiß wird, lockt er Gutemine mit sich nach Lutetia, wo sie ihr wahres Selbst finden soll. In Wahrheit verfolgt er aber ganz andere, sehr finstere Pläne.

Der verlassene Majestix bricht zusammen. Gerade hier spielt das Album seine Größe aus, denn die Beziehung von „Minchen“ und ihrem „Schnäuzelchen“ ist wunderbar plakativ und doch komplex eingefangen. Natürlich muss man nach Lutetia, um die Frau vom Chef zu retten. Vieles erinnert an alte Alben, an die Lorbeeren des Cäsar, an die Trabantenstadt und an den Seher. Doch auch viele aktuelle Bezüge und Wortwitze machen das Heft zu einem Vergnügen. Es war ein sehr erfreuliches Wiederlesen.

Cover des Buches Francobaldi. Das Geheimnis der Illuminaten (ISBN: 9783962333652)

Bewertung zu "Francobaldi. Das Geheimnis der Illuminaten" von Elisabeth Schinagl

Francobaldi. Das Geheimnis der Illuminaten
Alexander_Ballyvor 8 Monaten
Kurzmeinung: ein toller Histo-Krimi
Francobaldi – ein Detektiv wider Willen

Ist es ein Krimi? Ist es ein Buch über die Illuminaten? Ist es historisches Infotainment? Egal was es ist, welchen Aspekt man in den Fokus stellen mag, es ist vor allem eines: ein gutes Buch.

Eichstätt im Novembernebel, trist und klamm – so lernen wir den Schauplatz kennen und die Hauptfigur, Enrico Francobaldi. Die Zeit? 1784. Die Aufklärung lässt es in den absolutistischen Staaten Europas ordentlich gären. Francobaldi soll im winzigen Fürstbistum eine moderne Normalschule aufbauen, eine Einrichtung, die die Lehrer ausbildet, um das Niveau der Bildung allgemein zu heben. Doch in dem kleinen Fürstentum ist alles ein wenig schwerfällig und mühsam. So hat sich der Witwer sein neues Leben nicht vorgestellt, als er das weltläufige Wien nach dem Tode seiner Frau verlassen hat.

Plötzlich wird sein Leben durcheinander gebracht, denn er soll einen Mord untersuchen. Ein Fremder wurde im Markt Greding erstochen, und keiner weiß, wer der Gemeuchelte war. Francobaldi soll ohne Aufhebens das Rätsel lösen und dem Fürstbischof persönlich berichten. Warum er? Weil er weitgereist ist – für eichstättische Verhältnisse. Weil er noch nicht im lokalen Geflecht der verschiedensten Interessensgruppen verwoben ist und einen freieren Blick hat. Und weil er abkömmlich ist. Die Sache ist dringend, denn politisch ist das Fürstentum schwach, mit dem mächtigen Baiern auf der einen Seite und dem wirtschaftlich potenten lutherischen Städten wie Nürnberg auf der anderen. Einen politischen Skandal will der Fürstbischof unbedingt vermeiden.

Mit Adam, einem begabten jungen Mann, untersucht Francobaldi den Mordfall, doch es gibt nicht viel zu ermitteln. Ein französisches Büchlein und Skizzen einer Übersetzung finden sie, Hinweise auf Wien, aber alles ist recht vage. Doch zäh und hartnäckig folgt Francobaldi den wenigen Spuren, bei denen bald die Ideen der Aufklärung wichtig werden. Auch in die bessere Gesellschaft des Fürstentums wird Francobaldi eingeführt und findet Anschluss. Doch ein Giftanschlag, den er nur mit Mühe überlebt, lässt ihn an jedem zweifeln. Irgendjemand fürchtet ihn und seine Ermittlung so sehr, dass er aus dem Weg geräumt werden soll. Aber wo nur ist er der Lösung nahegekommen? Francobaldi meint, immer noch im Dunkel zu tappen. Als er die Verbindung zu Illuminaten, einer aufklärerischen Gesellschaft um einen Professor aus Ingolstadt herstellen kann, kommt die Sache in Fahrt. Das Ende ist erfreulich, da ebenso logisch wie überraschend.

Elisabeth Schinagl gelingt es, ein genau recherchiertes, detailliertes Bild dieser Zeit zu zeichnen und zugleich eine wunderschöne Geschichte zu erzählen – mit Ruhe, Sorgfalt und einer Sprache, die vielleicht ein ganz klein wenig altmodisch wirkt, aber so nur um so besser die Denkart der Figuren in ihrer Epoche nachfühlen lässt.  Was vielleicht am Tempo vermisst werden könnte, macht das Buch durch die vielen wunderbar charakterisierten und schön gezeichneten Nebenfiguren wett und durch gut recherchierte Schauplätze und Hintergründe. Ein intelligentes Lesevergnügen, spannend und auf ruhige Art sehr unterhaltsam.

Cover des Buches Zeitarbeiterin 2 (ISBN: 9783968150376)

Bewertung zu "Zeitarbeiterin 2" von Anja Bagus

Zeitarbeiterin 2
Alexander_Ballyvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein Buch für alle, die eine Lektüre schätzen, die Leichtigkeit mit Herzenswärme, Witz und Intelligenz verbindet. Nachdrückliche Empfehlung!
Ein Buch über das Arbeitsleben und das Leben selbst

Ich habe die Heldin Mia schon im ersten Band kennen und lieben gelernt. Das Buch hatte mir damals ausnehmend gut gefallen. Leicht und fluffig, voller scharfsichtigen Beobachtungen und Witz. Kritisch mit einer Prise satirische Übertreibung wurden menschliche Eigenheiten und Unarten aufgespießt, aber immer ohne Bosheit oder Eifer. Die Latte für die Beurteilung des Folgebandes hatte sich die Autorin, Anja Bagus, die ich durchaus schätze, sehr hoch gelegt. Schafft sie so ein tolles Buch noch einmal? Das ist schwer. Und selbst wenn nicht … das Rezept war gut und hat funktioniert. Eine Portion „Mehr-des-Selben“ wird nicht schlecht sein, auch wenn es nur der zweite Aufguss ist. Also schlug ich das Buch auf und … wunderte mich.

Wo verdammt noch mal ist das erste Kapitel? Das, in dem die Heldin und ihre Situation vorgestellt werden. Ich blättere und stelle fest: Es gibt keines. Der Leser – ich – werde sofort mitten in die Handlung geschmissen, ebenso unvorbereitet, wie Mia die Tiefkühlpommes in das Frittenfett wirft. Das nämlich ist der erste Arbeitsplatz – die Pommesbude. Mia, das bekommt man so nebenher beigebogen, ist nun als Springer in einer Mall beschäftigt und soll für die Geschäftsleitung die Augen offen halten. Wonach? Das erfährt weder Mia noch der Leser. Also Augen auf bei der Lektüre beziehungsweise der Arbeit. Und die Menschen vor und hinter dem Counter sind gewiss einen Blick wert. Nervige Menschen. Tüchtige Schaffer, oberflächliche Blender und mürrische Goldschätze.

Ich begleite Mia weiter ins Kinderbespaßungsland Clowntown, ebenso gruselig wie es sich liest, in den Schoko-Laden, ein hochkalorisches Paradies und in einen Gesundheitsschuhshop, der mit seinen Schuhen ein neues Lebensgefühl verkauft. Es gibt noch weitere Stationen und immer wieder gelingt es Anja Bagus die Arbeitswelt der einzelnen Läden lebendig zu machen, denn jede Station ist vor allem ein Produkt derer, die die Chose schmeißen. Kompetenz hier, manchmal auch verborgen, muffiger Unverstand schräg gegenüber. Die Mall als Mikrokosmos – unsere komplette Einkaufswelt reduziert auf ein begehbares Areal. Und überall die Kunden, die sie markant typisiert, aber nie ohne das Menschliche aus dem Blick zu verlieren. Manche Kunden sind so regelmäßig in der Mall und so markant, dass sie einem laufend begegnen. Sie machen Mias Tag je nach Typ mal schlechter, mal besser oder auch nur skurriler.

Das alles ist schön und angenehm, aber eben episodenhaft. Das verbindende Element, das aus den Episoden einen Roman schmiedet, ist das Sofa. Mitten im Text taucht immer wieder ein kleines, aber feines Icon auf, ein knuffiges Sofa in reduziertem Strich wunderbar typisch eingefangen, ein kleines Werk von EVa Bagus, einer begabten jungen Grafikerin.

 Es ist Björns Couch. Die des Björn, mit dem Mia im ersten Band endlich zusammen kam. Hier sitzen sie nach Feierabend, reden über die Arbeit und das Leben. Das Leben ist nicht weniger komplex als die Mall. Mia lebt zwar bei Björn, doch noch ist sie nicht offiziell eingezogen, im Studium erleben sie beide die große Sinnkrise vor dem Examen und wie es dann weitergehen soll, ist auch noch ungeklärt. Und dann geistert da noch immer der Schatten von Björns Ex durch die Wohnung. Ohne dass sie es merken, stecken sie mitten in einem der großen Lebensumbrüche, stellen alles in Frage und sind ziemlich unglücklich. DAS ist der Stoff des Romans. Hier ist Drama, Konflikt, Entwicklung, Zweifel und die Suche nach Klarheit.

Das alles geschieht wohldosiert, häppchenweise und die meiste Zeit auch mit minimalem Personal. Mia und Björn müssen ihr Leben neu ordnen, und das schaffen sie bis auf den Schluss auch völlig allein. Nur zum Ende hin wird das Personal ein wenig erweitert – Familie kommt dazu und auch ein paar neue Parameter der Lebensumstände.

Die Latte lag hoch. Doch das Buch ist dem ersten ebenbürtig. Anja Bagus hat es geschafft, das Konzept komplett zu verändern, die Geschichte enger zu führen und dichter zu machen, gleichzeitig aber das Hauptcharakteristikum des ersten Bandes zu erhalten. Ein direkter Vergleich – besser oder schlechter – scheint mir darum nicht passend. Es ist ein eigenes Buch und auf seine Art ebenso gut wie der Vorläufer.

Ich gebe eine warme und dringende Leseempfehlung an alle, die eine Lektüre schätzen, die Leichtigkeit mit Herzenswärme, Witz und Intelligenz zu schätzen wissen.

Cover des Buches Wer die Nachtigall stört ... (ISBN: 9783499271571)

Bewertung zu "Wer die Nachtigall stört ..." von Harper Lee

Wer die Nachtigall stört ...
Alexander_Ballyvor 3 Jahren
Kurzmeinung: zeitloses Meisterwerk über Vorurteile, Rassismus und Menschlichkeit im Guten wie im Bösen
Ein gewaltiges Thema mit zarter Hand verpackt, so dass es den Leser tief berührt.

Bei Büchern ist es oft ähnlich wie bei Menschen: Da gibt es wen, den kennt vage schon seit langem, aber es ergab sich nie ein näheres Kennenlernen. Wenn es doch geschieht, erkennt man mitunter, dass man seit Jahren eine wunderbare Begegnung versäumt hat.

So ging es mit mit Harper Lee und „Wer die Nachtigall stört“. ‚Amerikanischer moderner Klassiker, nett zu lesen und wohl auch lohnend‘, das wusste ich. Aber näher bin ich dem Buch nie gekommen und selbst die oskarprämierte Verfilmung aus dem Jahr 1962 war an mir vorbeigegangen, obwohl ich das Kino der sechziger Jahre sehr schätze und ebenso Gregory Peck.

Und dann war neulich meine Bettlektüre zu Ende und ich war zu faul einen anderen lieben Band im Bücherbord auszusuchen. Zufällig lag Harper Lee gerade herum und ich war nun einfach neugierig. Und dann? Den Anfang fand ich ein wenig harzig. Die Erlebnisse des altklugen Wildfangs, der sechsjährigen Jean Louise Finch, genannt Scout, fand ich nett, aber mehr auch nicht. Ich las, wie sie sich von ihrer Lehrerin ungerecht behandelt fühlt, über ihre Schulweg- und Schulhofabenteuer, die sich immer wieder um Arthur „Boo“ Ridley drehen, den geheimnisvollen Nachbarn, der die Menschen scheut und seit vielen Jahren nie das Haus verließ. Für die Kinder wurde er so zu einer Art Sagen-und Schreckgestalt. Scout und ihr älterer Bruder Jem versuchen in immer neuen Anläufen ihn aus dem Haus zu locken. Alles las sich angenehm und die Figuren waren stets plastisch und lebendig gezeichnet, doch wohin wollte die Geschichte?

Erzählerisch bricht das Buch mit sehr vielen Regeln, die ein Autor besser beachten sollte. Vor allem in der Erzählstruktur. Scout stellt dem Leser eine Unmenge Figuren vor, doch der Leser bleibt alleingelassen mit der Frage, warum er dies gezeigt bekommt. Die eher anekdotische Handlung meandert zwischen dem Finchschen Anwesen und dem Postamt hin und her, schweift ab in die Tiefen in die Familengeschichte um dann scheinbar Volten drehend wieder zum geheimnisvollen Boo Ridley zurückzukehren. Scout ist zwar hinreißend, doch auch die beste Protagonistin braucht eine Thema, dem sie folgen kann, um ihre Geschichte zu erzählen.

Fast hätte ich das Buch wieder weggelegt. Und doch war da etwas, was mich zum weiterlesen bewog: Der Schauplatz Maycomb. Harper Lee zeichnet sehr genau ein Bild dieser fiktiven Kleinstadt in Alabama zur Zeit der Depression, führt das typische Personal vor Augen, bigotte Damenkränzchen, unverbiegbare Farmer an der Armutsgrenze, die dennoch stolz und aufrecht nie etwas schuldig bleiben wollen und ihre Schulden mit Eiern oder einem Ferkel bezahlen, verschlagene Rednecks, weißes Prekariat am Rande der Gesellschaft und die Parallelgesellschaft der Farbigen. Seit meiner Jugend kenne ich dank Tom Sawyer, die Waltons. Durch sie und viele andere Quellen war ich vertraut mit diesen Versatzstücken, doch Harper Lee hat sie, das merkte ich erst auf den zweiten Blick, zu einem dichten und lebendigen Mikrokosmos verwoben. Vor allem aber, das ist ihre große Stärke, blickt sie immer wieder genau in die Seelen der Figuren, belässt es nie beim Anschein, der vertrauten Oberfläche, dem Klischee. Das erzählende Kind begegnet allen Menschen unvoreingenommen und lotet so die Charaktere aus, immer wieder auch mit Hilfe ihre verwitweten Vaters, Atticus Finch, einem alternden Anwalt in der Gemeinde. Er glaubt an Freiheit und die Gleichheit vor dem Gesetz und lebt dies auch vor. Seinen Kindern ist er Vertrauter und Vorbild und vor allem Freund, der sie auch als Gesprächspartner ernst nimmt. Ansonsten lässt er ihnen sehr viel Freiheiten. Weit mehr, als Calpurnia, die schwarze Haushälterin, die mit Strenge und Liebe die eigentliche Erziehungsarbeit übernimmt.

Ein Weilchen lag das Buch mit einem Lesezeichen in der Mitte neben meiner Bettstatt unberührt. Ich fand den Ruf, den es genießt, eher rätselhaft. Doch dann las ich weiter und endlich schälten sich aus den vielen, vielen Themen im Buch drei heraus, die sich in der zweiten Hälfte immer dichter verwoben: Rassismus, Gerechtigkeit und vor allem die Menschlichkeit in ihren guten und schlechten Ausprägungen.

Als Atticus einen Schwarzen als Pflichtverteidiger vertritt, der beschuldigt wird, ein weißes Mädchen vergewaltigt zu haben, ein Vorwurf, der in Alabama in dieser Zeit beinahe automatisch zur Verurteilung führt, und er dieses Mandat auch noch sehr ernst nimmt, kommt es zu verdeckten und offenen Anfeindungen gegen diese „Niggerfreunde“. Atticus gelingt der Ritt auf der Rasierklinge, gelassen den gehässigen Klatsch zu überhören und sich dennoch sich dem Unrecht, notfalls auch dem Lynchmob entgegenzustellen, mit nichts weiter bewaffnet als aufrichtiger Überzeugung und Manieren. Er lehrt er seine Kinder, die Menschen zu verstehen, sich in die anderen hineinzuversetzen und niemanden zu verurteilen, nicht einmal die Bekannten und Nachbarn, die den Angeklagten lynchen wollten. Denn manchmal, so lehrt er sie, sind auch vernünftige Menschen verblendet. Dann stünde irgendetwas zwischen ihnen und ihrer Vernunft, ein Vorurteil, eine Angst oder sonst ein Gefühl.

So wird über niemandem der Stab gebrochen, denn man muss ja auch in Zukunft friedlich zusammenleben. Dennoch werden im Roman die Schwächen und Unzulänglichkeiten und das Unrecht nie ausgeblendet, verleugnet und auch nicht beschönigt, denn der Angeklagte muss sterben, auch wenn Atticus im zentralen Prozess seine Unschuld offen zu Tage fördern kann. War sein Einsatz umsonst? So sieht es sein Sohn, und doch hat sich manches geändert, wenn auch einstweilen nur in den Köpfen. Aber genau da, in den Köpfen der Menschen, muss wohl alle gesellschaftliche Veränderung beginnen.

So birgt das Buch gewaltigen gesellschaftspolitischer Sprengstoff, liebenswürdig verpackt in rosa Seidenpapier mit Schleifchen. Im seinem Kern ist es hochexplosiv und gerade heute so hochaktuell wie vor sechzig Jahren, als es erschien – in Amerika ebenso wie bei uns und vielleicht überall, wo Menschen mit Vorurteilen die Gesellschaft gestalten.

Wie konnte ich dieses Buch nur übersehen? Es hielt mich bis drei Uhr wach, und nun, da ich das Werk als ganzes kenne, bin ich begeistert. Ich glaube, es verdient ein Plätzchen bei meinen Lieblingsbüchern.

Rezension von www.perspektivwechsel.webador.de

Cover des Buches Durch Schreiben ins Sein: Ein ganz persönliches Arbeitsbuch zum Selbst-Coaching (ISBN: 9783754106051)

Bewertung zu "Durch Schreiben ins Sein: Ein ganz persönliches Arbeitsbuch zum Selbst-Coaching" von Gudrun Anders

Durch Schreiben ins Sein: Ein ganz persönliches Arbeitsbuch zum Selbst-Coaching
Alexander_Ballyvor 3 Jahren
Kurzmeinung: ein Arbeitsbuch zur schreibenden Selbsterforschung und -therapie
schreibend die eigene Seele erforschen ...

Diesmal erreichte mich eine Rezensionsanfrage, die in mir ein wenig falsche Vorstellungen weckte. Ein Buch übers Schreiben, therapeutisches Schreiben zwar, aber über das Schreiben. Das erwartete ich und vom Schreiben verstehe ich was. So dachte ich, ganz aufgeschmissen bin also nicht und vielleicht lerne ich neue Aspekte des Schreibens kennen.

Ich habe mich getäuscht und stelle fest, dass ich dieses Buch nun inhaltlich nur vom Standpunkt eines Laien beurteilen kann. Das Buch hat mich sehr überrascht – enttäuscht hat es mich nicht. Es ist nur ganz anders, als ich es erwartet hatte.

Zuerst: Es ist ein Arbeitsbuch. Wer einen Ratgeber sucht, ist hier nicht ganz richtig. Rat gibt es zwar auch, doch vor allem Anleitung, um selbst etwas zu machen. Das ist schon mal gut und lobenswert und hebt das Buch über das Gross der Ratgeber hinaus.

Als Buchhändler hat man vielleicht einen etwas anderen Blick auf Ratgeber. Die kaufen zu einem guten Teil Leute, die ihr Problem erkannt haben und auch bereit sind, für guten Rat Geld zu berappen. Doch da viele Kunden immer wieder kommen um ähnliche Ratgeber zu kaufen, scheinen sie nicht recht bereit zu sein, an dem Problem ernsthaft zu arbeiten. Sie kaufen Wegweiser und kommen so doch nicht recht weiter, weil sie den Weg nicht gehen wollen. Nun, den Buchhändler freut es, denn die Kasse klingelt.

Dieses Buch ist aber ein Arbeitsbuch mit vielen freien Seiten, um die gestellten Arbeitsaufträge auch gleich zu machen.Wer nicht die vielen Übungen machen will, um zu sehen, wohin einen das bringt, merkt schnell, dass er nur wenig vom Buch hat.

Um geht es denn eigentlich? Das Buch ist für Leute mit Problemen. Für Leute mit Depressionen ebenso, wie für Leute mit traumatischen Erfahrungen, in Trauer oder anderen Lebenskrise. Sehr wichtig ist der Hinweis zu Beginn, und auch später taut er immer wieder auf, dass das Buch keinen Therapeuten ersetzen soll. Selbsterforschung ist schwierig und auch nicht ohne Risiko. Wer professionelle Hilfe braucht, soll sich nicht auf das Buch verlassen. Allerdings sehe ich diese Buch durchaus auch als ein Werkzeug,m das eine Therapie begleiten kann.

Es geht vor allem um die Erforschung des eigenen Ichs und seiner Schieflagen. Um das schreibend verarbeiten zu können, um sich schreiben befreien zu können, muss man erst einmal wissen, wie es um einen bestellt ist. So geht es im ersten Drittel darum, sich Werkzeuge zu verschaffen, die einem helfen, sich selbst zu erkennen. Zentrale Rolle hat dabei die Technik der Affirmation. Die wird sehr früh eingeführt, und ist Grundlage des Konzeptes, denn alle Negative, was man dabei ans Licht holt, bekommt durch diese Technik eine positive Perspektive nach vorn und wird handhabbarer. Diese Technik und weitere werden intensiv eingeübt und der Leser schreibt etliche Seiten voll … mit Übungen. Geschichten werden sind es erstmal noch nicht.

Im Mittelteil geht es um die Konflikte, die man herausarbeiten muss, aber so, dass sie einen nicht erschlagen. Auch hier ist wieder viel Eigenarbeit und sorgsame Selbsterforschung nötig. Die Techniken werden auch hier wieder gründlich eingeübt. In dem Buch sollte man wohl mindestens doppelt soviel Zeit für die Übungen rechnen wie für das Lesen.

Im letzten Teil erst geht es über das schreibende Verarbeiten der eigenen Probleme. Ausgehend von den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen lernt man das, was einen umtreibt in Bilder zu fassen und die dann zu Märchen zu verdichten. Hier endlich kann ich mein Wissen um das Schreiben einbringen, hatte ich gedacht. Fehlanzeige. Die klassischen Themen eines Schreibratgebers wie Spannungsbogen, anschauliches Beschreiben, Dialoge, Schreibhemmung und vieles mehr fehlt völlig, denn es geht hier eben nicht um das Schaffen von Literatur. Die kann nebenbei zwar herauskommen, doch viel wichtiger, ist es, sich mit den Geschichten, die man schreibt, selbst zu helfen und seine Probleme zu lösen. Ob die Geschichten dabei nun nach schreibhandwerklichen Gesichtspunkten gut sind, ist dabei völlig Rille.

Wer eine Geschichte schreibt, macht immer auch eine Reise in sein ich, erlebt neue Dinge an sich. Doch bei Menschen, die für andere Schreiben, ist wichtig, dass es der Leser etwas davon hat. Hier ist der Fokus ganz anders gesetzt, so dass der Schreibende aus dieser Reise, die er macht, das Beste für sich herausholen kann, dass er an ihr wachsen kann und mit ihr sein Leben ein Stück weit verbessert.

Das Buch ist kein Allheilmittel, doch es kommt mir vom Aufbau her sinnvoll vor, die Übungen stehen im Zentrum, die Anleitungen sind klar, leicht zu lesen und gut zu verstehen. Dass sie vielleicht nicht alle leicht umzusetzen sein werden, kann man dem Buch nicht vorwerfen. Es ist kein Buch zum Zeitvertreib wie ein Rätselheft, sondern ein Arbeitsbuch, um ernsthaft seine Probleme anzugehen. Ob die Übungen alle passend sind, ob es vielleicht noch bessere gäbe … da fühle ich mich zu unwissend. Auch ist es sicher besser, es im Zusammenhang mit therapeutischer Begleitung zu nutzen. Aber kommt mir so vor, als sei es ein gutes Mittel für viele Menschen, ihre Probleme zu fassen und mit Geschichten Auswege aus der Situation zu schaffen.

Ich hatte nur ein pdf zur Beurteilung und kann über die Aufmachung nicht viel sagen. Ich weiß, dass es als Ringbuch schon klarmacht, dass es sich um ein Werkzeug handelt. Viele Grafiken lockern das Buch auf, wobei ich hier aber feststellen muss, dass es auch besser ginge. Auch wenn man auf freie Grafikdatenbanken zurückgreifen muss, ist ein optisches Konzept dennoch möglich. Hier changieren die eingestreuten Grafiken zwischen Romantik, witzigem Comic-Stil und glatter Computergrafik und alles wird ergänzt durch viele Fotos. Hier könnte man das Buch noch um einiges verschönern. Eine essentielle Verbesserung ist es nicht.

Eine allgemeine Leseempfehlung bei einem solch speziellen Buch ist kaum möglich. Doch allen Therapeuten möchte ich das Buch empfehlen, das Buch zu prüfen, ob es ein Werkzeug sein könnte. Bei Menschen mit seelischen Problemen bin ich zurückhaltender. Das Buch richtig verwandt, wird einiges bloßlegen. Das kann auch zusätzlich belasten. Ob man die Kraft hat, damit auch unbegleitet umzugehen, muss jeder selbst wissen.

Die Rezension stammt von www.perspektivwechsel.webadorde

Cover des Buches Vom Schwimmen in freien Gewässern (ISBN: 9783941095731)

Bewertung zu "Vom Schwimmen in freien Gewässern" von Katja Bohlander-Sahner

Vom Schwimmen in freien Gewässern
Alexander_Ballyvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Ein ruhiges Buch, das mich sehr bewegt hat: Über Liebe, Tod, Veränderung, Neuanfang und der Suche nach dem Glück ... und vom Schwimmen.
Sehr schöner Roman, voller Ruhe und sanfte Kraft

Es ist schon so eine Sache mit dem Schwimmen – zumal in freiem Wasser. Es kostet Kraft und wer sich nicht frei macht von seinen Ängsten, sich nicht einfach dem Wasser anvertraut, mit Zuversicht und Selbstvertrauen, dem wird es zur Qual. Doch einfach aufhören kann nicht.

Katja Bohlander-Sahner erzählt in einem gar nicht so klein angelegten Roman die Geschichten von drei Menschen, deren Leben aus der Bahn geworfen wurde. Ein Roman, über drei Leben, die neu ausgerichtet werden und, so will es die Geschichte, miteinander verbunden sind.

Da ist zunächst Rolf. In seinem Dorf im Saarland ist er hoch angesehen. Er nimmt am Dorfleben regen Anteil, ist in der CDU aktiv und im Schwimmverein, spielt Wasserball und hat in den Jahrzehnten seines Wirkens – er wird bald sechzig – der halben Gemeinde in Schwimmkursen beigebracht, nicht unterzugehen. Von Beruf ist er Lehrer, ein netter, eher biederer und durchschnittlicher Mann. Seine Frau war ehrgeiziger, eine promovierte Biologin. Sie gab den Ton an in der Familie. Rolf nahm es hin. Sein Sohn Jerome aber hielt die Situation nicht aus und verschwand mit sechzehn Jahren  spurlos. Sein Verschwinden stürzt Rolf und seine Frau in eine große Krise. Doch dann stirbt die Frau bei einem Autounfall und der Konflikt bleibt ungelöst.

Jerome ist abgehauen. Zuhause hielt er es nicht mehr aus. Die Schule machte keinen Spaß, eine Tischlerlehre ist nicht im Sinne der Mutter, die einen Akademiker zum Sohn haben will und auch der Vater ist kein rechter Rückhalt für ihn. Und dann ist da noch Hendrik, ein angeberischer Freund seines Vaters aus dem Schwimmverein, den er nicht ausstehen kann. Er hat ihn ertappt, als er vor Jahren seine damals dreijährige Schwester befummelte. Sagen konnte er es niemandem. Und so tat er das einzige, was er tun konnte: Er passte auf seine kleine Schwester auf, war ihr Begleiter und Beschützer, wo immer es möglich war. Eine Verantwortung, die zu viel war. Als er seine Mutter beim Ehebruch ausgerechnet mit Hendrik erwischt, flieht er, kehrt seinem alten Leben den Rücken und radelt los, nach Italien, um dort mit nichts als 500€ und viel Zuversicht ein neues und selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Nun unregelmäßig gibt er seiner Familie per Telefon Lebenszeichen.

Zuletzt ist da Elaine, eine tüchtige Frau, die in ganz anderer Art vom Leben enttäuscht ist. Sie heiratete ihre Uniliebe und wurde so zur Untenehmersgattin einer reichen Familie in Hamburg. Aus dem Studentenleben stürzt sie in ein Leben voller Arbeit, Luxus und reichlich Statussymbolen. Völlig unverhofft erlebt sie aber, dass sie das alles nicht ausfüllt, als eine hochschwangere Frau vor ihrem Haus zusammenbricht und sie ihr helfen muss, auf ihrem Wohnzimmerteppich ein Kind zur Welt zu bringen. Die Mutter weiß, dass die Frauenschleppermafia hinter ihr her ist, vertraut das Kind Elaine an und flieht, sowie sie wieder laufen kann. Bald darauf wird sie ermordet und ihre Retterin bedroht. So kommt Elaine in ein Zeugenschutzprogramm und nach Saarbrücken. Ihr Ehemann ist ihr auf einmal fremd geworden. Seine kalte und herzlose Reaktion auf das Erlebnis öffnet ihr die Augen. Sie lebt den Lebenstraum ihres Mannes. Das ist nicht das, was sie sich ersehnt und was sie erfüllt. Sie will die Scheidung.

Rolf lebt im Saarland, Jerome flieht von dort und Elaine flieht dort hin … So verknüpfen sich nun die drei Lebenslinien.

Der Hauptteil der Erzählung ist der Romanze des alternden Rolf und der deutlich jüngeren Elaine gewidmet. Rolf ist in seiner Krise gewachsen und erlebt mit Elaine eine andere Partnerschaft, eine der gegenseitigen Hingabe, auch wenn beide ihre Geheimnisse mitbringen, die sie dem Anderen nur langsam enthüllen können. Elaine lernt Rolf und auch sein Dorf lieben. Hier muss sie sich nicht verbiegen ohne sich aufgeben. Bald ist allen klar: Hier sind zwei, die zusammen passen und sie ein harmonisches Paar.

Eingestreut in diese Geschichte sind die Stationen von Jeromes neuem Leben. Er schafft es trotz widriger Umstände, nicht gefunden zu werden, und erreicht sein Ziel: den Gardasee. Erst jobbt er als Kellner, dann bei einer illegalen Bautruppe und lernt schließlich bei einer Großschreinerei Chiara kennen, die später seine Frau wird. Es ist ein steiniger Weg, der ihm viel abverlangt und zugleich auch viel lehrt.

Die Autorin schreibt in sehr ruhigem Ton, melodisch und schlicht, blickt aber tief in ihre Figuren und trifft stets die richtigen Worte. Jeromes Episoden wirken unmittelbarer, denn sie präsentieren sich in der Gegenwartsform, während die Geschichte von Rolf und Elaine in der Vergangenheitsform geschildert wird. Ich muss gestehen, dass mir das erst spät auffiel. Das spricht für die Eleganz der Sprache, die sich ganz smooth auf die Leinwand des Kopfkinos projiziert, so dass man kaum je auf sie achtet. So soll es sein.

Was mir auch positiv auffiel, war, dass die Autorin Mut zum Rätselhaften hat. Nicht alle Hinter- und Beweggründe werden gleich berichtet. Der Leser muss manchmal lange auf Erklärungen warten. So entsteht ganz unaufdringlich eine ruhige Spannung, die einen sanft, aber unwiderstehlich mitnimmt.

Es ist eine Romanze, aber doch weit mehr. Es ist eine Geschichte vom Leben und da gehört zum Glück für alle, die es erleben dürfen, auch die Liebe dazu. Wo immer es darum geht, vage Gefühle für den Leser in Worte zu packen, gelingt es Katja Bohlander-Sahner sie beim Leser in authentischer Weise zu erwecken. Das Tempo ist der Geschichte angemessen. Es ist gemächlich aber stetig, so wie ein guter Schwimmer schwimmt. Das Schwimmen – diese Leidenschaft von Rolf zieht sich durch das Buch und wird zum Symbol. Wenn ich etwas zu bekritteln habe, dann vielleicht, dass die Kollegin nicht das ganze Potential dieses Bildes in der Geschichte ausschöpfen konnte. Ich denke, da wäre vielleicht noch der eine oder andere schöne Gedanke möglich gewesen. Doch das, ebenso wie der Wunsch, dass das Buch in einem größeren Verlag ein breiteres Publikum finden möge, ist nur kleinliches Gejammer. 

Selten hat mich ein Buch so punktgenau abgeholt wie dieses. Das allein ist kein Qualitätsmerkmal, aber es ist schön, wenn einem dieses Glück bei einem so guten Buch wie diesem widerfährt. So kann ich aus vollem Herzen eine Leseempfehlung geben.

Meine Rezensionen erscheinen auf www,perspektivwechsel.webador.de


Cover des Buches Kerscheplotzer (ISBN: 9783740811211)

Bewertung zu "Kerscheplotzer" von Gina Greifenstein

Kerscheplotzer
Alexander_Ballyvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Eine gelungene Fortsetzung einer sympathischen Krimireihe
Mördejagd mit Baby

Ich habe ja schon Spectaculum von Gina Greifenstein vorgestellt, in der die Kommissarin Paula Stern in der Pfalz ankommt.
Im siebten Band der Krimireihe kommt nun Lotta in Landau an. Paula Stern ist hochschwanger und inzwischen mit einem Kollegen liiert. Ausgerechnet beim titelgebenden süßen Auflauf der Schwiegermama, im Beisein aller werdenden Großeltern setzen massiv die Wehen ein. Rasch geht es ins St. Vinzenz, einer Klinik in Landau und bald darauf hat Paula ein kleines Mädchen geboren. Das Kind stresst unsere toughe Ermittlerin weniger als die Großeltern, die alles besser wissen und ebenso fröhlich wie ungefragt jede Entscheidung der jungen Mama kritisieren. Die nämlich will nicht stillen und nach Möglichkeit weiterarbeiten. (Das lässt uns nebenbei auf die Fortsetzung der Reihe hoffen.)

Im Krankenhaus treffen Paula und Matthias, der Papa, unvermutet auf Flo, seinen Freund aus Jugendtagen. Die Freundschaft endete vor einer kleinen Ewigkeit in bitterem Streit, nachdem Flo Matthias eine Freundin ausgespannt hatte. Danach verlor man sich aus den Augen. Flo wurde ein Fitnesstrainer der Schönen und Reichen in Florida, ist aber seit einem Jahr wieder im Lande und hat ein paar Orte weiter eine Muckibude eröffnet. Das Wiedersehen ist kurz und friedlich, auch wenn Matthias recht reserviert reagiert. Als Paula später am Abend von Flo auf dem Zimmer besucht wird – ihm ist am Abend vor seiner Knie-OP ein wenig langweilig – lernt sie ihn als charmanten Mann kennen, aber allzu anziehend findet sie ihn nicht. Aber unsympathisch ist er auch nicht. Am nächsten Tag will sie ihm nach einem Besuch im Klinik-Café einen kurzen Gegenbesuch abstatten und landet im Aufwachraum. Sie erfährt, dass der Patient die OP gut überstanden hat, kurz wach war und nicht mehr am Monitor hängt. Im Moment schlummert er, er soll ja auch Zeit haben, um wach … Und dann wird es plötzlich hektisch um das Bett des Fitnesstrainers … Herzmassage, Defibrillator … die Anästhesistin und der orthopädische Chefarzt bemühen sich aufs Heftigste um dem Mann … aber er ist nicht wiederzubeleben.

Es spricht zwar kein harter Beweis für ein Verbrechen, doch die Umstände findet Paula reichlich mysteriös. Ihr Instinkt lässt die Alarmglocken schellen und sie beginnt sofort herumzuschnüffeln. Das darf sie nicht. Sie kann sich noch nicht einmal als Kriminalbeamtin ausweisen. Doch als der nette Kollege Keeser sie besucht, „leiht“ sie sich einfach dessen Ausweis und beginnt im Trüben zu stochern. Viel findet sie nicht heraus. Die Schwester weiss nicht viel, die Anästhesistin meint, dass auch bei gut verlaufenen OPs manchmal danach plötzliche Todesfälle vorkommen und der Chefarzt lässt sie aalglatt abblitzen. Ohne handfeste Hinweise auf ein Verbrechen ist aber weder die nette Staatsanwältin noch Kollege Keeser bereit, Ermittlungen aufzunehmen. Was also bleibt Paula da? Die Leiche! Die zumindest will sie in Augenschein nehmen und begibt sie sich, als alle Besucher des Abends gegangen sind in die kühlen Keller, wo die Leichen verwahrt werden.
Hier beginnt mit Auftreten von "Tobi, der Kellerassel", das Highlight des Buches. Dieser Student schiebt hier gemütliche Nachtwachen und ist eine herrlich schräge Figur, witzig, intelligent, aber auch lausbubenhaft neugierig und begeisterungsfähig. Ein echter Schatz, von dem man mehr lesen will. Die beiden finden Hinweise auf einen Erstickungstod – möglicherweise künstlich herbeigeführt. Endlich wird der Todesfall zu einem Kriminalfall. Als nun in einer Nacht- und Nebel-Aktion die Leiche ungewöhnlich rasch in ein Krematorium überführt werden soll, um tags darauf eingeäschert zu werden, gelingt es Paula mit Tobi, die Rechtsmedizin zu verständigen und zu einem "Hausbesuch" im nächtlichen Klinikkeller zu überreden. Als am morgen als erstes die Leiche überführt werden soll, gelingt es Tobi die Leiche und auch deren Bett als Beweismaterial zu sicher, auch wenn noch kein richterlicher Beschluss vorliegt. Ab hier übernimmt dann die Kripo den Fall. Zumindest offiziell, denn Paula kann das inoffizielle Ermitteln natürlich nicht lassen und am Ende ist sie es, die den Fall löst.
Wie schon im Auftakt der Reihe ist die Geschichte schön und in sehr angenehm zu lesender Sprache eingefangen. Der pfälzische Dialekt ist selten, aber sorgt für ausreichendes Lokalkolorit. Nur in  diesen Szenen und an den den erwähnten Schauplätzen kann man Geschichte in der Pfalz verorten. Die spielt nämlich überwiegend zuhause oder im Krankenhaus. So ist es eher ein Krimi aus der Pfalz als ein pfälzischer Lokalkrimi. Das ist dem Plot geschuldet und kann der Geschichte kaum vorgeworfen werden. Ein paar Kleinigkeiten sind auch sachlich nicht ganz richtig. Auch hier erkenne ich, dass dieses Verbiegen der Wirklichkeit den Notwendigkeiten der Geschichten geschuldet ist. Natürlich es es wünschenswert, dass Geschichten wirklichkeitsgetreu und spannend zugleich erzählt werden. Doch wenn sich ein Autor bei Kleinigkeiten für die Spannung und gegen absolute Realitätstreue entscheidet, habe ich Verständnis. Ich gehe ja in den selben Schuhen.

Was ich eher schade fand, war, dass aufmerksamer Leser den Mörder schon recht früh identifizieren konnten. Es ist eine Figur, die ein wenig detaillierter beschrieben wurde, als es die Szene erforderte.

Das Schreiben von Krimis hat auch immer ein wenig von einem Zaubertrick. Man zeigt etwas, versteckt es dann und lenkt zugleich die Aufmerksamkeit des Zuschauers wieder auf etwas ganz anderes, damit er nicht mitbekommt, dass der Magier den Elefanten heimlich in die Jackentasche steckt. Das heimliche Verbergen nennt man „Palmieren“. Und ganz ähnlich muss auch oft ein Autor arbeiten. Er lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine Figur, damit er sie kennenlernt und gleichzeitig lenkt er sein Interesse wieder ab, versteckt diese Info unter einer Fülle anderer Eindrücke wieder. Wo versteckt man am einfachsten einen Apfel? Im Obstkorb. Wo am besten eine Figur? In einer Szene, in der mehrere Figuren beschrieben werden. Dies ist an dieser recht wichtigen Stelle Frau Greifenstein nicht ganz so gut gelungen. Zumindest ich wusste sofort, woran ich war.

Ist das ein Schnitzer? Nur weil ich dieses Problem anders gelöst hätte und meine Lösung vielleicht besser finde, kann ich das dem Buch kaum allzu sehr vorwerfen. Es ist zwar ein kleiner Mangel, aber – es ist nicht mein Buch. Und der hinreißende Tobi sowie einige andere sehr schön getroffene Figuren werfen ihr ganzes Gewicht in die andere Waagschale.

Was mir auch noch angenehm auffiel, war die Tatsache, dass die Kulinarik weniger Raum im Buch hatte als bei Spectaculum. Ausufernde Schlemmerei ließ der Plot nicht zu. Auch wenn ich Saumagen und Co sehr mag, begrüße ich diesen Rückbau, weil es die Geschichte nicht nötig hat, sich damit künstlich aufzuwerten. Nett aber ist, dass die im Buch erwähnten Lokale im Anhang noch einmal aufgeführt wurden.

"Pfalz Krimi" steht auf dem Umschlag. Pfalz ist drin. Guter Krimi ist drin, viel guter Lesespaß dazu. Ein Ensemble sympathischer und markanter Figuren rund um die unbremsbare Kommissarin und ein süßer Wonneproppen – Lotta Stern –obendrein. Die Serie dieser Wohlfühlkrimis ist gut weitergeführt worden. Gerne gebe ich meine Leseempfehlung.

Meine Rezensionen stehen unter www.perspektivwechsel.webador.de

   


Cover des Buches Die Haferhorde – Flausen im Schopf (ISBN: 9783734840203)

Bewertung zu "Die Haferhorde – Flausen im Schopf" von Suza Kolb

Die Haferhorde – Flausen im Schopf
Alexander_Ballyvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Nette Geschichte um freches Shettland-Pony und eine abenteuerliche Geisterjagd.
Pferdegeschichte – nicht nur für Mädchen!

Ein Pferdebuch, das Buch und Mädchen gleichermaßen anspricht, geht das?Hier gelingt es, denn es geht nicht eigentlich ums Reiten, sondern um das Leben der Pferde im Stall.

Die Hauptperson ist Schoko, ein Shettland-Pony, dass mit seinem besten Freund Keks, ebenfalls ein Shettie und Toni, einem Haflinger im neuen Zuhause einen Offenstall bezieht. Außerdem wohnen in den Boxen noch Ole, ein gemütlicher Kaltblutschimmel mit natürlicher Autorität und Gräfin, eine kapriziöse Trakhenerstute. Die vier Rassen sind mit ihren Eigenarten recht gut charakterisiert: Den Shetties fällt jeder Unfug ein, der Hafi ist eher gemütlich, die Ostpreußin schreckhaft und sensibel, wohingegen der Schleswiger Wallach um sich herum Ruhe verbreitet.

Die Zweibeiner bleiben im Hintergrund. Und das ist schon der erste Kritikpunkt. So, wie es die Geschichte schildert, werden die Tiere versorgt und gefüttert. Doch man bewegt sie kaum. Koppelgang? Der wird mit keinem Wort erwähnt. Tägliche Arbeit mit dem Pferden? Ausbildung oder Bewegung? Man fährt nur aus oder reitet mit den Tieren, wenn es den Zweibeinern in den Kram passt. Das ist sollte so nicht sein.

Tatsächlich ist aber genau das leider allzu oft der Fall. Pferdehalter halten sich ein Tier wie ein Sportgerät, das sie nutzen, wenn es ihnen gerade passt und das Wetter angenehm ist. Im Sinne der Pferde ist das nicht. Diese Tiere wollen mehrere Stunden am Tag bewegt sein. Das brauchen sie um gesund zu bleiben. Die Einstellung, das ein Tier kaum mehr Bedürfnisse hat als ein Moutainbike, sorgt auch dafür, dass viele Reitpferde kaum über die Hälfte der Lebensspanne hinauskommen, die sie bei besserer Haltung mit mehr Bewegung erreichen könnten.

Im Buch werden die Pferde geliebt und gut betreut. Und doch unterstützt das Buch die Vorstellung, Pferde bräuchten nur einen Stall, Futter und Wasser, nicht aber tägliche Arbeit zur Gesunderhaltung, in dem es diesen Aspekt einfach unter den Tisch fallen lässt. Ein guter Pferdehalter bewegt sein Pferd, damit es dem Pferd gut geht. Ich kannte einst Rubel, einen alten Herrn, ein Bayerisches Warmblut, den man nicht mehr reiten konnte. Täglich kam sein Besitzer in den Stall und sie machten lange Spaziergänge – dem Tier zuliebe. Das ist Horsemanship! Und das eben könnte das Buch auch zeigen – und tut es nicht.

Die Geschichte ist durchaus kurzweilig, denn es geht auf dem Hof ein Gespenst um und Schoko will es unbedingt fangen. Hier beginnt der Teil der Geschichte, in der die Pferde vermenschlicht werden müssen. Es gibt verschiedene Arten das zu tun. Suza Kolb macht es eigentlich nicht schlecht. Schoko, der Shettie-Rabauke bekommt lausbubenartige Züge und versucht dem Gespenst allerlei Fallen zu stellen. Dass man dabei kein natürliches Pferd mehr vor sich hat, ist klar. Er und seine Helfer handeln, wie ein Mensch handeln würde. Die Grafikerin unterstützt das auch mit einigen gelungen übertriebenen Illustrationen. Immer hin bleiben ihnen gewisse Grenzen gesetzt. So kann Schoko zum Beispiel keine Knoten knüpfen.

Und doch habe ich Miesepeter auch hier wieder etwas zu bemängeln. Schoko kann sich ziemlich frei ungehemmt und frei auf dem Hof bewegen. Nichts und niemand will das ernsthaft verhindern. Das gibt ihm und der Erzählung natürlich Freiraum, vermittelt in meinen Augen aber auch wieder ein falsches Bild. Pferde sind wundervolle Tiere, aber der Umgang mit Ihnen kann auch gefährlich sein. Sie sind schreckhafte Fluchttiere und reagieren, wenn sie Angst bekommen ungestüm und laufen, wenn sie können, weg. Dabei gefährden sie sich selbst und andere, was sie dann noch weiter aufregt. Es macht ziemliche Mühe, ein verstörtes Tier wieder einzufangen und heimzubringen. Darum ist jeder Pferdehalter sehr bemüht, seine Tiere so zu halten, dass sie da bleiben, wo sie sind. Dass Ponys nach Gutdünken auf dem Hof lustwandeln können, sollte aber nicht sein.

Dabei wäre die Lösung des Dilemmas gar nicht so schwer. Es gibt schlaue Pferde, die mit langem Hals und Lippen Boxenriegel öffnen. Es gibt Akrobaten die es schaffen, zwischen Koppelstangen hindurch zu steigen. Sogar von findigen Pferden habe ich gehört, die Elektrozäune lahmlegten. Man hätte also nur Schoko ein paar Eigenschaften eines Ausbrecherkönigs zuschreiben müssen und der zweibeinigen Chefin die redliche Absicht, ihren Hof sicher zu gestalten. Doch das tat man nicht.

Was ich auch nicht gut finde: Im Buch bestraft man die Tiere, die übermütig bei einem Ausritt eine andere Reiterabteilung im Galopp passieren (und dabei gefährden) und sich nicht durchparieren lassen mit Haferentzug. Und schon sträuben sich bei mir die Nackenhaare. Auch das ist ein kleiner aber sehr böser Fehler. Richtig ist, dass Hafer Pferden nicht nur Kraft gibt, sondern sie auch keck und unternehmungslustig macht. Die Energie der Körner will irgendwohin, notfalls setzen sie ihn in Übermut und Unsinn um. Von daher ist die Kürzung der Haferration nach einem solchen Streich keine sinnlose Maßnahme. Das kreide ich der Autorin nicht an. Doch das als Strafe zu bezeichnen, legt nahe, dass Futtergabe oder -entzug ein Mittel der Erziehung wäre und das ist grundfalsch. Wenn Kinder das lernen, wenn am sie Ende „brave Pferdis“ mit Extrahafer belohnen, gefährden sie sogar die Gesundheit der Vierbeiner.

Genug gemeckert. Das Buch ist wunderschön gemacht, Nina Dullbeck hat es toll illustriert und die Tiere treffend und mit Witz eingefangen. Nur ein klitzekleiner Fehler ist ihr unterlaufen. Einmal zeigt sie einen Steigriemengurt, der unter dem Sattelgurt verschnallt ist. Aber ich bin kleinlich, das ist mir klar.

Bei der Herstellung nahm der Verlag auf Klima und Umwelt größtmöglich Rücksicht. Die Geschichte ist nett und schnurrig, spannend, gut erzählt und voller altersgerechter Gags. Auch die Länge der Kapitel und der Geschichte im ganzen ist gut bemessen. Für junge Leser, die gerade die Welt der Bücher erobern herausfordern, aber zu bewältigend und für junge Leseratten ein gut portionierter Lesehappen. Angenehm ist auch, dass sie auch Jungs begeistern kann. Weniger schön ist, dass Pferde nicht nur die Eigenheiten ihrer Rasse widerspiegeln sondern auch die menschlichen Geschlechterrollen. Ein kapriziöser Wallach statt der Gräfin oder eine Hafi-Stute hätte der Geschichte keinen Schaden zugefügt. Deshalb will ich kein Fass aufmachen. Doch es zeigt, wie tief diese Klischees der Geschlechterrollen in uns verankert sind.

So bleibt es eine nette Geschichte von lausbubenhaften Ponys auf Gespensterjagd. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr. Das Buch zeigt auf jeder Seite, dass die Autorin von Pferden begeistert ist und auch etwas von ihnen versteht. Doch in zweifacher Hinsicht fand ich das Buch nicht gelungen. Es will wohl für Pferde begeistern, doch es versucht nicht einmal ganz elementare Grundlagen der Pferdehaltung korrekt zu zeigen. Und obendrein vermittelt durch ein paar ungeschickte und falsche Signale ein völlig falsches Bild, das jeder Horsemanship zuwiderläuft. Hier wurden Chancen und Möglichkeiten versäumt. Sehr schade. So bleibt nur es eine nette Geschichte. Vielleicht wird es aber bei den nächsten Bänden besser. Ich werde noch einen zweiten Blick wagen.

Das Buch ist übrigens der Auftakt einer vielbändigen Reihe, die offenbar sehr gerne gelesen wird. Dies sagen die Ausleihzahlen unserer Bücherei.
Ist es schlimm, wenn sich Kinder auch für Bücher begeistern, die ich nicht so gelungen finde? Nein. Natürlich nicht. Und ich will niemandem den Spaß verderben. Doch meinen Blick lasse ich dadurch auch nicht trüben.

 

Ein Tipp noch:
Das Buch wurde schön  von Bürger Lars Dietrich als Hörbuch eingelesen.

Ein letzter Tipp:
Herausragend ist der Buchteaser, ein Minitrickfilm

Ich rezensiere auf www.


Ich rezensiere auf www.perspektivwechsel.webador.de

Cover des Buches Das vierzehnkarätige Auto (ISBN: 9783359500285)

Bewertung zu "Das vierzehnkarätige Auto" von P. Howard

Das vierzehnkarätige Auto
Alexander_Ballyvor 3 Jahren
Kurzmeinung: In Ungarn Kult, hier fast unbekannt! Eine Achterbahnfahrt des Abenteuers und superwitzig!
Ein Feuerwerk der Einfälle

Da mich "Ein Seemann hieß Marita" nicht vollständig begeistern konnte, will ich nun das vierzehnkarätige Auto nachschieben.

MacGuffin nennt man in Filmen und Geschichten ein Objekte oder eine Person, die zwar die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, aber selbst eigentlich für die Geschichte bedeutungslos sind. Im Sport wäre es beispielsweise ein Fußball. Es geht nicht um den Ball an sich, sondern um die Tore, aber der Ball ist es dennoch, der 22 Leute auf dem Rasen bis zur Erschöpfung laufen lässt.

In unserer Geschichte ist ein blauer Alpha solch ein MacGuffin. Sein Weg ist dank der Geschichte untrennbar mit der des Helden verbunden, Iwan Gortschef, einem 23-jährigen Abenteurer, der zu Beginn der Geschichte gerade den Nobelpreis für Physik gewonnen hat. Gut – er gewann den Preis beim Kartenspiel, aber gewonnen ist gewonnen. So steht er nun plötzlich reich wie Nabob auf dem Kai in Nizza, und verpflichtet Herrn Vanek, einen der dort herumstehenden Gepäckträger, der aus dem Rahmen fällt. Er trägt einen Kneifer, statt eines Hemdes ein leuchtend gelbes Handtuch vor der Brust, darüber ein Braunes Sacco und dazu eine Badehose. Außerdem fühlt er sich außerstande Lasten zu tragen, hat aber Manieren und lässt sich auf der Stelle als Sekretär anstellen. Diese Position wird ihn am Ende glücklich machen, doch bis dahin ist es für ihn ein weiter und sehr beschwerlicher Weg.

Zunächst aber beginnen die beiden ein verschwenderische Leben, denn Iwan Gortschew ist ein leichtsinniger Mensch. Auch mit der Wahrheit nimmt er es nicht so genau, auch wenn er kein Lügner ist, nicht im eigentlichen Sinne. Es sagt nur oft das, was ihm in den Sinn kommt, und dann ist darin oft kaum mehr als nur ein Quäntchen Wahrheit enthalten. Dennoch hat etwas Unschuldiges an sich, wirkt wie ein zu alt gewordener Lausbub, der den Kopf voller Unsinn hat, aber die Bosheit des Herzens nicht kennt.

Apropos Herz … In einem ernsten Anfall von Liebe auf den ersten Blick wählt er eine junge Dame zur künftigen Gattin und Dame seines Herzens. Zuerst verprügelt er ihren Verehrer, hält dann um die Hand der Angebeteten an, stellt sich ihrem Vater vor, einem General, in dem er ihn bei einem Überfall rettet. Die beiden sind sich zwar sympathisch, wie sie anschließend in einer freundschaftlichen Prügelei feststellen, doch als Schwiegersohn ist Gortschew dennoch unpassend. Es sei denn, er würde sich als Beweis seiner Ernsthaftigkeit bei der Fremdenlegion melden.

All dies geschah und wir haben gerade einmal vierzig Seiten gelesen. In diesem Tempo geht es weiter. Gortschew eilt ins Rekrutierungsbüro, schreibt sich ein, doch seinen Dienst kann er umständehalber nicht antreten. Er muss Annette, die künftige Frau Gortschew retten. Die wurde entführt und im weiteren Verlauf wird er noch einige Male es versäumen müssen, sichhttps://shop.autorenwelt.de/products/die-zeitarbeiterin-studentin-pleite-aber-flexibel-von-anja-bagus?variant=39252959101021 der Truppe anzuschließen. Das fällt aber nicht auf. Er lässt sich einfach interimsweise durch Vanek, seinen Sekretär vertreten. Und der – nun unversehens Gemeiner Nummer 27 – löst eine Reihe von Unglücken aus – für sich und andere. Er ist ein Zivilist bis ins Mark und seine Unfähigkeit militärische Umgangsformen auch nur im Ansatz anzunehmen, machen ihn und seine Vorgesetzten gleichermaßen unglücklich. Ihn, weil er entweder geschliffen wird oder in Eisen liegt, und seine Offiziere, weil seine Manieren wie freundliches Grüßen durch unmilitärisches Käppi-Lüften ihnen binnen Tagen psychosomatische Beschwerden beschert. Hier wird die Geschichte zu einer Militärposse, neben der der gute Schwejk beinahe trist wirkt. Am ehesten kann man es wohl mit dem meisterhaften Album „Asterix als Legionär“ von Goscinny und Underzo vergleichen.

Und das Auto? Seine Karosserieteile besteht tatsächlich aus 14-karätigem Gold, dem Schatz eines des Thrones beraubten afrikanischen Potentaten. So ist es Gegenstand des lebhaftesten Interesses von widerstreitenden Parteien, die sich den Wagen immer wieder aufs neue abjagen wollen. Dabei greift immer wieder Gortschew ein, eigentlich gänzlich unbeteiligt und ein völlig unberechenbares Zufallselement, aber dank seiner Liebe zu Annette auch sehr parteiisches.

Würden Ideen physisch Raum einnehmen, würde dieses Buch in mehreren Bänden erscheinen müssen, um all den vielen Geistesblitzen Raum zu geben. Witzige Dialoge, Situationskomik, aberwitzige Wendungen wie in Screwball-Komödien und immer wieder der Humor, der entsteht, wenn Figuren auch in Extremsituationen eisern an guten Manieren festhalten. Auf seinen gut und genau recherchierten Beschreibungen der Fremdenlegion gründet sich wohl auch die Legende, er habe dort selbst gedient. Das ist falsch, doch sein durchaus bunter Lebenslauf findet in vielen Details des Buches seinen Niederschlag.

Zu Jenő Rejtő habe ich im anderen Buch schon einiges geschrieben. Zurecht ist er in Ungarn immer noch ein Topautor. Leider ist nicht alles ins Deutsche übersetzt, doch den Büchern die ich kenne, ist dieses wohl eines seiner besten. Wer einen Roman sucht, der den Leser so mitreißt und begeistert, dass er zwar gelegentlich die Übersicht verliert, aber nie den Lesespaß, ist mit diesem Buch, auch wenn es im Moment nur als ebbook erhältlich ist, bestens bedient.

Ein echter Geheimtipp, aber ein guter!

Rezension von www.perspektivwechsel.webador.de

   


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das tolle Bild ist von Rosi Radler

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Historische Romane, Fantasy, Krimis und Thriller

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