Bewertung zu "Leichenberg: Seltene Erden, Tödliche Alpen (Ein Pete O'Brannon Mystery Thriller 2)" von Ivan Ertlov
Gestatten, Pete O'Brannon. Oder auch Peter Brenner. Kommt auf den Kontext an.
Ein Ich-Erzähler in Krimis oder Thrillern ist immer eine zwiespältige Sache: Einerseits kann man so richtig schön mitfiebern, fühlt sich mittendrin statt nur dabei. Andererseits bleibt die Komplexität oft auf der Strecke, die Story ziemlich simpel, da es keine verschiedenen Handlungsstränge gibt (ja, es gibt Bücher, die beides versuchen, aber diese scheitern meistens kläglich). Man hat also immer nur den Wissensstand und die perspektive des Erzählers. Das funktioniert nur selten 100% einwandfrei, ohne irgendwo Logik oder Tiefgang einzubüßen.
Ivan Ertlovs Pete O´Brannon, der eigentlich als Peter Brenner geboren wurde, ist die Ausnahme von dieser Regel. Es fühlt sich teilweise an wie die ersten Reacher-Romane in Egoperspektive, bekommt aber durch O'Brannons Reflektionen und den übersinnlichen Touch eine zusätzliche Ebene spendiert. Man liest nicht nur, nein, man fühlt mit Pete mit, und wenn in den Action-Szenen die Handlung temporär ins Präsens springt (wie in Ertlovs Science-Fiction-Romanen), dann kracht die Schwarte. Man kann Blut und Schweiß, Pulverdampf und Auspuffgase förmlich riechen. Letzteres vielleicht auch nicht, denn O'Brannon fährt jetzt Tesla.
Dunkle Alpen, Süßer Tod
Nach einer im australischen Outback verschwundenen Rucksacktouristin in "Shangri-La" ist es diesmal ein junger Geologe, der alleine in den Untersberg bei Salzburg gestiegen ist und von Pete gefunden werden soll. Es ist eine Familienangelegenheit, es ist persönlich, mehr kann man nicht sagen, ohne zu spoilern. Aber hier hat fast jeder seine Geheimnisse - vom scheinbar tumben, stiernackigen Bauernsohn, der sich als etwas ganz Anderes entpuppt, über den alten Senner bis hin zum korrupten Bürgermeister. Das birgt Spannung, das macht Laune, und wenn sich der Amerikaner fragt, wem er hier vertrauen kann, lautet die Antwort oft: "am besten Niemandem".
Gelungener Genremix
Ertlov mischt so geschickt übersinnlichen Thriller mit Alpenkrimi, Fakt mit Fiktion, reflektierte Erzählung mit knallharter Action, dass man das Buch schwer in eine Schublade stecken kann. Muss man auch nicht, es macht einfach Laune und ist erzählerisch wie sprachlich ein Genuss. Dass trotz der harten und oft beklemmenden Themen auch ein Schuss Humor und Erotik nicht fehl am Platz, sondern abrundend wirken, macht es vielleicht sogar massentauglicher als den Vorgänger.
Fazit:
Pflichtlektüre für Mystery-, Thriller- und Horrorfans, sowie für all jene, die einen tiefen Blick hinter die Fassade der tourismusgeschönten Alpen oder einen noch tieferen in die österreichische Seele werfen wollen. Obwohl eine vollkommen eigenständige Story, empfehle ich, den Vorgänger Shangri-La:
https://www.lovelybooks.de/autor/Ivan-Ertlov/Shangri-La-Bleiche-Knochen-Rote-Erde-Ein-Pete-O-Brannon-Mystery-Thriller-1--3012621948-w/rezension/3014491846/
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