Allesleserin
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In Paul Murrays "Der Stich der Biene" verliert eine vierköpfige Familie langsam aber sicher den Boden unter den Füßen. Dabei wird die Geschichte jeweils aus der Perspektive der verschiedenen Familienmitglieder erzählt. Jeder lebt dabei in einer vollkommen anderen Realität, mit ganz unterschiedlichen Problemen und Verrücktheiten. Dieser Perspektivwechsel ist Murray sehr gut gelungen. Jede Figur fühlt sich sehr anders an und auch, wenn alles überspitzt und absurd dargestellt wird, kann man sich doch in den Unsicherheiten und der Orientierungslosigkeit der Erwachsenen und Kinder wiederfinden. Das ist auch etwas sehr gelungenes, denn obwohl die vier einzelnen Geschichten so unterschiedlich sind, verarbeiten sie doch die gleichen Themen.
Der Erzählstil ist recht eigenwillig und sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Die Perspektive Imeldas wird vollständig ohne Satzzeichen erzählt, aber mich hat das nicht gestört, sondern eher mehr in die Geschichte gesogen. Auch ist gelegentlich die Wortwahl abstoßend und einige Szenen verstörend, was hier aber gut gepasst hat und den allgemeinen Verfall verdeutlicht hat. Denn in jeder Zeile auf jeder Seite konnte man subtil spüren, dass alles kein gutes Ende nehmen wird, dass alle auf eine Katastrophe zusteuern, die sie selbst verursachen. Das hat bei mir häufig ein beklemmendes Gefühl ausgelöst und manchmal brauchte ich eine Pause vom Lesen.
Insgesamt ist dem Autor glaube ich genau das gelungen, was er wollte. Er hat eine scharfe Abrechnung mit unseren schlechten menschlichen Eigenschaften durchgeführt (dabei immer wieder auf den Klimawandel verwiesen) und trotzdem hängt ein Hauch von Hoffnung in der Luft, trotzdem gibt es da eine Ahnung von Umkehr und Verbesserung, wenn man sich nur traut. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen! Das einzige Manko ist die Länge. 700 Seiten wären meiner Meinung nach nicht nötig gewesen.