Das Nadine Erdmann zu einer meiner absoluten Lieblingsautorinnen gehört, ist kein großes Geheimnis, da ich bisher nach jedem ihrer Bücher absolut zufrieden gestellt war und mit einer wundervollen Charakterpalette, spannenden Geschichten und einem neuen Lieblingsbuch/-charakter gefüttert wurde. "Die Totenbändiger - Unheilige Zeiten" habe ich mir bereits im April 2020 gekauft und auch gelesen, aber völlig vergessen zu rezensieren. Doch wenn man so ein tolles Setting einer magischen Welt geboten bekommt, verschwindet man auch gerne ein zweites Mal darin, und irgendwann garantiert ein drittes, viertes, fünftes Mal. Es ist Nadine Erdmann, da komm ich einfach nicht dran vorbei! <3
"Die Totenbändiger" Reihe besteht aus vierundzwanzig Büchern und macht mit "Unheilige Zeiten" einen düsteren, spannungsvollen und vielversprechenden Anfang. London bekommt einen geisterhaften Anstrich der übelsten Sorte und beinahe etwas apokalyptisches, da der Unterschied zwischen der armen und reichen Bevölkerung groß ausfällt. Sich gegen Geister zu schützen ist eben teuer und wer das nicht kann, endet höchstwahrscheinlich selbst als Geist - ein endloser Kreislauf, dem sich nur die Totenbändiger entgegen stellen können. Sie wurden mit einem auffälligen Merkmal an ihrer Schläfe geboren und können die Todesenergie der Geister absorbieren. Eigentlich sollte man meinen, dass in einer Stadt, wo viele Gewalttaten vorkommen und die dadurch entstehenden Geister sich immer weiter ausbreiten, das Talent der Totenbändiger besonders gern gesehen ist, doch die Realität sieht anders aus, denn einige Menschen haben Angst davor, dass die Totenbändiger sich auch an ihnen zu schaffen machen, schließlich können sie auch die Energie der Lebenden aufsaugen. Was viele dabei gerne vergessen: Sie können auch Energie geben und dadurch Leben retten...
Sue Hunt ist so eine Lebensretterin. Sie ist Totenbändigerin und arbeitet als Wächterin im Krankenhaus, wo sie sich besonders um verstoßene Totenbändiger Babys kümmert, aber auch Menschenleben rettet, was ihr jedoch nicht gedankt wird. Zusammen mit ihrem Gatten Phil, der als Arzt auch ehrenamtlich in einer Notfallambulanz im sozialen Brennpunkt der Stadt arbeitet, hat sie zwei leibliche Kinder - Sky und Jules, beide Totenbändiger -, sowie drei adoptierte Totenbändiger Kinder, die von ihren Eltern verstoßen wurden, auch wenn das nur bei Ella und Gabriel klar ist, während man Camren mutterseelenallein aufgefunden hat. Auch Skys Freund Connor lebt bei ihnen. Tatkräftige Unterstützung in der Erziehung und dem Unterricht bekommen sie von Phils Mutter Edna, die extra ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben hat, um bei der Familie zu sein.
Für Camren war der Start ins Leben qualvoll, woran er glücklicherweise keine Erinnerungen hat und nur sein Retter, der Polizist Thaddeus, von dem Massaker erzählen kann, in dem der kleine Junge, damals vielleicht drei oder vier Jahre alt, gefunden wurde. Doch wenn man sich den Tatort ansieht, kann nur ein kranker Fanatiker dahinter stecken, der grausame Experimente an den Totenbändiger Kindern durchführt.
Das Klima zwischen den Menschen und Totenbändigern ist nicht einfach und während Sky, Gabriel und Connor im Spuk Squad bei der Polizei seit drei Jahren eingebunden sind und dort bei paranormalen Fällen mithelfen, war der Kampf, die anderen Kinder auf eine normale Schule zu schicken, nicht leicht. Wenn es nach Cam geht, könnte er auf das Experiment Schule gut und gerne verzichten, während Ella mit viel Freude und Elan an die Sache rangeht und auch Jules sich mit seiner lässigen Art und Kontaktbereitschaft nicht verstecken muss.
Die vielschichtigen Charaktere passen wieder wie ein Puzzlestück zusammen. Es gibt den zurückhaltenden Cam, dessen Vergangenheit im Dunkeln liegt und bei dem man spürt, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Den einfühlsamen Jules, der Cam stehts zur Seite steht, wenn ihn wieder Albträume plagen und die knallige Ella, die ihre Klamotten selbst näht und jedem mit einem breiten Grinsen entgegen tritt. Auch die knallharte Sky und der etwas zynische Gabriel bilden mit dem einfühlsamen und diplomatischen Connor, ein gutes Trio. Nicht jeder Charakter bekommt die große Bühne geboten, doch es ist eine Gemeinschaft, wo jeder etwas zu beiträgt, weshalb es gar nicht auffällt, wenn mal ein Charakter nicht im Zentrum ist.
Erdmann baut diese Welt komplett durch interessante Fakten auf, wonach nicht einfach nur ein Unheiliges Jahr ist, sondern auch noch eine Unheilige Zeit, die nur an vier Tagen im Jahr alle dreizehn Jahre vorkommt. Doppelter Jackpot für die Geisterwelt, die in der Zeit noch grausamer ist, als sowieso schon. Es gibt verschiedene Stadien des Geisterseins, was mich richtig fasziniert hat und somit auch eigene Herangehensweisen für die Totenbändiger.
Doch nicht nur ein schneller Puls und Nervenkitzel sind Nebenwirkungen beim lesen, sondern auch die totale Tollheit, dass man sich Hals über Kopf in die Charaktere verliebt. Nichts neues für mich, das ist eigentlich der Erdmann-Standard, aber trotzdem bin ich immer wieder überrascht, wie leicht es ist, diesen Charakteren zu folgen, ihnen zuzujubeln, mit ihnen zu leiden und zu lachen.
Wirklich gut gefallen hat die unterschwellige Gefahr, denn noch längst ist nicht alles Grauen im ersten Buch offen gelegt und ich bin mir sicher, dass noch so einige Überraschungen in den nächsten Bänden folgen werden, worauf ich mich tierisch freue!
Ein Nadine Erdmann Buch bedeutet auch, dass die LGBTQ Community einen großen Raum einnimmt, sei es durch Beziehungen, offene Gedanken oder geführte Diskussionen, was mir persönlich sehr gut gefällt, da ich es ehrlich und wichtig finde. Ich weiß aber auch, dass nicht jeder so positiv darauf zu sprechen ist, also ist das Buch nicht für jedermann gedacht.
FAZIT
In einer Welt, in der Geister eine Selbstverständlichkeit sind und viele verlorene Orte existieren, an die man wegen der Geister, die man nicht in den Griff bekommen kann, nicht mehr gehen darf, existieren automatisch Verhaltensregeln für die Menschen. Und je mehr Regeln existieren, umso mehr Freaks gibt es, die sich versuchen über diese Regeln hinweg zu setzen und nicht nur sich selbst damit in Gefahr bringen. Doch es kommt noch schlimmer, denn dadurch entstehen besonders für Kriminelle regelrechte Wohlfühloasen und bringen eine ganz neue Sicht auf eine kaputte Welt mit. Ich habe eine Gänsehaut, wenn ich an diese Details denke. Nadine Erdmann hat eine magische Welt erschaffen, die krank ist und von der man den Eindruck bekommt, dass sie kaum zu retten ist, und wo Teenager ihr Leben für undankbare Menschen aufs Spiel setzen, die den Geistern selbst nichts entgegen zu setzen hätten. Ein menschlicher Abgrund in einer düsteren Geschichte, der sich toll integriert und einen gleichzeitig fluchen lässt. Doch genau das macht die Spannung ja auch wieder aus!
Es gibt viele Schreckmomente in "Unheilige Zeiten", die für Spannung und Anspannung sorgen, einige brutale und ungeschönte Szenen, dennoch schafft es so mancher Charakter durch lockeren Humor, durch Zuspruch, mit Freundschaft und Liebe auch für heitere Momente zu sorgen. Die Balance ist gut.
Diese Totenbändiger Reihe ist nicht einfach nur düster und schonungslos, sondern mit einigem Humor verziert, was es so leicht macht sich tiefer in die Dunkelheit zu wagen.