Der galicische Großbauer Tomás erhält eine fürchterliche Diagnose: Lungenkrebs. Zwischen Selbstmitleid und Überlebenswillen versucht er, seinen Alltag so gut wie möglich zu bewältigen. Bis ihm die junge Frau auffällt, die seit Kurzem in Álvaros Lokal arbeitet. Sie versteht und spricht kein Spanisch und geht Tomás fortan nicht mehr aus dem Kopf. Es entwickelt sich eine gefährliche Besessenheit...
"Hingabe" heißt der Debütroman der französischen Autorin Bénédicte Belpois. Es ist ein aufsehenerregendes Debüt, das mit großer Wahrscheinlichkeit zu Kontroversen in der Literaturszene führen wird. Das liegt einerseits an den expliziten Sexszenen, die eigentlich kaum einmal sinnlich oder liebevoll wirken, sondern auf Gewalt basieren - und auf dem Bild des vermeintlich überlegenen Mannes zu "seiner" Frau. Tomás jedenfalls nimmt Suiza - so der Rufname der jungen Frau - kurzerhand aus der Bar einfach mal mit, um sie im nächsten Feld zu vergewaltigen. Andererseits regen die zum Teil klischeehaften Figuren zum Streiten oder Nachdenken an: Sind sie realistisch dargestellt in diesem galicischen Dorf, das ein wenig rückständig wirkt? Sind die Männer dort alle - bis auf die Ausnahme eines Homosexuellen (schon klar) - wirklich solche Machos?
Ich konnte der Autorin die Figurenzeichnung größtenteils abnehmen. Sicherlich sind solche gesellschaftlichen Strukturen gerade auf Dörfern etabliert. Hoch anzurechnen ist ihr, dass sie es glaubhaft schafft, sich in den Erzähler Tomás und dessen vermeintlich strotzende Männlichkeit hineinzuversetzen. Gerade für eine Frau, noch dazu in einem Debüt, mag das die schwierigste Aufgabe gewesen sein. Ebenso gelingt es ihr, die Entwicklung der Figuren darzustellen - manchmal an Kleinigkeiten, seltener in Dialogen.
Ich-Erzähler Tomás ist zu Beginn ein wirkliches Ekel. Und auch wenn er sich nicht vom Saulus zum Paulus wandelt, bemerkte ich nach und nach Veränderungen in ihm. Veränderungen, die mit seiner Krankheit, aber selbstverständlich auch mit Suiza zu tun haben. Die angebliche Schweizerin, die anfangs vor allem von den Männern als Idiotin betrachtet wird, entfaltet sich zu einer kulturell interessierten, aufmerksamen Beobachterin, die zwar in ihrer Entwicklung zurück sein mag, aber keinesfalls dumm ist.
Neben dem verräterischen Klappentext fand ich es schade, dass kleinere Details außen vorbleiben. So halte ich es für relativ unrealistisch, dass gerade in diesem galicischen Dorf Suiza ausgerechnet Spanisch und nicht Galicisch lernen muss, um sich verständigen zu können. Außerdem gab es mir zu viele Sexszenen. Jedes anfangs sinnliche Beisammensein endet dann doch irgendwie in Sex - das war mir zu viel. Bei einigen Nebenfiguren wie beispielsweise Tomás' Cousine Mercedes und dessen Mann José hatte ich das Gefühl, im Theaterstadl zu sitzen.
Dennoch schafft Belpois es überwiegend gut, mit ihren kurzen, prägnanten Sätzen zu berühren. Insbesondere wenn Tomás mit seinen Zieheltern über seine Krankheit spricht und ihnen seine Liebe gesteht. Oder wenn man die Entwicklung Suizas zu einer nach und nach glücklichen Frau miterlebt. Ein Glück, das immer auf der Kippe steht, immer zu zerbrechen droht. So waren es vor allem die sensiblen Töne und Momente, die für mich die Qualität des Romans ausmachen. Auf Sex und Gewalt hätte ich verzichten können.
"Hingabe" ist ein radikaler und konsequenter Roman, der die Entwicklung von sexueller Begierde zu Liebe und - eben - Hingabe stark aufzeigt, dabei einige Klischeeklippen streift, im letzten Drittel die ein oder andere Länge aufweist und auf ein recht vorhersehbares Ende zusteuert. Für mich 3,5 Sterne, die ich hier gern auf vier aufrunde.