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Alexandra-H

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Cover des Buches Das Schweigen des Wassers (ISBN: 9783608501940)

Bewertung zu "Das Schweigen des Wassers" von Susanne Tägder

Das Schweigen des Wassers
Alexandra-Hvor 15 Tagen
Etwas Besonderes

Beginn der Neunziger. Deutschland nach der Wende. Mecklenburg Vorpommern. Kriminalkommissar Arno Groth, ein „Westler“ aus Hamburg, wird in die Provinz geschickt und soll dort so etwas wie polizeitechnische Aufbauhilfe leisten. Gleich zu Beginn wird er mit einem Todesfall konfrontiert, hinter dem einiges mehr zu stecken scheint, als zunächst suggeriert wird. Verbindungen zu einem zehn Jahre zurückliegenden Mordfall drängen sich auf. Ein Cold Case, zu den Akten gelegt. Gewollt nie aufgeklärt? Dies in groben Zügen die Geschichte.
Die Lektüre von Susanne Tägders Debütroman „Das Schweigen des Wassers“ (Tropen Verlag) geht nicht ohne Staunen über ihr bewundernswertes schriftstellerisches Geschick vonstatten. So ist es jedenfalls mir ergangen und ich bin mit dieser Regung nicht allein.
Da ist zum einen die zentrale Geschichte, die Rätsel aufgibt und Spannung erzeugt, doch für mich entscheidend für die Qualität des Leseerlebnisses ist der menschliche Teil, sind die in die Handlung involvierten Personen. Mit großem Feingefühl werden Empfindungen und Stimmungen dargestellt, ohne dass sich die Autorin dabei in langwierigen Betrachtungen verliert. Da ist nichts überflüssig, kein Wort zu viel. Und gerade deshalb wird eben doch so viel deutlich: Trauer, Bedauern, Leere, Enttäuschung, Resignation … die ganze emotionale Bandbreite.
Susanne Tägders Stil ist besonders: Poetisches geht Hand in Hand mit Reduktion und Kargheit, aber auch mit subtilem Witz.
Die Kargheit passt gut zum Schauplatz der Handlung, aber auch zu den Gegebenheiten der Zeit. Man ist ohnehin daran gewöhnt, eher wenig von sich zu geben. Vorzugsweise dann, wenn einem einer aus dem „Westen“ ins Nest gesetzt wird. Das Schweigen oder Nur-wenig-Sagen passt folglich in vieler Hinsicht. Entweder, weil es tatsächlich etwas zu verschweigen gibt (und dem ist so), man gelernt hat, dass sich versiegelte Lippen als klüger erweisen oder es schlichtweg zu Territorium und Menschenschlag passt.

Wer rasante Action sucht, der wird hier keinesfalls auf seine Kosten kommen.
Wem hingegen Feinmaschiges, der Reiz des Zwischen-den-Zeilen-Lesens und Bedacht zusagen, dem sei dieser literarische Krimi wärmstens empfohlen.

Cover des Buches Was wir wollen (ISBN: 9783365000878)

Bewertung zu "Was wir wollen" von Meg Mason

Was wir wollen
Alexandra-Hvor 2 Monaten
Was gut beginnt …

Wiedermal ist es passiert. Ich habe ein Buch mit viel Enthusiasmus begonnen und ziemlich ernüchtert beendet.

Worum geht es?

Martha, die Ich-Erzählerin von „Was wir wollen“ (Originaltitel: „Sorrow and Bliss“), wächst in einem instabilen Zuhause auf. Die Mutter, dem Alkohol zugetane Künstlerin, ist egozentrisch, wenig präsent und wenn sie es doch mal ist, nicht auf stützende, liebevolle Weise. Der Vater, ein Lyriker, ist zwar fürsorglich, aber oft in seinen eigenen Sphären verhaftet. Nur zu ihrer Schwester Ingrid hat Martha ein sehr enges Verhältnis. 

Als junge Frau rutscht Martha in eine Art Depression, der die konsultierten Ärzte mit ihren Medikationen nicht wirklich beizukommen vermögen. 

Sie geht eine kurze Ehe mit einem komplett unpassenden Mann ein, um nach diesem Irrweg schließlich den ruhigen, zuverlässigen Patrick zu heiraten, den sie seit vielen Jahren kennt und der ihr schon lange starke Gefühle entgegenbringt. 

In ihrer Ehe verhält sich Martha häufig destruktiv. Ihr Benehmen dem außergewöhnlich geduldigen Patrick gegenüber mitzuerleben, hat mich als Leserin zunehmend irritiert, zeitweise auch gelangweilt. Natürlich lassen sich Marthas Entgleisungen durch ihre psychische Störung erklären, aber auf die Dauer der Geschichte hat sich dieses Phänomen abgenutzt. Dies auch, weil ich nicht recht verstanden habe, worauf die Autorin eigentlich hinauswollte. Kurzum: Was mich anfangs fasziniert hat (die erzählerisch zunächst sehr feinmaschig angegangene Beschreibung familiärer Verflechtungen und einer psychischen Störung), ist irgendwann der Ungehaltenheit gewichen. Um so mehr, als sich die Autorin im letzten Drittel des Romans eines Kunstgriffs bedient, für den ich wenig Verständnis aufbringen konnte: Beim Besuch eines Psychiaters wird Martha nämlich eine Diagnose gestellt, die alle bisherigen Befindlichkeiten und Verhaltensweisen erklären soll. Wir erfahren als Leserinnen aber nicht, wie diese Diagnose lautet, denn sie wird konsequent bis zum Schluss mit dem Zeichen  _  dargestellt (zumindest im englischsprachigen Original). Möglicherweise steht dieses _ für eine bipolare Störung oder für Schizophrenie, doch das ist lediglich eine Vermutung. 

Um ein bisschen Erhellung zu erlangen, habe ich einige Rezensionen anderer Leser*innen und ein Interview mit der Autorin gelesen. Schlauer bin ich immer noch nicht.

Ich komme mir ein bisschen vor wie die Besucherin einer Kunstausstellung vor einer weißen Leinwand. Mir wird allseits suggeriert, der Künstler habe damit möglicherweise dies oder jenes, vielleicht sogar sehr Bedeutungsvolles sagen wollen. Ich müsse nur ordentlich nachdenken. 

Wie auch immer, ich finde diese Weise der Autorin, sich im Ungefähren zu verlieren und, ja, auch aus der Affäre zu ziehen, unbefriedigend. Schade, denn es gibt wirklich starke Passagen mit filigranen Observationen und Introspektionen. 




Cover des Buches Tausend strahlende Sonnen (ISBN: 9783596520701)

Bewertung zu "Tausend strahlende Sonnen" von Khaled Hosseini

Tausend strahlende Sonnen
Alexandra-Hvor 3 Monaten
Aufwühlend, dabei nie gefühlsduselig

Wieder mal ein Buch, das schon vor längerer Zeit (2007) veröffentlicht wurde, das ich aber erst jetzt gelesen habe, auch wenn ich den iranisch-amerikanischen Autor schon durch seinen „Drachenläufer“ kennen und schätzen gelernt habe. 


„Tausend strahlende Sonnen“ ist einer der Romane, die mitten ins Herz treffen. Gut, ich sollte vielleicht einfach für mich sprechen, denn für mich war es so. Dabei ist mir die afghanische Kultur fremd. Weiter östlich als Jordanien und Oman bin ich nie gekommen.
Wie wir alle wissen, hat Afghanistan nach Abzug der NATO-Allianz im Jahr 2021 auf traurige Weise neue „Popularität“ erlangt. Die alles umfassende Machtergreifung der Taliban hat der leidgeprüften Bevölkerung weitere Verelendung beschert. Besonders tragisch ist das Ganze für die Frauen, die nun erneut und definitiv aller Rechte und Möglichkeiten beraubt sind. Vor diesem Hintergrund liest sich die Geschichte der zwei Frauen Mariam und Laila auf besondere Weise, denn als Leserin weiß ich, dass der schweren Zeit, die sie durchleben, weitere schwere Zeiten folgen. Ohne absehbares Ende.
Mariam ist noch ein Mädchen, als sie mit dem dreißig Jahre älteren Raschid verheiratet wird und zu ihm nach Kabul ziehen muss. Unschwer zu erraten, dass Raschid ein Fiesling ist, der nur in der allerersten Zeit der Ehe ein paar minimale Nettigkeiten aufbieten kann. Parallel zu Mariams Geschichte wird die der um einiges jüngeren Laila erzählt, die in Kabul in Mariams Nachbarschaft aufwächst. Die beiden Frauenschicksale verflechten sich, als Laila vierzehnjährig ihre Eltern verliert, selbst schwer verletzt wird und bei Miriam und Raschid Unterschlupf findet. Dort wird sie aufgepäppelt, muss aber bald erkennen, dafür einen Preis bezahlen zu müssen: Raschid will sie nämlich zur Frau nehmen. Während Mariam und Laila nach anfänglichen Konflikten solidarisch zueinander finden und die eine die andere ins Herz schließt, wird Raschid immer unerträglicher. Hier will ich nicht weiter erzählen, denn die ganze Geschichte ist komplex.
Faszinierend und ergreifend ist es, lesend mitzuerleben, wie sich die nicht enden wollenden Kämpfe, Kriegsmachenschaften und das andauernde Machtgezerre im gebeutelten Afghanistan auf das Dasein dieser Frauen auswirken. Auch wenn es für mich manchmal schwer auszuhalten war, konnte ich das Buch kaum weglegen.Angeregt hat es mich nebenbei, meine geschichtlichen Kenntnisse aufzufrischen, was die turbulenten letzten drei Jahrzehnte dieses Landes angeht.
Khaled Hosseini ist ein vorzüglicher Geschichtenerzähler, der zudem mit detaillierten Kenntnissen der politisch-gesellschaftlichen Hintergründe seines Geburtslandes aufwarten kann. Das Erzählen aus Sicht der zwei Frauen gelingt ihm auf einfühlsame Weise. Dabei gleitet er bei aller Tragik nie in Gefühlsduseleien ab. 

Cover des Buches Bella Germania (ISBN: 9783596521807)

Bewertung zu "Bella Germania" von Daniel Speck

Bella Germania
Alexandra-Hvor 3 Monaten
Hoher Unterhaltungswert auf dem soliden Boden von gut recherchiertem Zeitgeschehen

Late to the party. Daniel Specks „Bella Germania“ wurde bereits 2016 veröffentlicht und zudem ein absoluter Bestseller mit Verfilmung durch ZDF und RAI. 

Nichtsdestotrotz habe ich den Roman erst jetzt gelesen, was auch damit zusammenhing, dass ich aus aktuellem Anlass ein zweites Mal zu seinem in Teilen dramatischen Roman „Jaffa Road“ gegriffen hatte. In der Folge kam dann die Lust, einen weiteren Roman dieses begnadeten Erzählers zu lesen. Soweit die Vorgeschichte zur Lektüre.

Speck erzählt seine Geschichten auf klassische Weise. Keine Experimente, kein Bemühen um ungewöhnliche Form oder Effekte. Hingegen solide Recherche, die es ermöglicht, den geschichtlichen Hintergrund lebendig werden zu lassen. In zwei Handlungssträngen, Gegenwart zum einen,  Fünfziger-, Sechziger, Siebzigerjahre zum anderen, erleben wir familiäre Verquickungen und deren sich für die Leserin langsam entwickelnde, spannende Entwirrung.

Schauplätze sind dabei Mailand, die äolische Insel Salina und München. Thematisch befassen wir uns mit Entwurzelung, Verlust von Heimat, Identitätssuche und dem Nie-wirklich-Ankommen. Mit dem Erkennen und Verwirklichen der persönlichen Bedürfnisse, dem Scheitern und Wiederaufstehen. Dies, vorwiegend aber nicht nur, vor dem Hintergrund der Schicksale von italienischen „Gastarbeitern“, die von den Fünfzigerjahren weg nach Deutschland gerufen wurden, um dort dann nicht mit besonderer Gastfreundschaft behandelt zu werden. 

Dazu kommt die Thematik der terroristischen RAF im Deutschland der Siebzigerjahre und, eher am Rande, dem italienischen Pendant dazu, den roten Brigaden. 

Dies alles wird, wie bereits erwähnt, auf gründlich recherchiertem Boden einnehmend dargebracht. 

Daniel Speck ist ein ausgezeichneter Italienkenner, was in vieler Hinsicht deutlich wird. 

In den höchsten Sphären der Literatur bewegen wir uns hier nicht. Das soll es auch nicht sein. Dafür wird gute Unterhaltung geboten, die mir um ein Vielfaches lieber ist als bemühte literarische Verrenkungen. 

Cover des Buches Eine halbe Ewigkeit (ISBN: 9783805201018)

Bewertung zu "Eine halbe Ewigkeit" von Ildikó von Kürthy

Eine halbe Ewigkeit
Alexandra-Hvor 3 Monaten
Hat sich entwickelt

Hätte ich der Versuchung nachgegeben und dieses Buch nach ca. hälftiger Lektüre weggelegt, dann wäre meine (in dem Fall natürlich unzureichende) Rezension eher ungnädig ausgefallen. Moniert hätte ich den verschwenderischen Rückgriff auf hinreichend ausgeschlachtete  Figuren (wie den regelmäßig wiederkehrenden Erdal) und den über zwanzig Jahre alten Erfolgsroman „Mondscheintarif“, Ergüsse im Stil einer ausufernden Kolumne über Frauen in den Wechseljahren, Überzeichnungen beim Personal und einige Längen. Da es sich bei dem Buch um den Gewinn einer Verlosung handelt, war das Abbrechen jedoch keine Option. Tatsächlich konnte der Roman sein durchaus vorhandenes Potential in der zweiten Hälfte entfalten, indem sich zuvor immer wieder Angedeutetes endlich konkretisiert hat. 

Mit dem Fortschreiten der Handlung haben sich die Schwächen der ersten Hälfte zwar nicht in Luft aufgelöst, im Hinblick auf den zunehmend Konturen annehmenden Konflikt jedoch an Gewicht verloren. Ildiko von Kürthy ist schließlich eine Autorin, die durchaus etwas zu sagen hat. Sie vermag eine große Portion Lebenserfahrung und viele kluge Gedanken mit Komischem zu paaren, verfügt über Sprachwitz und sieht das Skurrile in Gegebenheiten, die manch einem gar nicht lustig erscheinen mögen. 

Dass sie sich dafür bei “Eine halbe Ewigkeit“ erstmal ein bisschen warmlaufen musste, lässt sich nicht ganz wegradieren und fließt für mich in den Gesamteindruck ein, kann ihr aber schlussendlich doch verziehen werden. Genauso wie einige Übertreibungen und szenische Ausschlachtungen. 


Mein Fazit in Zahl von Sternen: 3.5

Cover des Buches Neujahr (ISBN: 9783442770540)

Bewertung zu "Neujahr" von Juli Zeh

Neujahr
Alexandra-Hvor 4 Monaten
Spannend, aber nicht vollständig überzeugend

Nachdem ich in Juli Zeh-Leselaune war und zudem noch immer auf Lanzarote weilte,  habe ich mir nach „Nullzeit“ gleich noch „Neujahr“ zu Gemüte geführt, das ebenfalls auf der kargen und doch reizvollen Insel spielt. Mit nur knapp 200 Seiten war die Lektüre kein langwieriges Unterfangen.
Auch wenn die in zwei Strängen erzählte Geschichte sehr spannend ist, fand ich das Ganze schlussendlich etwas konstruiert.
Aber der Reihe nach: Henning, Sachbuchlektor und knapp 40, ist mit seiner Frau Theresa und den zwei kleinen Kindern im Urlaub auf Lanzarote (Erzählstrang 1). Was wir bald erfahren: Er leidet unter heftigen und äußerst belastenden Panikattacken, deren Ursache ihm unerklärlich ist. Dazu kommt das omnipräsente Gefühl, seinen Aufgaben als Ehepartner und Vater nicht wirklich gerecht zu werden. 

In der finalen Phase einer anstrengenden Radtour, die er am Neujahrstag alleine unternimmt, fühlt er sich auf fast magische Weise zu einem abgelegenen Haus hingezogen, das ihm erstaunlicherweise bekannt vorkommt. Nach und nach präsentieren sich ihm einige Bilder aus seiner Kindheit. In diesem Haus, das nun von einer deutschen Künstlerin bewohnt wird, hat er nämlich als kleiner Junge mit den Eltern und der kleinen Schwester Ferien verbracht.
Hier setzt der zweite Erzählstrang ein: dreißig Jahre zuvor. Die zunächst harmonisch verlaufenden Ferientage nehmen eine unheilvolle Wendung. Es geschieht Erschreckendes.
Für Hennings Panikattacken im Erwachsenenalter und die mangelnde Erdung seiner jüngeren Schwester gibt es folglich Gründe. 

Henning findet endlich Zugang zu seinen Gefühlen. Eine Klärung, die für die Leser:innen nachvollziehbar ist.
Die Autorin scheint zum Schluss allerdings mit ihrer eigenen Geschichte Ungeduld zu empfinden. Mich vermag das ziemlich abrupte Ende nicht recht zu überzeugen. 


Cover des Buches Nullzeit (ISBN: 9783641242763)

Bewertung zu "Nullzeit" von Juli Zeh

Nullzeit
Alexandra-Hvor 4 Monaten
Clever aufgebaut

Wenn ich reisend unterwegs bin, lese ich gerne einen Roman, der seinen Schauplatz an meinem Ferienort hat. Im weitesten Sinn. Da ich von Juli Zeh schon länger nichts mehr gelesen habe, ist meine Wahl auf „Nullzeit“ gefallen, eines ihrer älteren Bücher, das auf Lanzarote spielt. Protagonisten sind der Ich-Erzähler Sven, ein schon länger auf der Insel lebender Tauchlehrer, und das aus Deutschland kommende Paar Jola und Theo, eine wohlhabende junge Schauspielerin und ein etwas älterer Schriftstelle. Wobei der von Jola als „alter Mann“ bezeichnete Theo gerade mal zweiundvierzig ist. Das Paar hat sich Sven exklusiv für zwei Wochen als privaten Tauchlehrer „gekauft“. Wohnen tun sie in einem Haus, das Sven und dessen Partnerin Anja gehört. 

Bald zeigt sich, dass die Beziehung zwischen Jola und Theo sehr ambivalent ist. Anziehung und Abhängigkeit auf der einen Seite, sowie Demütigungen und sogar Gewalt auf der anderen.
Sven, der sich Jolas Flirtmanövern und raffinierten Manipulationen nicht entziehen kann, gerät sukzessive in den Gefühlsdschungel des Paares und damit in einen unheilvollen Sog. 

Juli Zeh, die eine versierte und enorm sprachsichere Autorin ist, hat es geschafft, auch mich in einen Sog geraten zu lassen: allerdings keinen unheilvollen. Immer schneller habe ich Seite um Seite weggelesen, um endlich zu erfahren, wie das sich mehr und mehr Zuspitzende ausgeht. Was enorm zur Spannung beiträgt, ist ein geschicktes Spiel mit der Glaubwürdigkeit. Belügt sich Laura selbst in ihren Tagebucheinträgen oder ist es gar der Ich-Erzähler Sven, der einer Wahrnehmungsverzerrung aufsitzt? Als Leserin bleibe ich im Zweifel.

Es mag am Ende die eine oder andere Sache etwas konstruiert und „over the top“ erscheinen, fesselnd ist die Lektüre allemal. 

Cover des Buches Acht Wölfe (ISBN: 9783453274310)

Bewertung zu "Acht Wölfe" von Ulla Scheler

Acht Wölfe
Alexandra-Hvor 5 Monaten
Cover des Buches Frei (ISBN: 9783518473245)

Bewertung zu "Frei" von Lea Ypi

Frei
Alexandra-Hvor 6 Monaten
Kindheit und Jugend im sozialistischen Albanien

Wer an die Lektüre „Frei“ mit der Erwartung herangeht, in eine kontinuierliche Handlung eintauchen zu können, der wird wohl eher enttäuscht sein. Kontinuierlich ist in diesem Memoir lediglich der chronologische Ablauf, der sich in einem Gefüge verschiedener Episoden darlegt. Diese sind jedoch aussagekräftig und berührend. Berührend insbesondere, wenn es um Lea Ypis Familie geht, die in besonderem Maß unter dem diktatorischen Regime des sozialistischen Albanies und dessen Überwachungsmechanismen und der extremen Repression zu leiden hatte.  

Das Memoir beginnt bei Ypis von Indoktrination geprägten Kindheit. Die kleine Lea glaubt, was ihre Lehrerin über Stalin sagt. Er sei ein gütiger Mann gewesen, der Kinder liebte. Das Gleiche gelte auch für Enver Hoxha, der ein verehrungswürdiger Staatschef sei.

Wir erleben Ypis Schilderung dieser kindlichen Erfahrung zunächst frei von jeglicher Wertung. So, wie sie selbst damit konfrontiert wurde, im Glauben an die Richtigkeit dieser Darstellung.

Als Leser*innen können wir deshalb zunächst auch nur vermuten, weshalb Lea Ypis Eltern sich nicht dem Wunsch des Kindes beugen, ein Bild Enver Hoxhas im Wohnzimmer aufzustellen. Stattdessen haben Mutter und Vater viele Ausreden, warum das gerade nicht möglich ist. Wir nehmen dabei Anteil an Leas Verwirrung, wenn es um beklemmende Stille, nervös ausgetauschte Blicke und seltsame Kommunikationsformen im Elternhaus geht, in dem auch die Großmutter lebt. 

Neben solchen persönlich-familiär bezogenen Szenen gibt es immer auch Informationen zur  politischen Situation und Entwicklung des Landes. Je älter Lea wird, desto klarer wird auch erkennbar, wie viel Dramatisches und Schwerwiegendes sich tatsächlich ereignet (und in der Vergangenheit der Familie ereignet hat). Wir folgen hier lesend den Geschehnissen im Gleichschritt mit dem zunehmenden Bewusstwerdungsprozess der Ich-Erzählerin. Ein Prozess vor dem Hintergrund von eskalierender Auflehnung großer Teile der Bevölkerung bis hin zum Sturz des Systems mit all seinen chaotischen, sich lange hinziehenden Folgen. 

 Ich habe während des Lesens immer wieder recherchiert, was in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrtausends bzw. bereits nach dem zweiten Weltkrieg in Albanien passiert ist, denn mein Wissen war sehr beschränkt. So gesehen habe ich dieses Buch auch und vor allem aus Interessensgründen geschätzt. 

Vor allem gegen Ende dringt Lea Ypi, die Intellektuelle, deutlich durch. So gibt legt sie einige philosophische und gesellschaftspolitische Gedanken zum Freiheitsbegriff dar, was aufmerksames Mitdenken erfordert.

Kleine Kritik am Rande: Im ersten Teil des Buches, in dem die Autorin ihr kindliches Ich beobachten und erzählen lässt, scheinen mir die begleitend geschilderten Kenntnisse und Schlussfolgerungen oft nicht im Einklang zu stehen mit dem, was ein Kind in dem Alter tatsächlich leisten kann. Da hat sich die erwachsene Frau in die gewählte kindliche Sichtweise geschlichen, was aus meiner Sicht mehrmals zu kleinen Dissonanzen geführt hat. 

   Insgesamt eine lehrreiche und durchaus inspirierende Lektüre.

Cover des Buches A Town Called Solace: LONGLISTED FOR THE BOOKER PRIZE 2021 (ISBN: 9781784743925)

Bewertung zu "A Town Called Solace: LONGLISTED FOR THE BOOKER PRIZE 2021" von Mary Lawson

A Town Called Solace: LONGLISTED FOR THE BOOKER PRIZE 2021
Alexandra-Hvor 7 Monaten
Mary Lawson, eine Geschichtenerzählerin erster Güte

Was für eine Autorin! Unterhaltungsliteratur, die nicht nur ihren Namen verdient, sondern in Sache feinfühliger Figurenzeichnung (hinter der sich eine große Portion Lebenserfahrung und Empathie verbirgt) so manchen wohlgelobten Literaten in den Schatten stellt. 

„A Town Called Solace“ (gibt es auch auf Deutsch: „Im letzten Licht des Herbstes“) reiht sich ein in eine leider nur kleine Folge ausgezeichneter Romane dieser kanadischen Schriftstellerin, die allesamt zu lesen sich unbedingt lohnt. Wenn dann am Ende, wie bei dieser Geschichte, dem feelgood-Faktor eine Winzigkeit zu viel Tribut gezollt wird, dann liegt das problemlos drin. Mehr noch, kommt der Leserin (sprich: mir) entgegen. Kitschig wird Mary Lawson nämlich nie. 

Kein Wunder, dass eine Autorin wie Anne Tyler sich lobend über die Kollegin ausspricht. 

Lawson kann sich mit nordamerikanischen Autorinnen wie eben Anne Tylor oder Elizabeth Strout erhobenen Hauptes in eine Reihe stellen.

Erzählt wird die Geschichte, die sich in einer nordkanadischen Kleinstadt abspielt, aus drei Perspektiven:

Da ist zunächst die achtjährige Clara, deren große Schwester verschwunden ist und die sich sehnlichst deren Rückkehr wünscht. Während sie in unermüdlicher Wache am Fenster stehend ausharrt, behält sie auch das Nachbarhaus im Auge. Sie kümmert sich dort nämlich um den Kater der abwesenden Elizabeth, nicht wissend, dass die alte Dame nie wiederkommen wird.

Aus der Perspektive von Elizabeth erfahren wir zeitverschoben (zum eigentlichen Zeitpunkt der Handlung lebt sie bereits nicht mehr) über deren Ehe, ihre Entbehrungen und ein länger zurückliegendes schwerwiegendes Vergehen.

Die dritte Perspektive ist die des frisch geschiedenen Liam, der in das Haus von Elizabeth zieht, das er von eben dieser geerbt hat. 

Wie sich die Beziehung zwischen Clara und Liam entwickelt, was Liam mit der verstorbenen Elizabeth verbindet und was im Städtchen Solace sonst noch geschieht, ist dramaturgisch perfekt konstruiert und wird mit feinem Humor und ungeheurem Einfühlungsvermögen erzählt.

Wer 2021 den Booker Prize schlussendlich gewonnen hat, weiß ich nicht. Lawson hätte ihn mit dieser Geschichte verdient. 

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