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Calantha

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Weil wir längst woanders sind (ISBN: 9783832198145)

Bewertung zu "Weil wir längst woanders sind" von Rasha Khayat

Weil wir längst woanders sind
Calanthavor 7 Jahren
Eine wunderschöne Geschichte über die Fremde in der Heimat und die Heimat in der Fremde


Basil macht sich auf den Weg nach Jeddah in Saudi Arabien, weil seine Schwester bald heiraten wird. Was sich erst anhört nach einer typischen arabischen Familiengeschichte, geht jedoch viel tiefer. Denn Layla und Basil sind in Deutschland aufgewachsen. Als Kinder, kaum dass sie in die Schule gingen, kamen Sie mit dem arabischen Vater, welcher Arzt war und der deutschen Mutter, die Krankenschwester war, nach Deutschland.
Hier werden sie komplett Deutsch erzogen, so sehr dass Basil nicht einmal mehr Arabisch spricht und sich nur an Wortfetzen erinnert. Sie wachsen absolut liberal auf, fahren nicht einmal auf Besuch nach Saudi Arabien. Der Kontakt zu diesem Land, wurde komplett abgebrochen. Layla macht eine Ausbildung als Buchhändlerin und ist schon Mitte Zwanzig, als ihr plötzlich alles zuviel wird. Sie haut aus der WG mit dem Bruder und ihrem Ex-Freund ab und meldet sich erst ein Jahr später. Sie wäre in Saudi Arabien und würde heiraten, in einem Land was sie das letzte Mal gesehen hatte, als sie ein kleines Kind war und einen Mann, den sie gar nicht richtig kennt. Basil macht sich auf den Weg nach Jeddah um herauszufinden, was in die Schwester gefahren ist. Die große Frage, die immer im Hintergrund steht ist: Warum?


Das Buch ist ein Mosaik der Gefühle und Eindrücke. Wir begleiten Basil auf seiner Entdeckungsreise nach Saudi Arabien und nehmen aus seiner Sicht wahr, wie fremd alles ist. Fremd, aber auch beeindruckend. Das Buch lebt auch von den Rückblenden, wo Basil sich an die gemeinsame Kindheit erinnert und zeigt, wie es sich für ein Kind anfühlt, plötzlich die Heimat zu verlieren. Besonders in diesen kindlichen Episoden bekommt man nochmal einen ganz unvoreingenommen Blick präsentiert. Dem älteren Basil, ist die Sache nicht ganz geheuer. Er sucht nach der Antwort, warum seine Schwester dieses Leben in Saudi Arabien bevorzugen möchte, obwohl sie doch alle Freiheiten in Deutschland hatte. Zwischen den Zeilen, kann man ganz viele dieser Gründe finden. An manchen Stellen konnte man förmlich die herzliche Atmosphäre spüren und den duftenden Kardamom-Kaffee riechen. Dies liegt auch an der fantastischen bildreichen Sprache, die Rasha Khayat verwendet. Sie streut auch immer wieder arabische Ausdrücke oder Satzstücke ein, die jedoch in der deutschen Umschrift sind und einen schönen Eindruck vom Klang der Sprache vermitteln und das Buch sehr authentisch gestalten.


Wir erleben in der Geschichte die Gegensätze des Landes und sehen Prunk und Luxus. Wir beobachten, dass die Gesellschaft privat wesentlich liberaler ist, als in der Öffentlichkeit und Layla auf kaum etwas verzichten muss. Gemessen am Reichtum Saudi Arabiens, kommt einem das deutsche Leben sogar bettelarm vor. Fest steht auf jeden Fall: Layla ist kein Mädchen, dass auf den Kopf gefallen ist. Tatsächlich scheint sie in Jeddah, glücklicher und freier, als sie es je zuvor war.


Es scheint an manchen Stellen sogar, dass Basil etwas neidisch ist, auf die Schwester, die eine so gute Verbindung zu ihrer Heimat und Kultur hat, während er sich mit allem schwer tut und sich auch dieses Gefühl der Verwurzelung und Identifikation, beim ihm nicht einstellen will. Während Basil sich komplett von seiner Vergangenheit distanziert hat, liegt für Layla alles darin, was sie immer vermisst hat.


Während man am Anfang noch denkt, Basil und seine Mutter würden einfach nicht hinter der Entscheidung von Layla stehen, merkt man mit der Zeit, dass es noch einen ganz anderen Grund gibt, warum sich Basil und seine Mutter so sehr von Saudi Arabien distanzieren, was aber überhaupt nichts mit diesem Land zu tun hat. Es ist fast so, als würde ein Teil der Familie krampfhaft versuchen, die Vergangenheit auszublenden, während Layla eine beherzte Offenheit an den Tag legt, die sogar dazu führt, dass sich Teile der Familie wieder vereinen. Mit Liebe und Offenheit versucht sie die Wunden der Vergangenheit zu heilen und somit wohl auch sich Selbst.


Das Buch ist einer beeindruckenden Sprache geschrieben, die die selbe Liebe und Leichtigkeit vermittelt, die Layla wohl fühlen muss. Für mich ist es das Buch-Highlight 2016. Das liegt daran, dass mich diese Geschichte in ihrer Wärme und Herzlichkeit tief berührt hat.

Cover des Buches Akzente 3 / 2016 (ISBN: 9783446251793)

Bewertung zu "Akzente 3 / 2016" von Jo Lendle

Akzente 3 / 2016
Calanthavor 7 Jahren
Anregende und nachdenkliche Texte mit hoher literarischer Qualität


Die Akzente ist eine Literaturzeitschrift, welche 4 mal im Jahr erscheint. Sie wird vom Hanser Verlag herausgegeben und ist eine der bekanntesten Literaturzeitschriften. Jede Ausgabe steht unter einem bestimmten Motto. Dieses Mal war das Motto „Europa“.

Thematisiert wird das Verhältnis zwischen Osteuropa und Westeuropa, Abhängigkeiten und geschichtliche Vorkommnisse, die Europa geprägt haben, von Holocaust bis Diktatur. Das unausgeglichene Gefälle zwischen den einzelnen Ländern und auch das Miteinander und Gegeneinander wird erwähnt. Außerdem kommt Europas Platz in der Weltpolitik zur Sprache und es wird sich mit der „Festung Europa“ und dem eurozentrischen Blick auseinander gesetzt.

Die Texte sind ganz unterschiedlich gestaltet. Nicht alle Texte haben mir auch gefallen, manche fand ich zu sehr konstruiert und übertrieben, wie die Geschichte „Bärenfett“. Es fing erst ganz normal an und wurde dann immer absurder. 

Sehr gut gefallen hat mir hingegen der Text „Ein Platz an der Sonne“ von Alek Propov, über zwei Männer am Schwarzen Meer. Der Eine beobachtet auf der georgischen Seite den Sonnenuntergang und der Andere beobachtet auf der bulgarischen Seite, den Sonnenaufgang. Beide kennen sich nicht, der eine träumt von der Zukunft, den Chancen und vom europäischen Fortschritt, während der andere in Europa sich an die alten Zeiten zurückerinnert und sich nach der wilden Vergangenheit sehnt und eine Verbindung mit den Ahnen sucht, die noch das wahre Leben kannten, ohne Supermärkte und Fließbandarbeit. Beide idealisieren die Lebensweisen des jeweiligen Anderen, ohne es zu merken. Und vielleicht erklärt dieses Gefühl auch den nationalistischen Ruck in Europa. Jetzt nach dem wir das haben, was wir wollten, sehen wir, dass diese ganze Konsum- und Leistungsgesellschaft, gar nicht so erstrebenswert ist und sehnen uns wieder nach dem Ursprünglichen, Traditionellen und „echt Deutschen“.
Die Gedichte haben mir eher weniger gefallen, aber das liegt sicher daran, dass ich allgemein nicht so leicht von Gedichten zu überzeugen bin, außer sie haben eine wirklich wundervolle Poesie. Nur das etwas längere Gedicht (14 Seiten) „Hotel Europa“ von Nicoleta Esinencu hat mir sehr gut gefallen und ich war auch sprachlich sehr angetan davon. Es geht um Belarus, dessen Vergangenheit, Gegenwart und um den russischen und westlichen Einfluss. Interessant ist auch, dass die Autorin eigentlich in Moldavien geboren ist und bereits in den verschiedensten Ländern Europas gearbeitet hat.  Aber genau darum geht es auch, in der Europa-Ausgabe, um dass sich hinwegsetzen über nationalstaatliche Grenzen. Einen Blick auf einen größeren Raum und einen größeren Zusammenhang zu werfen.

Dann gibt es auch noch Essays, die zum Teil verschiedene Gedankengänge wiedergeben. Stellvertretend für die Essays möchte ich kurz den Text „Der eindimensionale Europäer“ von Robert Menasse erwähnen, der übrigens auch einer der Herausgeber ist. Ich habe selten so eine gute und dichte Erklärung von derzeitig gesellschaftlichen Problemen und dem geschichtlichen Hintergrund gesehen. Der Autor macht Zusammenhänge sichtbar und regt zum Nachdenken an. Zentrale Thesen seiner Ausführungen sind, dass es keinen „guten“ Nationalismus gibt und die Idee eines homogenen Nationalstaates in Europa zu den beiden größten geschichtlichen Katastrophen, den Weltkriegen und den Holocaust geführt hat. Ein homogenes und durch Grenzen abgeschlossenes Volk, hat es in Europa nie gegeben. Besonders gut zeigt sich das auch an dem Nationalstolz von Österreich, dessen ganze Errungenschaften auf dem Habsburgerreich basieren. Menschen die heute als Ausländer diskriminiert werden, waren früher ganz Selbstverständlich ein Teil von der riesigen Monarchie in Österreich.

Absolute Lese-Empfehlung mit anregenden und interessanten Gedanken und auch einem kritischem Blick auf aktuelle Vorgänge in Europa. Die Vielzahl und die Unterschiedlichkeit der Texte, macht das Lesen sehr interessant. Sicher findet jeder Texte, die ihn mehr berühren, als Andere, in allem aber eine gelungene Mischung!

Cover des Buches Das Leuchten meiner Welt (ISBN: 9783453358966)

Bewertung zu "Das Leuchten meiner Welt" von Sophia Khan

Das Leuchten meiner Welt
Calanthavor 7 Jahren
Eine Spurensuche zwischen Amerika und Pakistan

„Das Leuchten meiner Welt“, ist das Debüt von Sophia Khan, einer pakistanischen Autorin mit amerikanischen Wurzeln. Das Buch wurde aus dem Englischen übersetzt und ist im Diana-Verlag erschienen. Aufgrund der Einordnung als Liebesgeschichte, einer jugendlichen Protagonistin und dem schönen verspielten Cover, habe ich viele Rezensionen auf Blogs von sehr jungen Mädchen gesehen. Ich möchte jedoch gleich anmerken, dass das Buch über eine einfache Liebesgeschichte hinausgeht. Sowohl vom Schreibstil, als auch vom Inhalt, ist es durchaus für Erwachsene geeignet und bietet einen gewissen Anspruch. Tatsächlich wird dieser Aspekt, von vielen jüngeren Rezensentinnen, sogar stark kritisiert. Für mich ist das natürlich positiv zu bewerten.

Es geht um die junge Irenie, Tochter eines Amerikaners und einer Pakistanerin, welche in Amerika aufwächst. Als sie 10 Jahre alt ist, verschwindet ihre Mutter Yasmeen spurlos. Die Story setzt einige Jahre später ein, als Irenie auf dem Dachboden eine Kiste mit alten Briefen ihrer Mutter findet. Welches Geheimnis verbirgt sich hinter dieser verbotenen Liebe? Irenie begibt sich auf eine Spurensuche, die sie bis nach Pakistan führt. Warum verschwand ihre Mutter und welche Rolle spielten die einzelnen Personen ihrer Familie dabei?

Die Geschichte wechselt in der Erzählperspektive zwischen Irenie und ihrem Vater James. Abwechselnd erfahren wir einige Kapitel der Handlung von Tochter und Vater. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Während sich Irenie im ersten Teil in Amerika befindet und versucht mehr über die geheimnisvollen Briefe herauszufinden, begibt sie sich im zweiten Teil nach Pakistan.

Der Schreibstil ist etwas anspruchsvoller als in den meisten Liebesgeschichten. Zusätzlich zu den zwei Perspektiven kommen noch unzählige Rückblenden und Zeitsprünge. Da erzählt der Vater von seiner Beziehung zu Yasmeen, von seiner Schwester und seiner Kindheit. Und auch Irenie, erzählt Episoden aus ihrer Kindheit, erinnert sich an die Mutter und an Erlebnisse mit ihrer Freundin. Das macht die Geschichte sehr vielseitig und lebendig, man muss jedoch aufmerksam lesen. Die Sprache bewegt sich zwischen poetisch und kitschig. Der Schreibstil passt aber sehr gut zum Genre und zur Handlung. Man merkt, dass sich die Autorin Gedanken gemacht hat und ihre Worte mit Bedacht auswählt. Jedes Kapitel wird mit einem Abschnitt aus den gefundenen Briefen an die Mutter eingeleitet.

Zwischen anderen Liebesgeschichten sticht das Buch heraus, weil es mehr ist, als nur eine klassische Liebes-Story. Vielmehr rekonstruiert die Autorin die Geschichte der verschwundenen Mutter anhand Erinnerungen, Briefen und gegenwärtigen Geschehnissen. Außerdem ist das Thema von binationalen Beziehungen, selten mit so guter Sprache und Hintergrundwissen verbunden, wie hier. Nebenbei bekommt man besonders im zweiten Teil, tiefe Einblicke in die pakistanische Kultur, was das Buch ungeheuerlich bereichert.

Erinnerungen vermischen sich in dieser Geschichte mit der Gegenwart. Nach und nach erfahren wir immer mehr von Yasmeen und spüren auch, wie das Verschwinden der Mutter, die Tochter Irenie geprägt hat. Diese jagt jedem erdenklichen Fetzen, den sie über ihre Mutter findet, hinterher. Die Tochter quält das Verschwinden so sehr, dass sie jede Erinnerung für sich vereinnahmt. Sie kocht ihrem Vater pakistanisches Essen und kauft immer noch die selbe Kleidung, die ihre Mutter ihr kaufte. Umso mehr sie über ihre Mutter erfährt, umso mehr erfahren wir auch über Irenie, die sich mit dem Vater und ihrem Umfeld nicht so ganz identifizieren kann. Sie ist eher eine verträumte Einzelgängerin, entwickelt sich jedoch im Laufe des Buches weiter, wächst zusammen mit ihren Entdeckungen über die Mutter. Sie gewinnt immer mehr an Klarheit über sich, ihre Mutter und ihre Herkunft.

Im Original heißt das Buch übrigens „Yasmeen“ und ich finde den Titel viel besser, als „Das Leuchten meiner Welt“, da es wirklich vorwiegend um die verzwickte Lebensgeschichte von Yasmeen geht. Das Cover ist in Englisch auch ganz minimalistisch gehalten. Das bunte deutsche Cover täuscht ein bisschen über den Inhalt und den Anspruch. Das erklärt auch die vielen eher enttäuschten Rezensionen von besonders sehr jungen Leserinnen, die mit dieser Geschichte überfordert waren oder etwas anderes erwartet hatten. Das Buch lebt besonders von seiner Vielseitigkeit an zwischenmenschlichen Beziehungen und wundervoll ausgearbeiteten Charakteren, die sich langsam entfalten, wie ein guter Wein.

Cover des Buches Die Auswandernden (ISBN: 9783922895282)

Bewertung zu "Die Auswandernden" von Peter Waterhouse

Die Auswandernden
Calanthavor 7 Jahren
Die Auswandernden – ein Buch über Sprache, Flucht, Weggehen und Ankommen

Peter Waterhouse und Nanne Mayer, erschaffen mit dem Buch „Die Auswandernden“, ein Werk an der Schnittstelle von Literatur und Kunst, mit äußerst aktuellen Bezug. Das Buch hat es auch dieses Jahr auf die Shortlist des österreichischen Buchpreis geschafft.

In diesem Buch geht es aber nicht klassisch um eine Fluchtgeschichte, oder um eine politische Auseinandersetzung, hier geht es in erster Linie um die Perspektive auf Sprache. Es ist ein Projekt der anderen Art, welches durch Kunst und Poesie einen ganz neuen Zugang zu diesem Thema mitbringt.

Peter Waterhouse wurde 2012 mit dem österreichischen Staatspreis ausgezeichnet und hat mehrere Jahre an dem aktuellen Buch gearbeitet. Die Arbeit begann er schon vor der großen Flüchtlingskrise, als dieses Thema noch nicht so populär war. Seine Herangehensweise an das Thema, ist erfrischend anders, als man das erwartet. Eine große Rolle spielt in seinem Werk die Sprache, als Schlüssel zu Kultur und Identität. Es geht um die junge Frau Media, die aus einem kaukasischen Dorf, nach Österreich flüchtet. Die sprachlich sehr begabte Frau begleitet den Ich-Erzähler durch Wien und sie lernen, reflektieren und spielen mit der deutschen Sprache. Dadurch versuchen sie die Wörter und die neue Lebenssituation zu verstehen und sich ihr anzunähern. Dabei bewegt sich der Text zwischen sprachlichen Harmonien, gedanklichen Verknüpfungen und Absurditäten. Die Gedanken des Erzählers schweben, springen, wiederholen sich und transformieren sich durch den Einfluss von Media, zu etwas Neuem. Aber nicht nur Media hat Einfluss auf die Gedankenwelt, auch viele Zitate von Autoren (Hebbel, Stifter, Dickens und Andere) finden ihren Platz.

Der Schreibstil ist dementsprechend poetisch, analytisch und fast schon künstlerisch. Man muss sich auf diesen Text einlassen und der Sprache den Raum lassen, sich zu entfalten. Dann wird man schnell den Nachklang entdecken, den der Autor auslöst. Besonders interessant ist dabei zu beobachten, welche Wechselwirkung zwischen dem Erzähler und Media entsteht. Diese hat scheinbar eine ganz andere Herangehensweise an sprachliche Bedeutung, welche wahrscheinlich aus dem Umgang und der Kultur ihrer eigenen Sprache herrührt.

Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Roman besonders für Sprachwissenschaftler und Germanisten interessant ist. Aber auch allen Anderen, kann er neue Sichtweisen auf Sprache und Flucht eröffnen.

Die künstlerischen Arbeiten von Nanne Meyer, geben dem Buch etwas Spezielles und verleihen ihm nochmal eine tiefere Ebene: eine Ebene der Betrachtung und Impression. Nicht gleich wird einem klar, wie diese Zeichnungen und Collagen im Zusammenhang stehen. Man kann sie jedoch einfach auf sich wirken lassen und dann entfalten sie viele Fragen und Eindrücke, welche zu dem Buch passen und eröffnen wieder neue Sichtweisen. Ich finde die Kombination zwischen Kunst und Prosa in diesem Fall sehr gelungen, wobei ich solchen Experimenten oft abgeneigt bin. Hier entsteht jedoch eine überaus interessante Kombination. Die Kunstwerke sind abstrakt und meist von wenigen Wörtern oder Wortgruppen aus dem Buch begleitet.

Das Buch hat es mit Recht auf die Shortlist des österreichischen Buchpreises geschafft, weil es etwas ganz Neues wagt und die Grenzen zwischen Kunst, Literatur, Sprache und Gesellschaft verschwimmen lässt. Es regt den Leser an, sich Gedanken zu machen und provoziert geradezu mit seiner Poetik und Sprachfertigkeit zur Reflexion.

Cover des Buches Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist (ISBN: 9783421046802)

Bewertung zu "Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist" von Stefan Bollmann

Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist
Calanthavor 8 Jahren
Auf den Spuren von Goethes Erfahrungen und Erkenntnissen

Ein Leben ohne Goethe?

An Goethe kommt jemand vorbei. Wir begegnen ihm als Pflichtlektüre an der Schule oder an der Uni. Im Rahmen von Zitaten, Essays oder sonstigen Unterhaltungen begegnet man ihm immer wieder. Oft ist er, als der größte Dichter Deutschlands, berühmt und gefürchtet. Er strahlt für die meisten Bürger eine ungeheure Ehrfurcht und Unnahbarkeit aus. Stefan Bollmann nimmt uns mit in die Zeit von Goethe und zeigt den Dichter von einer ganz privaten Seite.

Zu Unrecht ist dieses Buch teilweise unter der Kategorie Ratgeber eingeordnet. Vielmehr handelt es sich um eine Biographie, die sich anstatt mit Jahreszahlen, mit der Gedankenwelt, den Lebensabschnitten und den Problemen Goethes befasst. Man erhält so einen ganz nahen Einblick in Goethes Wesen und kann seine Erkenntnisse auch auf das eigene Leben beziehen. Bestimmte Muster tauchen auch in unserem Leben und in unserer Gesellschaft immer wieder auf. Goethe plagte teilweise das, was uns auch heute beschäftigt: die Suche nach dem Glück und nach der Selbstverwirklichung.Die Glorifizierung von Goethe, als unerreichbarer Dichter und Denker, wird ein bisschen brüchiger und wir nähren uns Goethe an, in dem wir erfahren, was ihn beschäftigt hat und woher seine Ideen kamen. Wir erfahren, dass viele seiner Geschichten auf biographischen Ereignissen beruhten.

 

Auf den Spuren von Goethes Erfahrungen und Erkenntnissen

Kapitel für Kapitel, gehen wir wichtige Lebensabschnitte von Goethe durch, erkennen seine Probleme und versuchen ein tiefes Verständnis zu bekommen.  An vielen Stellen sehen wir, dass seine Probleme uns nicht fremd sind. Besonders für kreative Personen, zeigen sich viele Anknüpfungspunkte. Mit dem Blick auf das eigene Schreiben und Leben, bekommt man noch einmal eine ganz neue Perspektive. Wir lernen in dem Buch auch darüber, was andere Menschen seiner Zeit über Goethe dachten. Die vielen Stimmen und Anknüpfungspunkte, machen dieses Buch sehr lebendig.

Etwas missfallen hat mir der Teil, in dem es um Haruki Murakami ging und er eines seiner Bücher (ausgerechnet das, was gerade auf meinem Stapel ungelesener Bücher liegt) als Vergleich heranzieht. Ich habe weder damit gerechnet, in einem Goethe Buch auf Haruki Murakami zu treffen, noch damit, dass mir gleich dessen ganzer Inhalt verraten wird.

An einer anderen Stelle, äußert der Autor Kritik an Goethes Verstoßung von Lenz, weil dieser in den Tag hineinlebte, Goethe belästigte, keiner geregelten Arbeit nachging und von Goethe verstoßen wurde, nachdem er gleich zwei Mal versuchte Goethe seine Frau auszuspannen. Ich finde das im Gegensatz zum Autor, jedoch nicht schwer nachvollziehbar. Mir wäre auch egal, welches Talent oder Hilfsbedürftigkeit jemand besitzt, der solche Umgangsweisen an den Tag legt. Aber genau das, ist auch die Stärke des Buches: man legt das Gelesene automatisch auf sich Selbst um, denkt nach und möchte seine eigene Interpretation der Ereignisse erschaffen. Man erkennt viele Situationen und Lebensabschnitte auch bei sich Selbst wieder und bekommt durch Goethe viele hilfreiche und inspirierende Aspekte vermittelt.

 

Eine inspirierende Lektüre

Ich finde diese Herangehensweise an eine Schriftsteller-Biographie herrlich. Ich habe nach der Lektüre das Gefühl, Goethe noch etwas besser verstanden zu haben. Viele Aspekte waren neu und luden zum Nachdenken ein, sowohl über Goethe, über seine Werke, aber auch über mich Selbst.Ich würde sehr gerne noch weitere Biographien auf dieser Art und Weise lesen. Es macht die vergangene Lebenswelt ungeheuerlich anschaulich und begreifbar. Biographien zu lesen, ist oftmals sehr anstrengend, da es nicht selten vorkommt, dass man sich mit Fachausdrücken oder geschichtlichen Hintergrundwissen auseinandersetzen muss. Am Ende hat man zwar den Eindruck, einen Haufen von Informationen bekommen zu haben, aber wirklich eine Vorstellung, was die Personen beschäftigt und angetrieben hat, hat man nicht. Wir alle kennen die Zeit des Sturm und Dranges aus dem Geschichtsunterricht. Doch was bedeutete das für die Gedankenwelt der jungen Dichter? Dieses Buch klärt all diese Fragen und gibt uns einmalige Einblicke in die Gedankenwelt Goethes.

Cover des Buches Die Harzreise (ISBN: 9783880420953)

Bewertung zu "Die Harzreise" von Heinrich Heine

Die Harzreise
Calanthavor 8 Jahren
Heinrich Heine als heimatloser Wanderer, gezeichnet von seiner Zeit


Heinrich Heine nimmt uns mit auf seine Harzreise und hält dabei kein Blatt vor den Mund. Wir starten in Göttingen und folgen dann Heine über den Brocken bis nach Weimar. Dabei begegnen wir nicht nur allerlei Menschen und Ortschaften, sondern bekommen auch einen Einblick, was Heine von Ihnen hält. Sein Blick ist detailreich, kritisch und ironisch. Er nimmt alle Städte und Dörfer aufs Korn, hat aber viel für die Natur übrig. Mit romantischen Blick und scharfer Schreibfeder, erleben wir die Harzreise als Reisebericht der besonderen Sorte. Leicht und locker baut Heine auch immer wieder Gedichte in den fließenden Text ein.

Neben scharfer Kritik an Städten und Zeitgenossen, hat Heine aber auch den Blick für das Besondere und Romantische. So schreibt er wundervolle Naturbeobachtungen oder besucht die Bergleute, die seinen großen Respekt bekommen.

Heines geistige Haltung und teilweise abwertender Schreibstil, war ein Ergebnis der Umstände, unter denen Heine sich befand. Da er Jude war und zu dieser Zeit die Juden in Deutschland bereits starker Diskriminierung ausgesetzt waren, fühlte er sich nie wirklich zu Hause in Deutschland.

Heine wuchs in relativ guten Umständen auf und hatte später auch einen sehr reichen Onkel, der ihn unterstütze. Eine Arbeit im Tuchhandel war ihm in die Wiege gelegt, allerdings hatte Heine wenig Interesse daran. Er versuchte sich an einer Universitätskarriere in der Rechtswissenschaft und besuchte auch die Literaturvorlesungen von Schlegel, welche ihn sehr prägten. Als Jude kam er jedoch als Jurist weder an der Universität noch in anderen hohen Position unter und als ihm diese Karriere verwährt blieb, beschloss er sein Geld als Schriftsteller zu verdienen. Dies war für einen Zeitgenossen wie ihn, eine sehr ungewöhnliche Berufswahl und sicher auch ein bisschen von seinem Trotz beeinflusst.

Die ständigen Anfeindungen und Auseinandersetzungen mit seinen Zeitgenossen, führte zu einem sehr scharfen Schreibstil, der die Menschen nicht immer begeisterte, sondern ihm auch viel Kritik brachte. Seine Zeitgenossen kamen unter seiner Feder meist nicht gut weg. Letztendlich ging Heine nach Paris weil er sich dort wohler fühlte, als in Deutschland. 

Die Harzreise war für mich ein perfekter Einstieg. Da ich selbst aus dem Harz stamme, konnte ich mir alles sehr lebhaft und bildlich vorstellen. Ich musste oft Schmunzeln, wie aktuell Heines Berichte doch sind. Tatsächlich ist es bis heute so, dass sich die Mentalität der Menschen nicht stark geändert hat. Noch immer wird man als Fremder argwöhnisch betrachtet und noch immer, ist die Natur dort wahnsinnig beeindruckend. Die Dörfer sind zwar etwas in der Zeit stehen geblieben, aber gerade wegen der wundervollen Landschaft und den ganzen mythologischen Sagen, ist der Harz unbedingt eine Reise wert.

Mich hat Heines Schreibstil total begeistert, er ist zwar scharf und kritisch, aber im Gegensatz zu manchen satirischen Zeitgenossen, trotzdem sehr gut beobachtend, einfühlsam und auf einem hohen intellektuellen Niveau. Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle Leser Freude an diesem Stil haben, aber wenn man sich darauf einlässt, kann man viel Entdecken.

Cover des Buches Als wir träumten (ISBN: 9783596173051)

Bewertung zu "Als wir träumten" von Clemens Meyer

Als wir träumten
Calanthavor 11 Jahren
Eine orientierungslose Jugend in der Wendezeit Deutschlands


Einer meiner Lieblingsautoren, ist Clemens Meyer. Er schafft es auf imposante Weise meisterhaft mit Sprache umzugehen und dabei absolut tiefgründige Geschichten zu erzählen, die die Leser sprachlos zurücklassen. In „Als wir Träumten“ widmet er sich der Jugend in der Wendezeit in der DDR.

Clemens Meyer erzählt die Geschichte von einer Gruppe von Freunden, die im Leipzig der Wendezeit aufwachsen. Alle haben gemeinsam, dass sie durch die Wende, tiefgehende Veränderungen mitmachen und ihr Gleichgewicht verlieren. Sie kommen aus den unteren Schichten und gehören dem Milieu an, welches weder mit Geld, Arbeit oder Liebe gesegnet ist. Es geht um eine verlorene Jugend, die in einer Zeit voller Umbrüche aufwächst und orientierungslos zurückbleibt. Junge Menschen, die an sich Selbst zerbrechen und ihrer Wut Ausdruck verleihen.

Der Roman ist in der Ich-Perspektive erzählt und bedient sich Elementen der Jugendsprache. Die Hauptperson ist der Erzähler, welcher sich durch das Leben boxt. Die Sprache ist aufwühlend und hart, genauso wie die Geschehnisse. Schon auf den ersten Seiten geht es richtig zur Sache. Man erfährt von Schlägereien, der ersten Liebe und Drogen. Zwischendurch gibt es dann auch Episoden aus der DDR Zeit, die die Erinnerungen an die Kindheit zeigen.


Der Autor wechselt in der Erzählung zwischen den verschiedenen Ereignissen und erzählt nicht chronologisch, sondern wild durcheinander. Das passt auch wunderbar zu der wilden Story. Er schafft es meisterlich diese zeitlich durchmischten Episoden, im Gesamtwerk miteinander zu verknüpfen. Als Leser bleibt man dabei manchmal kurz auf der Strecke oder versteht Zusammenhänge erst später. Trotzdem passt das wunderbar zum Buch. Wir begleiten die Jugendlichen beim Erwachsen werden zwischen Kriminalität, Gewalt und dem Abstieg. Es ist eine düstere Geschichte, in der immer die Hoffnung mitschwingt, dass es irgendwann besser wird. Stattdessen wird es immer nur schlimmer. Man fragt sich unweigerlich, was der Autor von diesen Geschichten tatsächlich wohl miterlebt hat, denn so intensiv darüber zu schreiben, wie das hier der Fall ist, ist wohl fast unmöglich ohne Erfahrungswerte. Tatsächlich ist er sogar zu der beschriebenen Zeit in Leipzig aufgewachsen. Meyer zeichnet die Charaktere tief und genau. Er baut die Story bis ins winzigste Detail aus und zeigt die vielen Facetten seiner Geschichte. Wir erfahren nicht nur die Geschichte des Ich-Erzählers, sondern bekommen auch tiefe Einblicke in die Leben seiner Freunde und allen damit verbundenen Menschen.

Meyer schafft es nicht nur authentische Figuren zu zeichnen, sondern lässt sie auch abseits von Stereotypen leben. Gut und Böse verschwimmen. Die perspektivlosen Jugendlichen sind getrieben vom Leben und machen sich keinen großen Kopf um Moral oder Zukunft. Die Zukunft haben sie sowieso schon abgeschrieben. Die Realität ist beeinträchtigt vom Rausch. Hin und wieder korrigiert das erzählende Ich, die Version seiner Geschichte, so dass man manchmal nicht mehr weiß, welche Version nun die Richtige war.

Es gibt sie leider überall versteckt im echten Leben, diese Geschichten ohne Happy End, die Jugendlichen ohne Perspektive, welche allein am Rand der Gesellschaft leben, sich selbst und der Zerstörung überlassen. Clemens Meyer zeigt, wie schnell und rasant der Weg immer weiter abwärts führt, in die Spirale aus Hass, Zerstörung, Drogen, Gewalt und Tod.

Cover des Buches Antigone (ISBN: 9783110357615)

Bewertung zu "Antigone" von Sophokles

Antigone
Calanthavor 8 Jahren
Cover des Buches Wilhelm Tell (ISBN: 9783518188309)

Bewertung zu "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller

Wilhelm Tell
Calanthavor 8 Jahren
Cover des Buches Öffne deine Seele (ISBN: 9783499259869)

Bewertung zu "Öffne deine Seele" von Stephan M. Rother

Öffne deine Seele
Calanthavor 11 Jahren

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