Ich habe diesen Strobel-Thriller in Leipzig gekauft, als ich von der Lesung von Saskia und Veit Etzold kam. Natürlich in dem Bewusstsein, knapp zwei Wochen später an genau diesem Ort in genau dieser Buchhandlung auf Arno Strobel höchstpersönlich zu treffen.
Arno Strobel gehört für mich zu der Kategorie von Autoren, denen ich sehr stark vertraue. Deshalb ist es mir auch weniger wichtig, wovon der Roman handelt, wo er spielt und welche Ziele er verfolgt. Mir ist einfach bewusst, dass ein Buch, was auf dem Cover in großen Buchstaben den Namen dieses Autoren trägt, nie schlecht oder langweilig sein kann. Und ohne dem Fazit dieser Rezension vorgreifen zu wollen, … Das Vertrauen in den Autor hat sich absolut gelohnt.
Wenn ich ein Buch lese, möchte ich mich vorher und dabei immer schon informieren, wie andere Blogger und Leser über das Werk denken. Normalerweise haben Blogger ein gutes Gespür dafür, wie viel sie verraten dürfen, ohne potentiellen Lesern die Spannung zu nehmen. Wir haben mit unseren Rezensionen ja das Ziel, ein Buch vorzustellen und Andere neugierig darauf zu machen. In diesem Falle habe ich mich etwas geärgert, dass ich so viele Rezis vorher schon gelesen habe. Nicht unbedingt, weil mir das Ende verraten worden wäre. Aber durchaus, weil einige Dinge zur Sprache kamen, die ich lieber allein festgestellt und danach bestätigt hätte. Jetzt aber künftig nur noch Rezensionen zu durchstöbern, wenn ich das Buch beendet habe, ist auch nicht so toll. Dann verpasse ich vielleicht Büchertipps. Der goldene Mittelweg lässt sich da wohl schwer finden.
Beim Lesen des Prologs bekommt man beim aktuellen Buch von Arno Strobel sehr gut mit, dass hier kein Täter am Werk ist, der nicht zu 100 % weiß, dass er mehr IQ Punkte besitzt, als so manch anderer Gedächtnisakrobat. Immer dann, wenn im Buch ein Part aus Sicht des Täters erzählt wird, wird dieser nicht müde, es in Gedanken oder im Selbstgespräch zu betonen, dass er der Polizei und anderen Akteuren gnadenlos überlegen ist und sich nicht so ohne Weiteres Dingfest machen lässt.
Der größte Teil des Buches besteht jedoch aus der Sicht von Julia und Michael. Ein Ehepaar. Glücklich. Seit Jahren. Er ist beruflich erfolgreich und sie steht an seiner Seite und unterstützt ihren Freund nach bestem Bemühen. Woran es nur mal wieder fehlt, ist ein bisschen mehr gemeinsame Zeit. Ein wenig die Seele baumeln lassen, lange Spaziergänge, lesen, tolle Gespräche bei gutem Essen. All das wünscht sich Julia doch sehr von ihrem Noch-Nicht-Ehemann. Da kommt diesem die Idee eines Kollegen sehr recht, mit ihm und seiner Frau ins Ferienaus auf die Insel Amrum zu fahren. Dort müssen dringend Renovierungsarbeiten erledigt werden und man könne gemeinsam sicher viel besser vorrankommen, als allein. Eines Tages brechen sie auf. Julia, Michael, Andreas und Martina. Andreas war ebenfalls sehr erfolgreich in dem, was er tat. Was natürlich zur Folge hatte, dass er wenig Zuhause ist und sich noch weniger um seine Ehe mit Martina kümmern kann. Diese kompensiert ihren Unmut mit schlechter Laune, welche sie ungehindert auf Alle überträgt, die eigentlich gern einen ruhigen Urlaub verbringen möchten. Es gibt dauernd Stress und Zoff wegen Martina und ihren missgünstigen Aussagen gegenüber ihrer Mitmenschen.
Einen gibt es auf der Insel aber, der sich augenscheinlich keine Laune verderben lässt. Er verdirbt selbst auf seine ganz eigene Art den Menschen die Urlaubslaune. Indem er sich ein glücklich wirkendes Paar aussucht, sich zu deren Wohnung Zugang verschafft, das Paar betäubt und entführt. Wenn Mann und Frau, die er Jane und John nennt, wach werden, ist sie bis zum Hals im Strandsand eingegraben und er in wenigen Schritten Entfernung an einen Pfahl angepflockt. Und dann kommt sie. DIE FLUT. Und sie nimmt Jane das Leben, während John nur noch dabei zu sehen kann, wie seine geliebte Frau nach Luft schnappend den letzten Atemzug unternimmt, bevor sie dem Salzwasser zum Opfer fällt.
Der Mörder ist ein hochintelligenter Mensch. Er weiß genau, welche Fäden er wann ziehen muss, um die Polizei gekonnt auf eine Spur zu bringen, von der zumindest einer der Ermittler nicht abzubringen ist. Mit einigem Abstand beobachtet er, wie die Beamten versuchen, dem Täter habhaft zu werden. Und trotz des Abstandes ist er immer mittendrin. Er weiß immer was Sache ist und kennt jeden ihrer Schritte. Die Frage ist nur: Wird es der Polizei gelingen, den Täter zur Strecke zu bringen? Werden sie den wahren Schuldigen finden? Oder wird er, völlig ungehindert, noch mehr morden, noch schlimmer morden? Wird er an sein Ziel kommen? Wird er finden, wonach er sucht? Oder muss er am Ende einsehen, dass es das, was er sucht, überhaupt nicht in dieser Form gibt? All diese Fragen könnt ihr nur lösen, wenn ihr das Buch lest.
Solltet ihr mit dem Gedanken spielen, im Sommer Urlaub auf Amrum zu machen, dann könnt ihr das tun. Ohne das Ende vorweg zu nehmen, kann ich euch verraten, dass der Mörder nicht mehr auf der Insel ist. Aber vielleicht ist er schon bei euch im Ort. Und vielleicht schaut er sich gerade jetzt euer Haus an, um demnächst ein neues Opfer zu finden. Auszuschließen ist Nichts. Und wenn man durch dieses Buch etwas vor Augen geführt bekommt, dann ist es, dass nichts so ist, wie es aussieht. Man sieht einem Ungeheuer seine Ungeheuerlichkeit nicht immer direkt an. Und schon gar nicht, wenn es von Arno Strobel erfunden wurde.
Blutrünstig sind seine Thriller nie, aber Strobel schafft es, in düsterer Stimmung seinen Lesern vor Augen zu führen, wie grausam Menschen sein können und wie krank ihre Gedanken.
Man fühlt sich beim Lesen oft so, als sei man mit den Opfern gemeinsam in die grausame Falle des kranken Typen getappt, der Dinge tut, die kein gesundes Gemüt sich einfallen lassen könnte. Als bobachtender Leser war es ein unheimlich beklemmendes Gefühl, zu erleben, wie die tödliche Gewissheit sich Stück für Stück in die Opfer gebohrt hat.
Wie es bei Büchern von Arno Strobel schon Tradition ist, lassen die letzten Seiten auch in diesem Thriller meinen Mund offen stehen. Personell hatte ich schon sehr zeitig eine Ahung, die sich am Ende als nicht falsch herausstellte. Jedoch habe ich diese Person nach wenigen Seiten nicht mehr als Täter im Blick gehabt, da seine Lebensweise und Ansichten immer mehr an Sympathie gewonnen haben. Am Ende wird dem Leser jedoch bewusst, dass diese Sympathie nur auf Lügen begründet war. Und gerade diese Täuschung in einem Menschen ist das eigentliche Grauen.
Andere meiner Verdächtigen haben jedoch bewiesen, dass Hartnäckigkeit keine Tugend auf verlorenem Posten sein muss.
Dieser Strobel-Thriller war nicht nur Thriller. Er war auch zu gutem Teil Krimi. Eigentlich lese ich gerne Kriminalromane. Nur hatte ich bei Arno Strobel nach DAS DORF etwas mehr Psycho und etwas weniger Krimi erwartet. Psychoterror gab es aber für einen unsere Hauptprotagonisten / Hauptprotagonistinnen dennoch. Und wenn ich mir etwas für diese Person wünschen darf, dann, dass sie nun trotz aller Dramatik, aller Angst und allem Kopfzerbrechen etwas getroffen hat, was wir oft suchen und nur einmal finden. Die Liebe fürs Leben.
Am Ende einer Rezension sage ich euch immer, ob ihr ein Buch lesen sollt, oder ob es sich nicht lohnt. Und wenn ich euch jetzt sagen würde, dass ihr diesen Strobel nicht lesen braucht, dann würde ich mich ernsthaft fragen, was mich da geritten hat. Natürlich MÜSST ihr ihn lesen, wenn ihr Strobel-Fan seid. Wenn ihr Thriller mögt, die viele Elemente von Kriminalromanen in sich tragen, dann seid ihr hier an der richtigen Stelle. Solltet ihr aber eher Lust auf ein langweiliges Buch haben, was euch gähnend auf der Couch zurücklässt, dann lasst DIE FLUT lieber noch im Regal stehen. Denn diese Erwartung kann ein Roman von Arno Strobel im Leben nicht erfüllen