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AnjaFrieda

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Cover des Buches Die Götter müssen sterben (ISBN: 9783426526118)

Bewertung zu "Die Götter müssen sterben" von Nora Bendzko

Die Götter müssen sterben
AnjaFriedavor 3 Jahren
Kurzmeinung: Genau sowas will ich lesen!
Es war mir eine Freude

Ich habe seit längerer Zeit schon keine Lust mehr gehabt, Phantastik aus großen Verlagen zu lesen. Das meiste ist von Männern, für Männer über Männer mit immer gleichen Charakteren und Handlungen geschrieben. Mich langweilt das so sehr, dass ich mittlerweile nur noch die Augen verdrehe, wenn mal wieder ein neues Buch groß aufgebauscht wird, das in diese Kategorie fällt. Mit "Die Götter müssen sterben" wird dies aufgebrochen. Ich habe gezögert, mir das Buch zu kaufen, bin jetzt aber ehrlich froh, dass ich mir bewusst dafür Zeit genommen und Platz gemacht habe. Es ist großartig! Ich hatte so viel Freude an den Charakteren, den Themen und den Bildern.

Zur Handlung wurde schon in anderen Rezensionen was gesagt, deshalb beschränke ich mich auf die Themen, die mir wichtiger sind. Es sind SPOILER enthalten!

Thema: Wir kennen Troja. Das Thema wurde schon so oft behandelt und ich kenne mich durch persönliches Interesse auch ganz gut aus. Diese Geschichte geht die Mythologie jedoch anders an. Es stehen nicht die berühmten Männer, wie Achilles, Hector oder Odysseus im Vordergrund, sondern die Amazonen. Die Autorin rollt den Niedergang des berühmten Volkes auf, einwandfrei recherchiert und detailreich aufgearbeitet. Das Buch endet mit dem berühmten trojanischen Pferd und ich bin echt froh, dass die Autorin die alte Geschichte nicht noch mal durchgekaut, sondern hier eine anschauliche Zusammenfassung abgegeben hat. Ich möchte auch noch anmerken, dass ich es erfrischend finde, dass endlich mal ein anderes Thema in der Phantastik auf den Tisch kommt als die keltische/nordische Mythologie. Es gibt so viele verschiedene Mythologien! Die sollte man mal berücksichtigen und nicht ständig auf dem Altbekannten rumreiten.

Gewalt: Die gibt es in diesem Buch zu Hauf, weshalb es sich nicht als Jugendbuch eignet, aber das sollte es bestimmt auch nicht sein. Mich hat es nicht gestört. Ich fand es passend für das Buch, immerhin geht es um Schlachten und Kriege. Ich lese kein Buch, in dem es um Amazonen und die Schlacht von Troja geht und erwarte eine Blümchenversion. Dabei fand ich es aber nicht übertrieben, sondern es gab für mich die richtige Dosis an den richtigen Stellen. Gewalt wird nicht verherrlicht, sondern dient dazu, die Grausamkeit bestimmter Handlungen zu unterstreichen. 

Dies wird zum Beispiel an der Amazone Antianegra deutlich. Diese ist extrem grausam und erfreut sich an dem Leid anderer. Damit wird sich kritisch auseinandergesetzt. Die anderen Amazonen verurteilen sie dafür und sie hat allgemein einen eher anrüchigen Ruf. In einer Szene zerhackstückelt sie Leichen ihrer Feinde und wird direkt zur Rede gestellt, dass dies nicht normal ist und die Handlungen unehrenhaft.

Sexuelle Handlungen: Ja, gibt es. Einige. Die Szenen sind explizit beschrieben, aber immer respektvoll, immer schön und vor allem finden die Handlungen mit Einverständnis statt. In diesem Buch werden Vergewaltigungen erwähnt, aber nicht beschrieben. Das finde ich gut. Zu viele Autor*innen benutzen Vergewaltigungen schon beinahe inflationär in ihren Büchern, weil sie denken, das ist die einzige Möglichkeit, einem weiblichen Charakter Gewalt anzutun. In "Die Götter müssen sterben" findet die Autorin andere Wege und wie gesagt: großer Dank, dass eben solche Szenen nicht explizit beschrieben werden. Stattdessen habe ich mich an den schönen Szenen erfreut, in denen sich die Personen mit Einverständnis lieben.

Griechische Mythologie: Es ist Mythologie. Die ist inkonsistent. Es gibt Fehler und Lücken in den Überlieferungen, verschiedene Versionen und allerhand problematische Inhalte (Inzest, sexuelle Gewalt etc.). Ich finde es bemerkenswert, wie die Autorin bestimmte Lücken stopft oder einfach nur super merkwürdige Handlungen von Personen logisch erklären kann. 

Da gibt es zum Beispiel Achilles, der sich laut Mythologie in die Amazonen-Königin Penthesilea schockverliebt, nachdem er sie auf dem Schlachtfeld getötet hat. Das ist schon ziemlich weird und außerdem noch echt widerlich, sich in eine Leiche schock-zuverlieben. In diesem Buch wird eine Handlung dazu gesponnen, in der sich die beiden bereits vor diesem Zusammenstoß auf dem Schlachtfeld kennen und liebten, wodurch Achilles Reaktion nicht mehr weird ist. Er nimmt ihr den Helm ab, erkennt sie und zerbricht daran, dass er seine einstige Geliebte umgebracht hat. Das ist logisch, das ist nachvollziehbar. 

Bleiben wir bei Achilles. Dieser hatte eine sehr enge Beziehung zu Patroklos, die in vielen Materialien als "sie lieben sich wie Brüder" beschrieben wird. Ach komm! Ich hab meinen Bruder auch lieb, muss ihn aber trotzdem nicht ständig anschmachten oder gar, aus Trauer um seinen Verlust, brutal und rücksichtslos mordend durch die Gegend ziehen. Die Autorin in diesem Buch greift dies auf und beschreibt eine polyamore Beziehung zwischen Achilles, Patroklos und Penthesilea. Und die ist schön! Die ist richtig schön. Damit wurden quasi gleich zwei fragwürdige Inhalte der griechischen Sagen gelöst.

Ich könnte jetzt noch mehr Beispiele aufzählen, aber ich denke, es wird deutlich, dass die Autorin hier gekonnt mit den überlieferten Texten und ihren eigenen Möglichkeiten gearbeitet hat. 

Sehr gut fand ich auch den Umgang mit den Visionen, die die Sehenden haben. In der griechischen Mythologie gibt es so viel davon und die meisten sehen ziemlich ähnlich aus ("Du wirst von deinem Sohn umgebracht" – "Ohnein, schnell tötet ihn", 20 Jahre später: "Ups, er ist doch nicht tot und jetzt bringt er mich um, Mist."). Bin froh, dass es in diesem Buch auch anders geht. 

Einen Kritikpunkt habe ich dennoch. In einer Szene haben zwei Charaktere Sex im Hain von Persephone in der Unterwelt. Das ist ein heiliger Ort. In der Unterwelt. Andere Leute werden dafür umgebracht oder mit einer Schlangenfrisur gestraft. Hier passiert jedoch nichts. War Persephone gerade abkömmlich? Oder ist Sex zwischen zwei Frauen nicht so schlimm? Zählt Sex in der Unterwelt nicht? Ich weiß es nicht. Vielleicht übersehe ich auch irgendwas? Ich denke mir aber mal, dass sich die Autorin schon was dabei gedacht hat. Immerhin ist der Rest krass recherchiert worden. Und diese eine Szene macht das Buch nicht schlechter.

Die Amazonen: Der Großteil der Geschichte spielt bei den Amazonen. Der Aufbau und die Strukturen des Volkes sind sehr anschaulich dargestellt und gut ausgearbeitet. Durch die Sagen wurden die Amazonen als männerhassende und mordende Furien dargestellt. Dies ist hier nicht so. Es herrscht ein Matriarchat vor, indem Männer eine eher untergeordnete Rolle spielen, jedoch trotzdem mit Respekt behandelt werden (es kann nachvollzogen werden, dass männliche Schreiberlinge im damaligen Griechenland das als Männerhass abtun wollten). Gewalt gegen andere wird nicht gutgeheißen, es sei denn, sie findet in einem fairen Kampf statt. Viel Ehre, viel Moral. 

Trotzdem gibt es Problematiken, wie zum Beispiel Sklaverei, die auch als solche angesprochen werden. Die Autorin hat also dieses Element nicht einfach so in die Welt hineingeschrieben, sie lässt es auch zu, dass sich ihre Charaktere kritisch mit dem Thema befassen und dies nicht einfach als gegeben hinnehmen. Wie oft habe ich schon "Das war damals halt so" von Autor*innen gelesen, die in einem historischen Setting schreiben, und deshalb der Meinung sind, dass man problematische Dinge, wie eben Sklaverei, Gewalt gegen Frauen etc. einfach so unkritisch wiedergeben kann. Es geht auch anders, wie dieses Buch einwandfrei beschreibt! Nehmt euch daran ein Bespiel, ihr Stümper*innen!

Diversität: Gibt es. In vielen Facetten. Es gibt non-binäre Charaktere, die in diesem Buch als "Vielselige" bezeichnet werden. Eine Person spielt auch eine wichtige Rolle, was ich gut finde. Viele Bücher beanspruchen für sich "divers" zu sein, nur weil mal ein schwuler Mann im Hintergrund durchs Bild hüpft. Hier ist das anders. Ich habe mich sehr daran gefreut, wie vielfältig die Charaktere in dem Buch sind. Es gibt verschiedene Sexualitäten, Orientierungen und Lebensweisen. Nicht alle Amazonen bevorzugen Frauen, so wie es in der Mythologie oft dargestellt wird. Manche haben sogar mehrere Männer. Es gibt viele Möglichkeiten zu lieben und zu leben. Spannend fand ich auch, dass es einen Charakter gibt, der asexuell ist. Einer meiner Lieblingscharaktere übrigens. Daneben gibt es unterschiedliche Hautfarben und Herkünfte. 

Die Darstellung der Sexualitäten war für mich hier unproblematisch, es kann aber auch sein, dass ich blinde Flecken habe. Man kann nicht alles wissen. Was ich auch gut fand, dass die Sexualitäten nicht problematisiert wurden. Ein Charakter ist eben vielselig. Punkt. Ist so. Kein, "OMG, das ist so ein Problem, sier hatte so solche schlechten Erfahrungen und es war alles schlimm für siem". Es ist schön, zu lesen, dass es auch eben anders geht. Das Sexualität auch einfach mal akzeptiert werden kann, auch wenn sie nicht heteronormativ ist.

Charakterdarstellung: Es gibt viele Charaktere hier. Ich hatte zu Beginn befürchtet, ich bräuchte wieder einmal ein Glossar oder ein Stammbaum-Bildchen am Ende des Buches, um durchzusteigen, wer jetzt wer ist und was die Person mit jemand anderen zu tun hat. Ist nicht so. Die Autorin zeichnet sehr vielseitige Charaktere, die alle gut zu unterscheiden sind. Nicht nur bezüglich des Aussehens, sondern auch bezüglich der Sprache, des Auftretens und der Ansichten. Ich konnte die Handlungen und Denkweisen der Charaktere sehr gut nachvollziehen. Es gibt sympathische und unsympathische Personen, auch unter den Amazonen. Ich hatte zu Beginn ein wenig Probleme, mit Bremusa warm zu werden, hatte sie am Ende aber dennoch lieb. Was ein Schandmaul.

Die Protagonistin: Ich möchte hier noch konkret auf eine der Protagonistinnen Areto eingehen. Diese wird von einem "Schatten" verfolgt, der ihr regelmäßig Selbstzweifel einredet. Ich denke, dass hier Depressionen dargestellt werden sollen. Das fand ich super gut gelungen. Ich habe sofort gewusst, was gemeint war, als der Schatten das erste Mal auftaucht und konnte auch ihre Angst davor und ihren Umgang damit nachvollziehen. Ich selbst habe keine Depressionen, bin aber Psychologin und habe die Metapher des Schattens schon häufiger benutzt, um meinen eigenen Kindern zu erklären, wie sich Depressionen anfühlen können. In der Therapie wird auch häufig von einem "schwarzen Hund" gesprochen, der mal größer oder kleiner ist und mit dem man entsprechend umgehen kann. So ist es auch in dieser Geschichte mit dem Schatten. Mal ist er nur schwach und Areto kann gut damit umgehen, manchmal nimmt er ihr den ganzen Raum weg und sie versinkt. Was ich extrem gut fand war, dass die Autorin es nicht dabei belassen hat, sondern Areto gegen den Schatten ankämpfen lässt. Sie entwickelt sich, hat gute Momente, wird von Kleinigkeiten zerstört, setzt sich dann wieder zusammen und kämpft weiter. Da ist genau das, was Personen mit Depressionen durchmachen. Ich habe ihre Entwicklung zu einer starken Person, die mit dem Schatten leben gelernt hat und ihn als ständige Begleitung akzeptiert, mit Freude und Zuversicht verfolgt.

Das Ende: Für mich war das ein Happy End. Wir wissen wie die Schlacht um Troja ausgeht. Daher war ich gespannt, wie die Autorin mit den bestimmten Charakteren, aus deren Sicht wir die Geschichte erfahren, umgehen würde. Ich bin großer Fan von Happy Ends und wollte nicht, dass diese Personen sterben. Das hätte mich sehr zerstört zurückgelassen. Bei Penthesilea war ich drauf gefasst, weil ich die Mythologie eben kenne. Daher war ich mit dem Ende mehr als zufrieden.

Erzählweise: Ich fand die Sprache, in der die Geschichte erzählt wurde, ausgesprochen gut gelungen. Die Autorin hat mich mitgenommen und aufs Schlachtfeld geführt.

 

Fazit: Es war mir eine Freude. Ehrlich.

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