Ich hatte einen schweren Burnout, der zu einer Depression führte oder ein Teil von ihr war, schwer zu sagen. Ein Jobwechsel hat geholfen, aber natürlich nicht alles gelöst. Und so sprach mich dieses Buch sehr an. Aber hat es sich gelohnt? Spoiler: nein
In den ersten zwei Dritteln des Buches erzählt uns die Autorin mehrfach etwas darüber, dass sie Burnout-Seminare gibt, teilweise gesponsert von der Techniker Krankenkasse, dass diese meistens streng nach Geschlecht sortiert sind und dass sie natürlich insgesamt total gut und erfolgreich sind. Gespickt ist das Ganze mit diversen Beispielen und Lebensgeschichten der Seminarteilnehmer. Gemeinsam haben fast alle, dass sie ihren Job mögen und so gut wie möglich machen möchten, gleichzeitig aber auch zuhause alles richtig machen wollen und es schwer ist, alles unter einen Hut zu bringen. Männer machen in der Konsequenz Abstriche bei Freizeit und Familie, weil sie es ihren Frauen ja eh nicht recht machen können, und die Frauen arbeiten in allen Bereichen zu viel. Glücklich ist aber natürlich niemand damit.
Warum ist das so? Klar, zum einen geht es um zu hohe Ansprüche an sich selbst, an Perfektionismus und die mangelnde Fähigkeit, sich einen Ausgleich zu schaffen, bei dem man seine seelischen (!) Akkus wieder aufladen kann. Laut Frau Heinemann ist der Hauptgrund aber ein ganz anderer: In der modernen Zeit, Dank Gleichberechtigung und Emanzipation, sind alle Menschen in einer Identitätskrise und versuchen Rollen zu erfüllen, die ihnen biologisch (!) nicht liegen und deswegen sind sie unglücklich. Als es noch die klassische Rollenverteilung gab (und in Länder, wo dies heute noch so ist), wäre auch niemand ausgebrannt, und zwar, weil er oder sie ganz klar wusste, was seine/ihre Rolle ist und dadurch seinen/ihren Platz im Leben hatte. Wow. Ernsthaft?
Aber an dieser Stelle geht’s dann erst richtig los. Natürlich sei ein Mann unglücklich, wenn er sich nachts um das Kind kümmern müsse, wo er doch stundenlang brauche, um es zu beruhigen, während die Frau es einfach an die Brust legen und kann und dann schläft es sofort ein. Also hat die Frau das Kind nachts immer an der Backe, und diese klare Rollenverteilung schützt den Mann vor dem Burnout. Soso. Und was, wenn die Frau nicht stillen kann? Nicht stillen MÖCHTE? Mit Milchpumpen oder –pulver kann das Kind hervorragend auch ohne Brust versorgt werden und das kann der Mann dann exakt genauso gut. Welches Argument bleibt dann noch übrig? Genau, keines. Auch verbreitet Frau Heinemann die haarsträubenden Thesen, dass Frauen das kümmern und betüddeln in die Wiege gelegt wird und Männer hier genetische Defizite haben, während Männer dafür gerissener und ehrgeiziger sind, was super im Job sind. Frauen müssten sich dagegen für Karriere zu Handlungen zwingen, die ihnen gar nicht liegen. Dass dieser ganze Käse reine Erziehungssache ist und auch größtenteils auf Umwelteinflüssen basiert (z.B. wenn andere Jungs im Kindergarten sagen, „Frozen“ wäre nur was für Mädchen und der Sohn sich plötzlich nicht mehr traut, ein Elsa-Fan zu sein) wird hier komplett ausgeblendet.
Das absurdeste Beispiel kommt aus dem Leben von Frau Heinemann selbst: Sie war zu Studienzeiten eine gute Handwerkerin, hat aber nach der Hochzeit alles an ihren Mann abgetreten und dafür Nähen gelernt, weil es ihm so wichtig sei, dass er der Heimwerker ist und nicht sie. Sorry, aber ein Mann, dessen Ego zusammenbricht, weil seine Frau selbst einen Nagel in die Wand hauen kann, hat noch ein viel größeres Problem als Burnout.
Okay: Sicher kann es helfen, wenn man Aufgaben halbwegs fest verteilt, damit sie nicht liegen bleiben und z.B. Rechnungen nicht bezahlt werden oder man plötzlich keine saubere Unterwäsche mehr hat. Das hat aber a) nichts mit Burnout-Vorbeugung, sondern mit reiner Alltagsorganisation. Zumal die Aufgaben laut der Autorin nach Fähigkeiten vergeben werden sollen. Was aber, wenn beide Partner XY nicht können? Oder es nicht MÖGEN? Wäre es da nicht sinnvoller, sich den Scheiß zu teilen und sich abzuwechseln, bevor einer alleine die Drecksarbeit macht und darüber wütend, verbittert und um schlimmsten Fall ausgebrannt wird? Zumal eine fixe Aufgabenteilung nur funktioniert, wenn einer den ganzen Tag zuhause ist und der andere arbeiten geht, möglichst mit festen Zeiten. Denn was, wenn der Mann (ist ja immer der Mann, der arbeitet, ne, Frau Heinemann?) Schichtdienst arbeitet und es daher zeitlich nicht möglich ist, dass er die Mülltonne rausstellt? DARF seine Frau das dann übernehmen, ohne dass er in einer Identitätskrise landet? Oder darf sie es nicht und der Müll stinkt dann halt noch zwei Wochen vor sich hin? Und was, wenn der Mann echt gut kochen kann, die Frau aber nur so mittelmäßig, müssen dann beide mit mittelmäßigem Essen leben, kochen nun mal ihr Job ist? Das ist doch Blödsinn. Auch ignoriert sie völlig, dass es in der heutigen Zeit fast unmöglich ist, eine Familie mit nur einem Einkommen über die Runden zu bringen. Da müssen beide arbeiten gehen, egal, ob ihnen das Spaß macht oder es ihr Ego kränkt.
Zwar schwächt die Autorin ihre antiquierten Ansichten am Ende dadurch ab, dass sie natürlich nicht in diese „dunkle Zeit“ zurückwolle, aber in der Zeit des Umbruchs, in der wir uns gerade befänden, feste Rollen einen Anker bildeten, der einen vorm Burnout schützen könne. Da will man nur noch sehr laut schreien und das Buch verbrennen!
Spätestens im o.g. letzten Drittel des Buches fühlte ich mich sowohl vom Inhalt als auch von den Formulierungen her an „Die fünf Sprachen der Liebe“ von G. Chapman erinnert. Durch Zufall fand ich heraus, dass das Buch in einem christlichen Verlag erschienen ist, und das erklärt eine Menge. Nicht nur das, was im Buch steht, sondern vor allem das, was fehlt: Diversität. Es kommen nur verheiratete Paare, meistens mit Kindern, vor. Keine Alleinerziehende, keine Singles und natürlich erst recht niemand aus dem queeren Spektrum. Es geht auch nur um Burnout von HausFRAUEN, nicht HausMÄNNERN, denn Gott bewahre, die gibt’s in Frau Heinemanns Welt nicht. Wahrscheinlich, weil sie nicht stillen können.
Das Buch ist von einer Frau geschrieben, die in ihrem Leben (Zitat!) „Vater – Mutter – Kind“ spielt, und ihre Lösung ist, dass alle sich auf feste Rollen besinnen sollten, um weniger Probleme zu haben. Diese MÜSSEN natürlich nicht traditionell sein, das bietet sich laut ihr aber an, aufgrund von Genetik und dem besagten (vor allem männlichen) fragilem Ego. Wie das genau funktionieren soll, erst recht, wenn man von besagten Traditionen abweicht, erklärt sie nicht.
Fazit: Fing okay an und wurde dann eine Katastrophe. Lest das nicht, es ist absolute Zeitverschwendung.