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Anja_Siouda

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Frau im Dunkeln (ISBN: 9783518428702)

Bewertung zu "Frau im Dunkeln" von Elena Ferrante

Frau im Dunkeln
Anja_Sioudavor 5 Jahren
Kurzmeinung: Ein spannend geschriebener, ungewöhnlich tiefschürfender und empfehlenswerter Roman für gestandene Mütter!
Die bestechende Schilderung ambivalenter Muttergefühle!

Elena Ferrante „Frau im Dunkeln“ (2017)

Originalausgabe „La figlia oscura“ (2006)

Aus dem Italienischen übersetzt von Anja Nattefort. 

Von Elena Ferrante hatte ich bis vor kurzem noch nichts gelesen, aber ihre Bücher standen schon seit einer Weile auf meiner Leseliste, schliesslich will frau eine Ahnung haben von den Romanen, die gerade auf allen Kanälen und in allen Medien gehypt werden. Ihre neapolitanische Familiensaga, die mit „Meine geniale Freundin“ beginnt, steht weiterhin auf meiner Leseliste, aber ihr Roman „Frau im Dunkeln“ hat mich bereits sehr überzeugt, obwohl er offenbar erst nach dem internationalen Erfolg mit der neapolitanischen Familiensaga aus dem Italienischen in verschiedene Sprachen übersetzt und aufgelegt wurde.

Eigentlich hätte der Titel in der deutschen Übersetzung auch wörtlich „Die dunkle Tochter“ heissen können, aber damit wäre man im Deutschen wohl auf die falsche Fährte der Hautfarbe gekommen, die zwar bei einer Hauptfigur thematisiert wird, aber keinesfalls das Hauptthema darstellt. Deshalb wurde wahrscheinlich „Frau im Dunkeln“ als Titel gewählt. Auch „Die rätselhafte Tochter“ hätte eine dem italienischen Titel entsprechende Variante sein können. Es ist noch anzumerken, dass der Titel mit "L'enfant perdue" ins Französische übersetzt wurde, was wörtlich "Das verlorene Kind" heisst.

Dass nun aber die „Frau“ im Vordergrund steht, finde ich eine gute Lösung für den deutschen Titel, denn genau darum geht es in diesem Buch: Um eine Mutter, die eben nicht nur (aufopfernde) Mutter, sondern gleichzeitig auch (ehrgeizige) Frau und Geliebte und natürlich auch selber Tochter mit einer eigenen Familiengeschichte ist. Vor allem aber geht es um die sehr zwiespältigen Gefühle, die Schattenseiten, die frau als Mutter haben kann, um das heftige, ja blutige Kratzen am Idealbild der perfekten Mutter!

Der Roman hat einen spannenden Aufbau, der mich gleich faszinierte und das Buch fast in einem Zug hat lesen lassen. Für mich persönlich ein Qualitätsbeweis, denn nur Bücher, die ich atemlos verschlinge, bleiben mir nachhaltig in Erinnerung!

Und da ich selber Mutter zweier erwachsener Söhne bin, konnte ich einige Erfahrungen der Ich-Erzählerin nachvollziehen. Die Autorin Elena Ferrante hat wirklich eine ungeheure Begabung, die Dinge sprachlich auf den Punkt zu bringen. Und die Übersetzerin Anja Nattefort hat ausserdem einen sehr stimmigen Text auf Deutsch geschaffen!

Die Geschichte beginnt mit einem spannenden Kapitel 1, dessen Inhalt dem vorgezogenen Ende entspricht. In Ferrantes Buch wissen die Leserin und der Leser nämlich gleich: Die Protagonistin hat eine rätselhafte Stichwunde! Sofort fragt man sich: Wer hat sie angegriffen? Womit? Und natürlich vor allem: WARUM?

Wie konnte es geschehen, dass eine beinahe Fünfzigjährige, geschiedene Englisch-Dozentin aus Florenz, die sich für ein paar Wochen ganz allein nach Süditalien an den Strand in den Urlaub begibt, mit einer Stichwunde im Auto nachhause fährt und dabei ohnmächtig wird? Was hat sie bloss getan, dass es so weit kommen konnte?

Danach erst wird die Geschichte aufgerollt. Die Dozentin Leda beschäftigt sich während ihres Urlaubs damit, neben dem Arbeiten am Strand mit ihren Büchern auch eine neapolitanische Grossfamilie zu beobachten und allerhand Theorien über die familiären Beziehungen aller Mitglieder untereinander anzustellen. Nach einer Weile lernt sie vor allem die zwei Frauen der Grossfamilie näher kennen. Nina, eine 23-jährige und ihre kleine Tochter Elena (inklusive Spielpuppe mit wechselndem Namen), sowie Rosaria, deren Schwägerin, die mit 42 ihr erstes Kind erwartet und nicht nur ihren hochschwangeren Bauch stolz am Stand promeniert, sondern hie und da auch Nina bei ihrer Erziehung von Elena dazwischenfunkt.

Die Beziehung, die zwangsläufig zwischen Leda und der Grossfamilie entsteht, ist von einem Wechselbad der Gefühle geprägt. Ablehnung, ja Feindseligkeit, Beklemmung und Sympathie wechseln einander ab. Vor allem steigen in der Ich-Erzählerin schmerzhafte Erinnerungen an ihre eigene Kindheit innerhalb einer ähnlichen Grossfamilie hoch. Und sie macht intensive Rückblicke auf ihre eigene Mutterschaft. Beide Erinnerungsfäden sind stark geprägt von Verlassensängsten!

So drohte ihre eigene, oftmals überlastete Mutter Leda und ihren Schwestern in ihrer alltäglichen Verzweiflung tatsächlich damit, die ganze lärmige Kinderbande eines Tages zu verlassen, ohne diese Drohung je in die Tat umzusetzen, ganz im Gegenteil zu Leda selbst, die ihre beiden Töchter Bianca und Marta im Kleinkindalter später tatsächlich ohne jede Vorwarnung ihrem Ehemann gegenüber für drei Jahre verlassen hat.

Nachdem zwischen Leda und den neapolitanischen Frauen im Laufe des Strandaufenthalts eine Annäherung stattgefunden hat, erwähnt Leda eines Tages aus heiterem Himmel, dass sie ihre Töchter wirklich verlassen hat. Von da an wird Leda den patriarchalisch-traditionell geprägten Neapolitanern suspekt, vor allem Rosaria, der Schwägerin und ihrem Mann Corrado, dem Bruder von Nina. Die junge Nina hingegen – der Ich-Erzählerin kommt sie so vor, wie wenn sie schon wegen ihrer fast indisch wirkenden Anmut nicht zur Gruppe gehöre –  fühlt sich angezogen von Leda. Sie ist geradezu fasziniert von ihr und sucht ihre Nähe und Komplizenschaft, vor allem, weil sie mit ihrer kleinen Tochter Elena nach der anfänglichen Strandidylle je länger je mehr überfordert ist, nachdem die Puppe der Kleinen am Meer verschwunden ist und sie deswegen tagelang untröstlich bleibt. Auch Nina möchte, obwohl sie eine symbiotische Beziehung zu ihrer kleinen Tochter Elena lebt, aus ihrem frustrierenden Alltag als Mutter flüchten, sucht aber einen anderen „Ausweg“ als Leda, die sie ganz konkret um Hilfe bittet. Doch dann erfährt Nina etwas Unerwartetes …

Fortsetzung der Rezension
http://anjasiouda.com/die-bestechende-schilderung-ambivalenter-muttergefuehle/

Fazit: Ein spannend geschriebener, ungewöhnlich tiefschürfender und empfehlenswerter Roman für gestandene Mütter, die die ganze Palette der widersprüchlichen Gefühle durchlebt haben!


Cover des Buches Khalid und das wilde Sprachpferd (ISBN: 9783411724048)

Bewertung zu "Khalid und das wilde Sprachpferd" von Dunja Ramadan

Khalid und das wilde Sprachpferd
Anja_Sioudavor 5 Jahren
Ausgezeichneter Beitrag zur interkulturellen Verständigung!

Eines sei gleich vorausgeschickt: Dieses im Duden-Verlag erschienene Sachbuch mit dem besonders ansprechenden Cover mit einer arabischen Kalligraphie, eine Art soziolinguistische Mini-Studie, ist in meinen Augen ein ausgezeichneter Beitrag zur interkulturellen Verständigung zwischen Menschen aus dem arabischen Kulturkreis und solchen, die im deutschsprachigen Raum aufgewachsen sind.

Die Journalistin Dunja Ramadan, Tochter eines Ägypters und einer Deutschen, zeigt sehr deutlich und auf einprägsame und einfühlsame Weise auf, wie wichtig Sprache für die Integration ist und wie schwierig sich deren Erlernen für manche Flüchtlinge gestaltet. Dabei kann die Autorin auch auf eigene kulturelle Erfahrungen in Deutschland und in Ägypten zurückgreifen. Ihrer eigenen Aussage nach argumentiert sie im Deutschen und schimpft im Arabischen.  (S. 9)

Anhand von vier konkreten Beispielen legt die Autorin dar, wie unterschiedlich mit dem erzwungenen Erlernen der Fremdsprache Deutsch umgegangen wird. Da ist der junge Khalid, Journalist, der sich die deutsche Sprache dank selber erfundener Metaphern relativ schnell und gut aneignet, während Lina, die Dichterin, grosse Mühe damit hat, obwohl man gerade von ihr als in ihrer Muttersprache sehr Bewanderten eigentlich eine grössere Offenheit in Bezug auf Fremdsprachen erwarten würde. Für sie aber scheint das Erlernen des Deutschen beinahe wie ein Verrat ihrer Heimat und eine Bedrohung ihrer Identität. Sie leidet massiv an ihrer Sprachlosigkeit im deutschen Alltag, ist sie doch diejenige, die mit ihrer Dichtkunst im Arabischen jede sprachliche Raffinesse beherrscht. Eine lähmende Depression ist die Folge, aus der es manchmal einen Lichtblick gibt, wenn ihre arabischen Gedichte ins Deutsche übersetzt und öffentlich vorgetragen werden.

Auch die Anwältin Wesal Shbat und die Schriftstellerin Rasha Abbas kommen zu Wort und erklären nicht ohne Humor, womit sie mit der deutschen Sprache und Kultur Mühe haben und wie sie mit Sprachproblemen wie z.B. dem Genus-System teilweise phantasievoll fertiggeworden sind.

Dunja Ramadan listet auch interessante mnemotechnische Beispiele auf, eigentliche «sprachliche Überlebensstrategien» (S. 20), mit deren Hilfe syrische Flüchtlinge sich über ihre Muttersprache originelle Eselsbrücken bauen, um gewisse deutsche Ausdrücke besser im Kopf zu behalten. Wenn man als Leser selber des Arabischen mächtig ist, fällt einem die Originalität der aufgeführten Beispiele natürlich noch besser auf.

Ich finde, es gelingt der Autorin, der Leserschaft die Flüchtlinge anhand dieser Einzelschicksale näher zu bringen. Wir können uns dank ihren Ausführungen und Erklärungen besser in die Flüchtlinge hineinversetzen. Wir erinnern uns wieder einmal sehr deutlich daran, dass sie nicht freiwillig hier sind und dass es manchmal ein ziemlicher Spagat, ja ein schier unüberwindbarer Kraftakt für sie ist, Dankbarkeit und Integrationswillen fürs Gastland und Motivation für eine komplexe neue Sprache aufzubringen.

Das relativ schmale Buch greift anhand der beiden Sprachen Deutsch und Arabisch viele verschiedene kulturelle Themen, insbesondere natürlich Unterschiede auf und erklärt sie auf sehr verständliche Weise:

Die deutsche Bürokratie, Regeltreue und Perfektionierung, aber auch Diskutierfreude, die kulturellen Missverständnisse z.B. in Bezug auf Tierkosenamen im Deutschen, die im Arabischen unvorstellbar sind, die arabische Sprache der Liebe, das Schmachten als kulturelles Prinzip, der Alptraum der deutschen Komposita, die Präsenz der Religion in der arabischen Alltagssprache, das «arabisch-islamische Lebenskonzept» des Alhamdullilah (S. 111), die Ausweichstrategie mit der Inschallah-Formel, der krasse Gegensatz von Kollektivismus und Individualismus, von Fremd- und Selbstbestimmung, das Image-Problem des Arabischen in der westlichen Welt, die Tabus im Umgang mit Sexualität, die heikle Fehlerkultur und die Autoritätsgläubigkeit im arabischen Raum werden diskutiert und auch an Goethes, Herders und Heines Begeisterung für die arabische Sprache, insbesondere für die Beduinenlyrik, wird ausführlich erinnert. Auch die Erotikhandbücher diverser arabischer Autoren, von denen manche im Okzident noch nie gehört haben, werden erwähnt.

Da ich in meiner jahrzehntelangen interkulturellen Ehe viele Erfahrungen gesammelt habe und deshalb selber interkulturelle Romane schreibe, um zum gegenseitigen Verständnis unter den Menschen beizutragen, waren mir die meisten Themen in diesem Buch bereits bekannt, trotzdem habe ich auch Neues hinzugelernt oder unbewusst registrierte Unterschiede endlich einmal explizit erklärt bekommen.

Für Personen, die sich mit Sprachunterricht für Flüchtlinge befassen, aber auch für alle anderen, die offener und verständnisvoller auf Flüchtlinge zugehen möchten, ist dieses Buch ein Muss.

http://anjasiouda.com/khalid-und-das-wilde-sprachpferd/

Cover des Buches Nicht mehr (ISBN: 9783992001668)

Bewertung zu "Nicht mehr" von Evelina Jecker Lambreva

Nicht mehr
Anja_Sioudavor 6 Jahren
Kurzmeinung: Origineller Einstieg und raffinierte Erzählkonstruktion
Origineller Einstieg und raffinierte Erzählkonstruktion

Eine ausführliche Rezension findet man hier:
http://anjasiouda.com/origineller-einstieg-und-raffinierte-erzahlkonstruktion/

Cover des Buches Vaters Land (ISBN: 9783992001064)

Bewertung zu "Vaters Land" von Evelina Jecker Lambreva

Vaters Land
Anja_Sioudavor 6 Jahren
Kurzmeinung: Ein beeindruckendes Porträt Bulgariens und eine erschütternde Lebensgeschichte!
Ein beeindruckendes Porträt Bulgariens und eine erschütternde Lebensgeschichte!

Eine ausführliche Rezension findet man hier:
http://anjasiouda.com/ein-beeindruckendes-portraet-bulgariens/

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  • 29.05.2019

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