Bewertung zu "Mein Name ist Estela" von Alia Trabucco Zerán
In dem Roman mit dem Titel „Mein Name ist Estela“ von der chilenischen Autorin Alia Trabucco Zerán, erschienen im Hanser Berlin Verlag, sitzt die Hausangestellte Estela García, auch Lita genannt, vermutlich in Untersuchungshaft. Sie spricht über die Umstände, die zu allem geführt haben. Das Mädchen ist tot, das sie sieben Jahre betreut hat. Die Erzählstimme ist ungewöhnlich. Dabei wird klar, dass Estela ihre Arbeit durch Sachzwänge nicht einfach so hätte kündigen können. Sie ist von der Insel Chiloé nach Santiago gekommen, um die arme und kranke Mutter finanziell zu unterstützen. Dafür muss sie sechs Tage in der Woche in der Villa schuften, die sie ebenfalls bewohnt. Vielmehr ein Zimmerchen neben der Küche mit Schiebetür. An ihrem freien Tag ist sie so ausgelaugt, dass sie den ganzen Tag im Bett bleiben muss.
Das bedeutet Null Privatsphäre, kein eigenes Leben. Die beiden Arbeitgeber sind nur mit sich selbst beschäftigt und laufen der Zeit hinterher, ohne ebenfalls selbst zu leben. Ein leeres Leben, in das Lita hineingezogen wird. Der Schreibstil ist sensationell. Die Spannung ist sofort da und man möchte wissen, wie die Tochter des Hauses, Julia, gestorben ist. Das erfolgreiche und wohlhabende Paar, bestehend aus der tablettenabhängigen Anwältin Mara und dem zynischen Arzt Cristobal, ist extrem gefühlskalt und sieht Julia eher als ein Projekt, das nach Fortschritt beurteilt wird und das anderen als eigene Leistung vorgeführt wird. Diese bricht sich selbst einen Finger, damit sie nicht Klavier spielen muss. Drei Wochen Gips bedeuten, drei Wochen nicht üben zu müssen. Was für eine überzogene Reaktion. Das Kind wird immer aufsässiger, tyrannischer und selbstzerstörerischer. Die Eltern üben zu starken Druck aus, das wird überdeutlich.
Die streunende Hündin Yany, die Lita ins Herz schließt, betritt die Bühne und wird von einer Ratte gebissen und beißt wiederum die Tochter des Hauses. Eine tragische Kettenreaktion. Wie so vieles. Es folgt eins auf das andere, wie beim Dominoeffekt. Nach einem Überfall im Haus werden Alarmanlage und Elektrozaun installiert. Nicht nur im Haus selbst spitzen sich die Ereignisse zu, sondern auch im Viertel. Die Armen gehen auf die Straße und protestieren gegen die Ungerechtigkeiten, die Ungleichheit, gegen die Obrigkeit. Es läuft darüber etwas im Fernsehen, der immer läuft. Die reiche Familie hat Angst. Angst führt zu Kurzschlussreaktionen. In fast allem zeigt sich die unfassbare Ungerechtigkeit, mit der die Familie entscheidet, dabei die Verluste anderer in Kauf nimmt. Die Erzählung Estelas hebt sich aber die ganze Auflösung bis zum Schluss auf.
Fazit: Ich habe mitgefiebert und auch gelitten. Das Buch ist keine einfache Kost. Man kann so viel Unrecht und Tragik kaum aushalten. Und die Duldsamkeit kaum ertragen. Aber der Roman fesselt trotz alledem oder gerade deswegen. Ein atemlos erzähltes und sehr gelungenes Buch über die Abgehängten dieser Welt. 5 Sterne!