Cattie
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Rezensionen und Bewertungen
Bewertung zu "Anti-Racist Ally: An Introduction to Action and Activism" von Sophie Williams
Bewertung zu "Die drei Leben der Hannah Arendt" von Ken Krimstein
Eine Graphic Novel über das Leben - oder besser gesagt, die drei Leben - der Hannah Arendt? Her damit.
Die Idee hinter Ken Krimsteins Graphic Novel hat mich anfangs direkt angesprochen. Drei Stationen in Hannah Arendts Leben, in Deutschland, Paris und New York, gliedern seinen Versuch, ihre Lebensgeschichte auf einer visuellen Ebene zu verarbeiten. Trotz ansprechender Illustrationen gelingt ihm dies jedoch nur ansatzweise. Für die ca 200-Seiten umfassende Graphic Novel ist Arendts Leben und Wirken einfach zu komplex und ereignisreich. Zudem versteht sich Krimsteins Werk nicht als Biographie an sich, sondern als "Interpretation ihres Lebens, eine biographische Fiktion mit textlich tradierten Anleihen aus ihrem Werk". Die Lektüre der Graphic Novel sollte daher losgelöst von einem wissenschaftlichen Kontext betrachtert werden, auch da ihre philosophischen Ansichten, oder eher der zu ihrer politischen Theorie, nur skizziert werden.
In den schwarz-weißen Illustrationen sticht Hannah, bzw ihr grünes Kleid, hervor. Diese Farbgebung ist gut gewählt, könnte es bei der Vielzahl an Personen, die hier und da in die Geschichte eintreten, teilweise schwer sein, ihr zu folgen. Die Seiten sind abwechslungsreich gestaltet, verschiedene Techniquen aus dem Bereich der Graphic Novel/Comic Gestaltung werden verwendet, was der Geschichte eine dynamische und visuell anspruchsvolle Seite verleiht. Hervorzuheben ist auch die gewählte Schriftart, die leicht zu lesen ist und doch einen handschriftlichen Charakter bewahrt. Kurze Captions, ebenfalls in grün gehalten, über einer Vielzahl von Seiten fungieren als eine Art Kapitelüberschrift und situieren die Geschichte, die mehrere Jahrzehnte und Aufenthaltsorte überspannt, zeitlich und geographisch sowie inhaltlich. Der linearen Erzählung lässt sich so gut folgen und die Stufen Hannahs Lebens nachvollziehen.
Schwer hingegen ist oftmals, den vielen Personen zu folgen, die sich durch die Geschichte tummeln. Nicht selten erscheint dies eher wie ein Namedropping von Krimsteins Seite, großartig ausgeführt werden viele der Personen, oftmals wichtige Zeitgenossen Arendts, nicht. Das Namensverzeichnis inklusive sehr kurzer Personenbeschreibungen am Ende der Graphic Novel wirkt eher überlastend, zu viele Informationen prasseln hier auf die LeserInnen ein. Auch wenn es zu begrüßen ist, dass Krimstein es sich zum Ziel gesetzt hat, Hannahs Bekanntenkreis zu gut wie möglich auszumalen, wäre man hier mit mit weniger Personen besser bedient gewesen, besonders wenn diese nie als direkt mit Hannah agierend gezeigt werden. Auch ihre philosophischen und politischen Ansichten kommen zu kurz in diesem Werk, wenn man sich dieses denn gewünscht hätte. Zwar angeschnitten, dient die Graphic Novel weniger einer Tradierung ihres Schaffens, dies erscheint nur nebensächlich.
Für diejenigen, die sich vor allem für das Leben der Juden im 3. Reich und die Flucht aus diesem interessieren ist immer noch Art Spiegelmans Maus die beste Empfehlung. Zu einfach und problemlos wird Hannahs Flucht ins Exil beschrieben, werden ihre Aufeinandertreffen mit Nationalsozialisten und Inhaftierungen behandelt.
Ein kurzweiliges Leseereignis das visuell überzeugen kann, inhaltlich jedoch mehr durchdacht hätte sein können.
Adeline Dieudonnés Debutroman hat mich begeistert und beeindruckt und wird beschrieben als "explosive Coming-of-age Geschichte um ein Mädchen, das sich aus der weiblichen Opferrolle befreit"'.
Wir folgen der namenlosen Erzählerin über mehrere Jahre durch ihre Kindheit bis in die Jugend. Zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Gilles, der als Amöbe beschriebenen, tierlieben Mutter und dem gewalttätigen, kaltherzigen Vater lebt sie in einem der besten Häuser einer Demo-Siedlung. Obwohl ihre Eltern ihr wenig Liebe schenken, genießt sie zuerst ihre Kindheit mit Gilles, bis diese Beziehung durch einen tragischen Unfall zerbricht, vor allem Gilles traumatisiert zurücklässt und die Erzählerin sich wünscht, einfach nur die Zeit zurückdrehen zu können. Ihr Plan ist, eine Zeitmaschine zu entwickeln, um die Verwandlung ihres Bruders in eine Bestie, eine Hyäne, wie sie ausgestopft im Trophäenzimmer des Vaters steht, zu vereiteln. Doch sie realisiert, dass die Vergangenheit nicht immer änderbar ist, das wirkliche Leben hingegen schon.
Dieudonné schafft es, ein eindringliches Bild einer kaputten Familie zu zeichnen, in der von Liebe nicht zu sprechen ist. Wie sie selbst bleiben Maman und Papa namenlos, kennzeichnen die kühle, nichtvorhandene Beziehung, die die Erzählerin zu ihnen hat. Gewalt in ihrer Familie ist Alltag, ihre Mutter scheint nur bei ihren Tieren, den Ziegen und Vogel Coco wirklich glücklich und führsorglich zu sein. Freunde findet die Erzählerin hingegen in andere Erwachsenen um sich herum: Monica, Professor Pawlovic, die Feder und der Champion, sowie ihrem Hund Dowka; zu allen scheint hat sie ein engeres Verhältnis als zu ihrer eigenen Familie, sie werden beim Namen genannt oder erhalten sogar wohlwollende Spitznamen. Das Selbstbild der Erzählerin ist erfrischend positiv, von einem Selbsthass, wie ihn vielen Jugendlichen während der Pubertät zugeschrieben wird, ist hier keine Spur. Sie ist im Reinen mit sich und ihrem Körper, wohl die Einzige in ihrer Familie, die sie liebt, und so liebt wie sie ist.
Im letzten Drittel tritt der Jäger, der sich bis hierher immer weiter angeschlichen hat, nun vollends in Erscheinung, jagt das Kaninchen, das flink und schlau ist und seien Fängen schließlich entkommen kann - zumindest fürs Weitere. Wenn er seinen Schützling unter seine Fittiche nimmt, erhofft er sich, einen weiteren Jäger aus ihm zu machen, möchte ihn auf das gleiche Opfer zielen lassen. Wird man als Jäger geboren, wie eine Hyäne, oder zu einem erzogen? Kann man seien Jagdinstink abtrainieren, so wie er einem anfangs antrainiert wurde? Kann die Gejagt zur Jägerin werden? Diedonné befasst sich in ihrem Roman mit Opfer-Täter-Beziehungen und Rollen, hinterfragt die Machtungleichheit zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Männern und Frauen. Sie zeichnet die Erzählerin als starkes Mädchen, dass sich nicht durch ihr Geschlecht alleine charakterisieren lässt und für ihren eigenen Weg kämpft, koste es was wolle.
Ein flüssig zu lesender Schreibstil und kurze Kapitel lassen einen nur so durch die Geschichte fliegen. Dass die Sprache oft zu hoch für die junge, doch gebildete, Erzählerin scheint, hat meinem Lesevergügen keinen Abbruch getan. Die Sprache wird nie zu poetisch, sondern bleibt immer auf einem realistischen Niveau, dass den Kontext der Geschichte untermauert.
Ein Debut, das seinen schon geschlagenen Wellen gerecht wird, von einer Autorin, die man im Auge behalten sollte.