Manchmal frage ich mich, warum Bücher so angekündigt werden, wie sie von den Verlagen angekündigt werden. Im Zusammenhang mit dieser preisgekrönten, in meinen Augen tatsächlich lesens- und empfehlenswerten Ausgabe, ist die Rede vom „größten deutschsprachigen Fantasyepos“ und natürlich muss im Marketingtext mal wieder der Vergleich zu Tolkien herhalten, um offensichtlich wahre Größe aufzuzeigen.
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, war mein erster Gedanke zu dieser Ankündigung „das hat der Roman doch überhaupt nicht nötig“, denn er ist hervorragend genug, um für sich selbst sprechen zu können. Und ich kann mir aufgrund der Qualität und des Anspruchs inzwischen sehr gut vorstellen, warum eine Jury dieses Buch aus der Masse anderer Einsendungen als preiswürdig auserwählt hat.
Man muss aber schon genau hinsehen und möglicherweise Passagen zweimal lesen, um die Feinheiten zu erkennen. Was im Übrigen für das ganze Buch gilt. Denn es heißt beim klassischen Tolkien – Vergleich im Marketingtext „fernab“ der Welten eines Tolkien. Ergo bedeutet dies für mich, dass wir es bei dem vorliegenden Roman gerade eben nicht mit einem der zahlreichen Tolkien – Klone zu tun haben. Und tatsächlich handelt es sich um eine neue, detailreich ausgearbeitete Welt, in die uns der Autor hier mit großen und bildgewaltigen Worten entführt. Wenn man einen Vergleich zu anderen Autoren unbedingt ziehen will, dann kommt mir vorliegend was insbesondere sprachliche Ausgestaltung, Ideenreichtum und Metaphern angeht, am ehesten Tad Williams in den Sinn oder Patrick Rothfuss wegen der Schönheit der Sprache. Aber das passt eben auch nicht wirklich, weil Rümmelein einen ganz eigenen Stil pflegt und damit auch ein eigenständiges Werk vorgelegt hat. Solche Vergleiche müssen auch nicht sein. In jedem Fall ist es für ein deutschsprachiges Debut wirklich erstaunlich.
Was macht das Buch denn nun eigentlich groß, so faszinierend anders und lesenswert wie es uns der Werbetext nahe bringen will? Die Seitenzahl wird es wohl kaum sein, obwohl diese – schenkt man den Vorankündigungen Glauben – ganz beträchtlich sein wird.
Der Plot mutet klassisch an. Das Setting eine mittelalterliche, barbarische Welt und kalte Welt. Der Kampf zwischen Tag und Nacht. Eine Entscheidungsschlacht, viel Tränen und noch mehr Blut. Im Grunde nichts, was es nicht schon in anderen Fantasyromanen in ähnlicher Form gegeben hätte.
Dennoch kommt es mir am Ende der Lektüre neu und eben irgendwie anders vor. Ein Gefühl nur, das ich nicht genau beschreiben kann. Nachhaltig. Vielleicht ist es die Naturverbundenheit des Autors, die durch die Zeilen schimmert oder die detaillierte Schilderung melancholischer Musik, die ich geradezu beim Lesen hören konnte. Vielleicht ist es der Phantasiereichtum, die Intensität und dichte Atmosphäre, die einen mit jeder weiteren Seite mehr mitnimmt. Das widerliche Monster Grimmgour konnte ich förmlich durch den Text riechen und fühlen, was nicht am Probeexemplar oder an der Druckerfarbe lag, sondern an der überaus eingehenden Beschreibung. Das war auf jeden Fall faszinierend und abschreckend zugleich. Irgendwann entwickelt sich der Roman zum Pageturner und ich konnte es kaum noch aus der Hand legen.
Eigenwillige, teils (wahrscheinlich bewusst) überzeichnete Charaktere, wobei diese in meinen Augen wirklich eine ungewöhnliche Tiefe erreichen und herausragend gezeichnet sind. Vielleicht neben der intensiven und in sich stimmigen Beschreibung der Welt in vielen Facetten und der historischen Einbettung durch rückblickende Einblendungen (Schatten der Vergangenheit) eine der wirklich großen Stärken von „Kryson“.
Zugegeben, obwohl der Aufbau langsam und sorgfältig erfolgt, viel es mir anfangs schwer, richtig in die Welt und die Erzählung einzutauchen, weil Vieles neu und zunächst ungewohnt erscheint. Das legt sich aber nach den ersten einhundert Seiten und damit doch relativ schnell. Immerhin gibt es einen hilfreichen Anhang, in dem man nachschlagen kann. Die gewählte Sprache hebt sich angenehm von anderen Werken ab, weil sie anspruchsvoll und schön, teilweise sogar poetisch anmutet. Und sie passt zur doch komplexen, detailreichen Welt des Romans. Das wird nicht jedem Leser sofort gefallen. Ist es doch etwas anstrengender als die oft vorzufindende, einfachere Variante aus simplen Drei-Wort-Sätzen. Der Autor mutet dem Leser zu, dass er sich in seine Welt einarbeiten muss, ohne ihn dabei alleine zu lassen. Er bietet zahlreiche Hilfen an. Insoweit ist „Kryson“ in der Tat anfangs nicht ganz so leicht zu konsumieren, erfordert einen etwas größeren Sprachschatz und kann nicht einfach so mal zwischendurch „weg gelesen“ werden. Dafür ist das Werk inhaltlich und stilistisch zu schwierig und weist viele feine Nuancen auf, die ein genaueres Hinsehen lohnen. Das trifft insbesondere auf manche „Redundanzen“ zu, die den Leser teils an die Hand nehmen und ihm durch die Geschichte helfen. Der Autor schildert an manchen Stellen ein und dieselbe Nebenhandlung aus unterschiedlichen Perspektiven und Wahrnehmungen. Dadurch wird sie zwar wiederholt und brennt sich ins Gedächtnis ein, gewinnt aber auch mit jeder Wiederholung neue und andere Aspekte hinzu, die eine Verunsicherung streuen und die Zweifel an der erst als objektiv angenommenen „Wahrheit“ eines der Hauptprotagonisten nachvollziehbar machen. Auch der Leser ist sich nach der dritten oder vierten Variante nicht mehr ganz sicher, was stimmt den nun eigentlich. Wessen Wahrnehmung ist richtig und was ist gut und was schlecht? Trotz des behutsamen Aufbaus hat mich die Handlung sofort gepackt. Der Autor versteht es mitunter eine schier unerträgliche Spannung aufzubauen und zu halten. Dabei helfen ihm eine ausgefeilte Technik und der Rückgriff auf einen alten Trick. Harte Schnitte und Wechsel der Perspektive, wenn es am spannendsten ist. Ganz simpel, aber gut.
Im Laufe der Weiterentwicklung der Geschichte nimmt „Kryson“ dann so richtig an Fahrt auf, was aber nicht bedeuten soll, dass nicht vorher schon Vieles und Spannendes geschieht.
Der Höhepunkt des Buches ist dann eine blutige Schlacht an einem Flussufer des Titel gebenden Flusses „Rayhin“. Zuerst dachte ich bei der Lektüre an den Rhein. Aber das Buch spielt in einer anderen Welt (Kryson) mit zwei Sonnen. Die Entscheidungsschlacht ist ohne jedes Wenn und Aber geradezu cineastisch und in tollen Bildern mit packenden Szenen umgesetzt. Für die große Leinwand geschrieben, könnte man jetzt böswillig unterstellen. Vielleicht hätte man die Schlacht etwas weniger ausufernd darstellen können, denn sie zieht sich dann doch über sehr viele Seiten hin. Und den schier endlos dauernden Kampf habe ich irgendwann als leicht anstrengend empfunden. Das mag aber auch daran liegen, dass sich gerade in diesem Finale einige nach meinem Geschmack schwer erträgliche, grausige Szenen abspielen, die alles andere als schön sind. Ein ohnehin schwieriges Thema, das sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht. Der Autor spart nicht mit drastischen Darstellungen von Gewalt und Brutalität, die im Kopf hängen bleiben. Gerade in der Schlacht gibt es einige Szenen, die mir richtig weh getan und ein Weiterlesen erschwert haben. Andererseits geht es in diesem Buch um einen furchtbaren Krieg. Die Schilderungen sind realistisch und zeigen daher den ganzen Schrecken auf. Die Gewalt ist stets nachvollziehbar, kommt nicht reißerisch oder als reiner Selbstzweck daher. Ihre Ausprägung auch in der expliziten Form scheint notwendig. Darüber wird man sich trefflich streiten. Ich bin mir beinahe sicher, dass es die ein oder andere kontroverse Diskussion darüber geben wird.
Im Ergebnis habe ich mit „Kryson – Die Schlacht am Rayhin“ ein Buch gelesen, das mich für ein Debut bei all seinen vielleicht stellenweise noch vorhandenen Ecken und Kanten nachhaltig beeindruckt hat. „Kryson“ ist ein starkes und bewegendes Buch, das so oder so keinen Leser kalt lassen dürfte.
Faszinierend und sehr, sehr spannend.