„Bevor sie springt, spürt sie das kühle Metall der Dachkante unter den Füßen. Eigentlich springt sie nicht, sie macht einen Schritt ins Leere, setzt den Fuß in die Luft und lässt sich fallen, mit offenen Augen lässt sie sich fallen, will alles sehen auf dem Weg nach unten, alles sehen und hören und fühlen und riechen, denn sie wird nur einmal so fallen, und sie will, dass es sich lohnt; .. „
Da steht also eine Frau auf einem Dach und sie geht den finalen Schritt in die Tiefe. Aber wie konnte es dazu kommen? Was oder wer bewegt sie dazu? Um uns dem anzunähern, müssen wir ein bisschen zurückgehen und erst einige Menschen kennenlernen, die an den folgenden Entwicklungen eine Mitschuld tragen: Felix, den Polizisten, Maren kurz vor der Trennung, den Hutmacher Egon und den Fahrradkurier Finn, die Bürgermeisterkandidatin Astrid, die junge Winnie, die verbitterte Edna, Theres mit ihrem Tante Emma Laden und viele mehr – insgesamt elf Menschen lernen wir kennen und sie gehen mit uns stetig weiter aufeinander zu.
Die Schweizerin Simone Lappert mischt in ihrem zweiten Roman, der auf einer wahren Begebenheit basiert, die Skurrilität von Mariana Leky mit der Erzählweise von Daniela Krien und springt unterhaltsam und schnell zwischen den Figuren – bleibt deswegen aber leider auch an der Oberfläche. Weniger Charaktere und Geschwindigkeit und dafür mehr Tiefe und Raum für die starken Rollen wie Felix und Manu oder Edna hätten eine engere Verbindung zur Leser*In geschaffen, für ihren besonderen Einblick ins Zwischenmenschliche lohnt es sich aber trotzdem: „Als abgründigen Setzkasten sah er Thalbach vor sich, ein Sammelsurium an Wut und angestauten Ressentiments, lauter hilflose Erwachsene, in deren Gerippe sich das verletzte Kind verwachsen hatte, das sie einmal gewesen waren und das sich Bahn brach, wann immer Müdigkeit oder Überforderung es möglich machte.“
Der Autorin gelingt es gut, unsere tägliche Entscheidung zwischen Passivität und Aktivität zu beschreiben, und wie nahezu jede äußere und innere Handlung sowie menschliche Verbindung eine Auswirkung für die Gesellschaft hat. Wer aber denkt, sie zu durchschauen und das Ende vorhersehen zu können, wird getäuscht – dann ist nämlich auf einmal doch alles ganz anders, im Guten, wie im Schlechten: „Ehrlich, jeden Tag kann sich ganz plötzlich etwas ändern, und nichts ist mehr wie vorher, und da ist dann vielleicht auch mal was richtig Gutes dabei für mich .. Dass ich das aushalten kann, das tröstet mich. Dass ich stark genug bin, um das alles hier auszuhalten.“