DieBuchkolumnistins avatar

DieBuchkolumnistin

  • Mitglied seit 05.12.2009
  • 21.545 Freund*innen
  • 1.043 Bücher
  • 187 Rezensionen
  • 488 Bewertungen (Ø 3,98)

Rezensionen und Bewertungen

Filtern:
  • 5 Sterne165
  • 4 Sterne187
  • 3 Sterne101
  • 2 Sterne33
  • 1 Stern2
Sortieren:
Cover des Buches Der Sprung (ISBN: 9783257070743)

Bewertung zu "Der Sprung" von Simone Lappert

Der Sprung
DieBuchkolumnistinvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Elf Menschen treffen vielseitige Entscheidungen - alles bündelt sich in einem Sprung. Zu schnell, dennoch sprachlich sehr lesenswert!
Abwechslungsreicher Einblick ins Zwischenmenschliche - zu schnell, aber sprachlich sehr lesenswert!

„Bevor sie springt, spürt sie das kühle Metall der Dachkante unter den Füßen. Eigentlich springt sie nicht, sie macht einen Schritt ins Leere, setzt den Fuß in die Luft und lässt sich fallen, mit offenen Augen lässt sie sich fallen, will alles sehen auf dem Weg nach unten, alles sehen und hören und fühlen und riechen, denn sie wird nur einmal so fallen, und sie will, dass es sich lohnt; .. „

Da steht also eine Frau auf einem Dach und sie geht den finalen Schritt in die Tiefe. Aber wie konnte es dazu kommen? Was oder wer bewegt sie dazu? Um uns dem anzunähern, müssen wir ein bisschen zurückgehen und erst einige Menschen kennenlernen, die an den folgenden Entwicklungen eine Mitschuld tragen: Felix, den Polizisten, Maren kurz vor der Trennung, den Hutmacher Egon und den Fahrradkurier Finn, die Bürgermeisterkandidatin Astrid, die junge Winnie, die verbitterte Edna, Theres mit ihrem Tante Emma Laden und viele mehr – insgesamt elf Menschen lernen wir kennen und sie gehen mit uns stetig weiter aufeinander zu. 

Alle treffen über die kommenden Tage Entscheidungen, die ineinandergreifen und Folgen haben, die im Kleinen wie im Großen das Miteinander bestimmen. Durch die abwechselnde Erzählung, dass mit jedem Kapitel ein neuer Charakter beginnt und wir immer wieder hin- und herspringen, bleibt es spannend, aber ebenso herausfordernd. Die Charaktere sind vielseitig bunt, sympathisch, verbittert, hoffnungsvoll und auch erfrischend normal und bilden so einen guten Einblick in ein kleines Viertel und dessen Bewohner*Innen sowie in Lebensphasen und dazugehörige Entscheidungen, die jede*r von uns früher oder später nachfühlen kann.

Die Schweizerin Simone Lappert mischt in ihrem zweiten Roman, der auf einer wahren Begebenheit basiert, die Skurrilität von Mariana Leky mit der Erzählweise von Daniela Krien und springt unterhaltsam und schnell zwischen den Figuren – bleibt deswegen aber leider auch an der Oberfläche. Weniger Charaktere und Geschwindigkeit und dafür mehr Tiefe und Raum für die starken Rollen wie Felix und Manu oder Edna hätten eine engere Verbindung zur Leser*In geschaffen, für ihren besonderen Einblick ins Zwischenmenschliche lohnt es sich aber trotzdem: 

 „Als abgründigen Setzkasten sah er Thalbach vor sich, ein Sammelsurium an Wut und angestauten Ressentiments, lauter hilflose Erwachsene, in deren Gerippe sich das verletzte Kind verwachsen hatte, das sie einmal gewesen waren und das sich Bahn brach, wann immer Müdigkeit oder Überforderung es möglich machte.“

Der Autorin gelingt es gut, unsere tägliche Entscheidung zwischen Passivität und Aktivität zu beschreiben, und wie nahezu jede äußere und innere Handlung sowie menschliche Verbindung eine Auswirkung für die Gesellschaft hat. Wer aber denkt, sie zu durchschauen und das Ende vorhersehen zu können, wird getäuscht – dann ist nämlich auf einmal doch alles ganz anders, im Guten, wie im Schlechten: „Ehrlich, jeden Tag kann sich ganz plötzlich etwas ändern, und nichts ist mehr wie vorher, und da ist dann vielleicht auch mal was richtig Gutes dabei für mich .. Dass ich das aushalten kann, das tröstet mich. Dass ich stark genug bin, um das alles hier auszuhalten.“

Cover des Buches Drei Uhr morgens (ISBN: 9783852567693)

Bewertung zu "Drei Uhr morgens" von Gianrico Carofiglio

Drei Uhr morgens
DieBuchkolumnistinvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Ein sensibler Roman über Sehnsucht, Verlust und Aufbruch! Carofiglio findet Worte für das Zwischenmenschliche, davon ist keines zu viel!
Ein sensibler Roman über Sehnsucht, Verlust und Aufbruch!

Achtundvierzig Stunden lang müssen sie es miteinander aushalten. Zwei Tage lang darf Antonio, der Sohn, für einen neurologischen Test nicht schlafen und so zieht sein Vater, der Wissenschaftler, mit ihm los, beide wandern gemeinsam durch Marseille. Der Sohn ist 17 Jahre alt, der Vater fünfzig, sie befinden sich in diesem Moment an einer der wichtigsten Aufbruchstellen ihres Lebens. Der junge Mann hat noch alles vor sich, die eigenen Kämpfe, das Streben, das Wachsen, die Möglichkeiten tausend Träume zu erfüllen. Der Vater hingegen hat schon ein paar Pläne in den Sand gesetzt, er hat sich von Antonios Mutter getrennt, die Liebe ist nicht mehr so einfach und leicht wie früher. Alles ist inzwischen kompliziert geworden und er ein bisschen kraftlos – wenn er noch einmal neu anfangen will, verändern, dann jetzt. Was sollen die beiden, die sich bisher eher wenig zu sagen hatten, deren Verhältnis als kühl bis respektvoll zu bezeichnen wäre, zwei Tage miteinander besprechen?


********************

„Also bestellten wir zwei Kaffee, womöglich die schlechtesten unseres Marseiller Aufenthalts, und plauderten weiter. Nichts von dem, was meinen Vater betraf, hatte mich je interessiert. Jetzt interessiert mich alles: Die Fragen sprudelten nur so aus mir heraus.“

********************

Sie spazieren durch die Stadt, sie gehen in Bars, sie trinken Kaffee und fahren ans Meer. Mit jeder vergangenen Stunde kommen sie sich näher. Die Zeit und die außergewöhnlichen Umstände brechen alle gesellschaftlichen und generationsbedingten Schutzschichten auf und ermöglichen es, dass sich zwei Menschen ehrlich begegnen ..

********************

„Es gibt Momente, in denen man reden muss und nichts für selbstverständlich nehmen darf. Und es gibt Momente, in denen man schweigen muss, weil etwas Hauchzartes und Kostbares in der Luft liegt, das sich beim kleinsten Wort verflüchtigen könnte.“

********************

Der italienische Autor Gianrico Carofiglio war bisher für seine preisgekrönten Krimis bekannt, auch in diesem Roman wartet man beständig auf eine schlimme Nachricht, so spannend beschreibt er das Verhältnis zwischen dem jungen und dem älteren Mann. Er lässt den Sohn erzählen, dieser ist selbst fünfzig, als er mit uns noch einmal auf die damalige Zeit mit dem Vater zurückblickt. Damit sie sich glaubwürdig nahekommen, setzt er sie außergewöhnlichen Umständen aus, in denen beide auch aufgrund der langsam einsetzenden Müdigkeit aus ihren Rollen treten können. Diese Verbindung funktioniert auch sofort bei der Leser*In, man fühlt sich als heimliche Teilhaber*In dieser immer stärker werdenden Intimität.

Nicht einmal zweihundert Seiten gibt uns der Autor mit seinen Protagonisten, nicht einmal zwei Tage miteinander, aber es wird sie nun für immer verbinden. Sie erinnern uns an all die Momente, in denen wir jemandem so nah sein durften und an all die Momente, in denen dies eine Sehnsucht blieb. Carofiglio gelingt es, das sonst meist unfassbare Zwischenmenschliche zu beschreiben, sowie nach dem Lesen eine sehr warme Hoffnung zu hinterlassen und den Wunsch, nun zu sagen, zu tun, zu lieben was vorher durch Alltäglichkeiten verhindert war. Denn auch wie Antonio und sein Vater wissen wir nicht, wie viele Chancen uns dafür noch gegeben werden …

********************

Ein sensibler Roman über Sehnsucht und Verlust, ähnlich Sarah Kuttners „Kurt“ finden wir hier Worte, die uns sonst oft fehlen. Erschienen in der gebundenen Ausgabe im Folio Verlag/Editore im August 2019, Übersetzung aus dem Italienischen von Verena von Koskull. 

Cover des Buches Hippocampus (ISBN: 9783218011778)

Bewertung zu "Hippocampus" von Gertraud Klemm

Hippocampus
DieBuchkolumnistinvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Ein ebenso kluger wie scharfer Roman über Feminismus im Kulturbetrieb - unterhaltsam, bitterböse, lesenswert!
Ein ebenso kluger wie scharfer Roman über Feminismus im Kulturbetrieb - unterhaltsam & bitterböse!

„Symbole allein, das weiß sie schon, funktionieren nicht als Protest, denn Symbole tun niemandem weh;und wenn es nicht wehtut, berührt es nicht, und wenn es nicht berührt, kann man es gleich bleiben lassen.“

Das Symbol der Elvira Katzenschlager, ihr Zeichen des Protests ist der Hippocampus, das Seepferdchen – eines der wenigen Wirbeltiere, bei denen das Männchen die Schwangerschaft übernimmt. Denn genau da liegt das Problem. Elvira trauert um ihre gerade verstorbene Freundin Helene Schulze, die einst so ambitioniert und begabt in den literarischen Betrieb startete, die so viel zu sagen und noch mehr zu schreiben hatte über Feminismus, Kunst und Kultur. Aber dann kamen die Kinder, sie ging unter in den patriarchalen Strukturen, ihr kritischer Geist wurde zu unbequem für Feuilletonisten, Preisverleiher, vielleicht auch für sie selbst. Die Realität zermürbte „Thelma & Louise“, der Alltag degradierte die Aktivistin zur Hausfrau und zum Schatten ihrer selbst, Helene verkümmert und säuft sich final zu Tode. 

„Wir hätten sie zurückgenommen, denkt Elvira, auch mit Kindern. Stattdessen hat sie sich ihr Gefängnis so schön eingerichtet und dekoriert, bis es wie ein Zuhause aussah.“

Aber nun steht posthum ihr letzter Roman auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, sie hatte ihn unter männlichem Pseudonym eingereicht, ihr Können erhält endlich wieder Aufmerksamkeit, wenn auch spät, zu spät. Elvira möchte ihrer alten Gefährtin zu diesem Anlass noch einmal die Ehre erweisen und mit spektakulären feministischen Auftritten den Finger in die gesellschaftliche Wunde legen. Sie startet einen lesenswerten, kreativen Road Trip der Aufklärung, Anklage und Aufarbeitung …

Die Österreicherin Gertraud Klemm schreibt mal wieder das richtige Buch zur richtigen Zeit – die Aktion #dichterdran erobert gerade die Onlinenetzwerke und der Deutsche Buchpreis ist weiblich wie selten zuvor. Für diesen war sie 2015 mit dem ebenfalls feministisch kritischen „Aberland“ nominiert. Auch im neuen Roman entspringt sicherlich manche Begebenheit der eigenen Erfahrung. Anhand der Protagonistin Elvira und ihrem eher unfreiwilligen Gefährten Adrian erzählt die Autorin zwei Seiten: die der Feministin, die nach jahrelangem Kampf für Frauenrechte müde ist, die sich das damals alles anders vorgestellt hatte und nun im letzten Zorn ob des Todes ihrer ehemaligen Freundin aufrütteln möchte. Dutzende Vorfälle, Unterdrückungen und strukturelle Benachteiligungen kann sie aufzeigen, schlicht fehlt ihr die Geduld und das Können für mediale Aufbereitung und damit ein größeres Publikum. Hier kommt der junge Kameramann Adrian ins Spiel, der für diese Sicht weiblicher Probleme bisher eher wenig Verständnis hatte und damit passiv erhält und verstärkt, was eigentlich dringend der Veränderung bedarf.
Klemm trifft auf jeder Seite, sie schreibt pointiert, scharf, humorvoll. Sie erzählt vom Sexismus des Kulturbetriebs, vom vergeblichen Ankämpfen im Alltag, sie deckt auf und erhellt. Als Leser*In wünscht man sich, dass es sich bei „Hippocampus“ um eine überspitzte Satire handelt, Studien wie „Frauen zählen“ beweisen leider das Gegenteil. Ein kluger Roman, der ebenso unterhält wie schmerzt. Durch die wirklich wunderschöne und hochwertige Gestaltung von Einband, Schnitt und Schutzumschlag gelingt Verlag (kremayr & scheriau) und Autorin damit ein trojanisches Pferd – denn wenn die scheinbar schöne Botschaft in Hand und Kopf der Leser*in angekommen ist, gibt es (hoffentlich) kein Zurück mehr. 

Cover des Buches Der Wintersoldat (ISBN: 9783406739613)

Bewertung zu "Der Wintersoldat" von Daniel Mason

Der Wintersoldat
DieBuchkolumnistinvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Ein detailreicher, wortwörtlich liebevoller Roman über die Schatten des Krieges und die Kraft sie auszuhalten!
Ein detailreicher, wortwörtlich liebevoller Roman über die Schatten des Krieges!

„Dann war es wieder Winter, Russland marschierte in Bessarabien und der Bukowina ein, Ländern, die einst nur geheimnisvolle Worte an den Rändern der Landkarte gewesen waren, nun aber gleich hinter den Bergen im Osten lagen. Wieder fiel unablässig Schnee, und wieder gab es Aberdutzende von Verwundeten zu versorgen. Es war, als würde sich der Lauf der Zeit wiederholen, dachte Lucius, und vielleicht hätte dieses Gefühl auch angehalten, wäre da nicht dieser Mann gewesen, der eines Februarabends aus der Kälte kam.“

Lucius Krzelewski ist 22 Jahre alt, als der 1914 der erste Weltkrieg ausbricht. Er studiert als Sohn vermögender und einflussreicher Eltern gerade Medizin in Wien und ist ein ebenso begieriger wie fleißiger Wissenschaftler, mit dem Kopf tief in der Theorie. Der Wunsch das menschliche Leben zu verstehen, zu erforschen, sein Wissen für die Heilung zu verwenden, treibt ihn an. In einem Überschwang von Naivität und mitgerissen von der ersten Euphorie und jugendlicher Dummheit meldet er sich für den Dienst an der Front – er möchte helfen und sein bisher Gelerntes endlich in die Tat umsetzen. Als Sanitätsoffizier landet er in einem Feldlazarett in Lemnowice, einem Dorf inmitten der Karpaten. Eine Kirche wurde umfunktioniert, die Leitung hat eine junge Nonne übernommen, die ihm sogleich seine Unfähigkeit und Überforderung ansieht. Aber es bleibt keine Zeit für Verständnis oder Schonung, Lucius muss Wunden versorgen, Gliedmaßen amputieren, Schussverletzungen behandeln, Seuchen verhindern und ebenso täglich Soldaten gehen lassen. Regelmässig kommt die Armee und holt all diejenigen ab, die kaum wieder gerade stehen können und schickt sie zurück an die Front. Inmitten all des Horrors können sich der Arzt und die Nonne Margarete mit Gesprächen, Blicken und Verständnis nur aneinander festhalten, während die Monate und Jahre vergehen und ihnen die Soldaten unter den Händen wegsterben. Bis die Geschehnisse des Krieges auch diese Verbündeten trennen und den inzwischen erwachsen gewordenen Lucius zu der Entscheidung zwingen, auch sein eigenes Leben aufs Spiel setzen … 



„Er hatte das Gefühl, auf einmal ein Reich des Verlusts betreten zu haben, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass es existierte. Er hob den Blick: In meiner Tasche .. ich habe einen Brief .. „

Der amerikanische Autor und Arzt Daniel Mason veröffentlicht mit „Der Wintersoldat“ nun nach „Der Klavierstimmer ihrer Majestät“ (2003) seinen zweiten Roman und erzählt darin von der vernichtenden Brutalität des Krieges und den Veränderungen und Schatten derer, die übrig bleiben. Die Geschichte des jungen Lucius aus Wien ist sehr glaubwürdig beschrieben, ebenso die medizinischen Handlungen, die Brutalität und das Trauma, das ihn innerhalb weniger Monate komplett verändert und ihm die Naivität raubt, die ihn erst zur freiwilligen Meldung und dann in die Arme von Margarete treibt. Mason legt besonderen Fokus auf die psychischen Verletzungen aller am Krieg Beteiligten und zeichnet auf, dass manch einer zwar körperlich überlebt hat – von der Seele aber nichts bis kaum mehr übrig ist. Auch sein wackerer, aber stets überforderter Hauptdarsteller muss sich (glücklicherweise abseits jeglicher Männlichkeitsklischees) immer wieder neu finden und, wenn es denn überhaupt möglich ist, Erlebtes verarbeiten. „Der Wintersoldat“ ist eine sentimentale, tiefe Geschichte – ein historischer Roman, der sehr detailreich und stilvoll vom Krieg wie der Liebe erzählt und das anhand eines Helden, der lieber keiner wäre und uns deswegen umso mehr als einer ans Herz wächst. 

Cover des Buches Der Gesang der Flusskrebse (ISBN: 9783446264199)

Bewertung zu "Der Gesang der Flusskrebse" von Delia Owens

Der Gesang der Flusskrebse
DieBuchkolumnistinvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Eine emotionale, spannende Geschichte um das "Marschmädchen" Kya und ihr (Auf)Wachsen in der Wildnis ..
Eine emotionale, spannende Geschichte um das "Marschmädchen" Kya & ihr (Auf)Wachsen in der Wildnis!

„Manche Menschen können ohne wilde Dinge leben, und manche Menschen können das nicht.“ 


Catherine Danielle Clark, genannt „Kya“ kann es nicht. Sie wächst Anfang der 50er Jahre in armen Verhältnissen im Marschland North Carolinas auf. Als das Mädchen sechs Jahre alt ist, verlässt die Mutter die Familie und vor allen Dingen den unfähigen, meist volltrunkenen und gewalttätigen Vater – die älteren Geschwister folgen. So bleibt Kya erst mit ihm allein zurück, bis auch er geht und hat als einzigen Halt die Natur. Vor der Schule weiß sie sich zu drücken, im etwas weiter gelegenen Ort Barkley Cove gibt es kaum Informationen über sie und noch weniger Interesse. Aber sie wächst an der Herausforderung, lernt Nahrung zu besorgen und in den Pflanzen und Tieren eine neue Familie zu finden. Viele Jahre später hat sich das „Marschmädchen“ in ihrer eigenen Welt zurecht gefunden und öffnet sich vorsichtig für neue Bindungen.

Bis ein junger Mann tot aufgefunden wird und der Verdacht sofort auf diejenige fällt, die ausserhalb der Gemeinschaft ihr Leben besonders hart verteidigen muss …

Die amerikanische Zoologin Delia Owens verbindet in „Der Gesang der Flusskrebse“ die Liebe zur Natur mit der menschlichen Entwicklung und Handlung mithilfe der sozial völlig vernachlässigte Kya, die in der Wildnis aufwächst und ohne Liebe, Bindung und Halt überleben muss. Sie erinnert damit stark an die Bücher von Annie Proulx sowie an „Die Farbe von Milch“ von Nell Leyshon. Der Gesellschaftsroman kündigt sich erst als Krimi an: gleich am Anfang steht im Raum, dass Kya eine Schuld an diesem Verbrechen tragen könnte, wir verfolgen gespannt immer wieder ihr Aufwachsen und Leben bis zum Zeitpunkt der Tat, bis die Zeitebenen final zusammengeführt werden. 

Owens baut Großes auf, das sie final nur schwer halten kann: die Auflösung ist weit schwächer als die Erzählung davor, das weitere Geschehen wird schnell abgehandelt, die Bindung zur Hauptfigur aufgelöst. Das ist umso mehr schade, weil Owens vorher so grandios erzählt und obgleich der Romantisierung der Situation nicht allzu sehr in den Kitsch driftet. Trotzdem eine sehr lesenswerte Geschichte, ein Coming of Age Roman, der ausnahmsweise mal nicht an einer High School oder auf Autos in Landstraßen stattfindet und der das Brechen und Heilen eines jungen Mädchens inmitten der Natur und den diskriminierenden Verhältnissen der 50er und 60er Jahre nachfühlbar zu beschreiben weiß! 

Cover des Buches Harz (ISBN: 9783442715534)

Bewertung zu "Harz" von Ane Riel

Harz
DieBuchkolumnistinvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Ein beklemmender Thriller in der vermeintlichen Idylle Schwedens - psychologisch klug aufgebaut und spannend erzählt!
Ein beklemmender Thriller - psychologisch klug aufgebaut und

„Still und langsam wurde mir klar, dass die Dunkelheit wohl nicht noch mehr Schmerz aufnehmen konnte, und dass der Schmerz deshalb in Carl und mir sitzen blieb. Dass die Dunkelheit schon voll war. So wie unser Haus.
Vielleicht war es auch das, was mein Vater spürte. Vielleicht hatte er auch Schmerzen in der Dunkelheit. Und vielleicht hat er gedacht, ich hätte keine. Ich wusste nicht, ob ich es erzählen sollte.“


Liv wächst mit ihrer Familie in der Idylle Dänemarks auf – sie leben auf einer kleinen Halbinsel und bewohnen dort den einzigen Hof. Fernab von der Zivilisation betrieb der Großvater dort erst eine Schreinerei, dann verkaufte man die wilden Tannen als Weihnachtsbäume und war in der ferneren Umgebung stets beliebt für das handwerkliche Geschick. Alles, was sie zum Überleben benötigen, erhalten sie aus der sie umgebenden Natur, sie fischen, jagen, sammeln. Doch das zurückgezogene Leben birgt auch Schattenseiten, in der Einsamkeit entwickeln sich über die Generationen verhängnisvolle Eigenschaften. Der Vater beginnt sich und die Seinen zu schützen, sich gegen ein mögliches Eindringen, gegen jeden Verlust und das Fremde zu wehren und das um jeden Preis. Schon bald kann er Freund und Feind nicht mehr voneinander unterscheiden und das hat tödliche Folgen … 




Autorin Ane Riel erzählt uns diese Geschichte abwechselnd aus der Sicht des Kindes, des jungen Mädchens Liv – was eine ebenso spannende wie oft schwer zu ertragende Wahl ist, als auch mithilfe von Briefen der Mutter an ihre Tochter. Diese, so erfahren wir bald, hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits für den so gar nicht goldenen Käfig ihres Mannes entschieden:
„Ich habe das Gefühl, dass ausserhalb dieses Schlafzimmers Dinge passieren, die ich nicht wissen soll. Es hätte nie so schieflaufen dürfen. Und trotzdem kann ich meine Liebe zu ihm nicht bereuen. Vielleicht ist gar nicht er derjenige, der krank ist. Vielleicht bin ich krank, weil ich es nicht bereue.“

Riel beschreibt das Aufwachsen in der Einsamkeit, die vermeindliche Idylle und deren Entwicklung zum Horror ebenso gut wie die psychologischen Entwicklungen und Komplexe der Familie und wie sie aufeinander einwirken. Die gewalttätigen Folgen sind logisch aufgebaut und erscheinen in ihrer Brutalität nicht übertrieben, gehen einem aber gerade deswegen umso näher. Oft wird einem erst nach einigen Seiten klar, was Liv und anderen Charakteren angetan wird, da die kindliche Perspektive und das fehlende Unrechtsbewusstsein die Gewalttaten derart kindlich und unschuldig beschreibt. Gerade durch die wechselnden Einsichten innerhalb der Familienmitglieder, durch den Blick ins Innere aber auch die im Laufe des Buches folgende Sicht von außen, d.h. von einem Bewohner des Dorfes unweit der Halbinsel, bleibt der Roman spannend und – leider – realistisch.

Wer Gewalt gegen Kinder und Tiere nur schwer aushält, dem sei von diesem Roman abgeraten. Wer aber gern einen aussergewöhnlichen, abwechslungsreich und professionell aufgebauten und von Julia Gschwilm übersetzten Psychothriller lesen möchte, der in typisch nordischem Stil alle Möglichkeiten des Spannungsgenres auszunutzen weiß, dessen Charaktere einen nach den knapp 300 Seiten noch eine Weile begleiten werden, der ist in Livs Familie gut aufgehoben. Oder zumindest bis der Vater von dem neuen Ankömmling erfährt .. 

Cover des Buches Junger Mann (ISBN: 9783455003888)

Bewertung zu "Junger Mann" von Wolf Haas

Junger Mann
DieBuchkolumnistinvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Coming-of-Age Roman, mit leichter Hand geschrieben - mit üblichen Haas-Romanen leider nicht vergleichbar!
Cover des Buches Die Ziege auf dem Mond (ISBN: 9783446260504)

Bewertung zu "Die Ziege auf dem Mond" von Stefan Beuse

Die Ziege auf dem Mond
DieBuchkolumnistinvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Eine wundervolle Geschichte über Achtsamkeit, Mut und das Leben im Augenblick - nicht nur für kleine Leser_Innen!
Eine wortwörtlich wundervolle Geschichte für mehr Mut und Achtsamkeit!

„Manchmal muss man die Dinge nur ein bisschen im Kopf bewegen. Nicht mal in echt. Und schon ist alles anders.“ Die Ziege lebt auf dem Mond, frisst gern Rucola, trinkt Tee und trägt bunte T-Shirts je nach Stimmungslage. Und vor allen Dingen lebt sie im Jetzt, sieht das Positive in ihrer Situation und freut sich an allem, was da kommt. Sie weiß, sie wird schon Wege finden, um damit umzugehen. Bis ... ja, bis eines Tages auf einmal der dunkle Krater lockt, in den sie bisher alle Ängste und unangenehmen Erinnerungen geworfen hat, und ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang verspricht ... 

"Und weil etwas Schreckliches immer nur noch schrecklicher wird, je länger man darüber nachdenkt, dachte die Ziege jetzt gar nicht mehr nach, sondern machte sich auf den Weg."

Die Hamburger Autoren Stefan Beuse und Sophie Greve haben mit ihrer Ziege eine außergewöhnliche und wortwörtlich wundervolle Heldin geschaffen. Um sie herum erzählen sie eine philosophische Geschichte über Achtsamkeit, Mut und positives Denken, ausgeschmückt mit zauberhaften, bunten Illustrationen voll liebevoller Details. Eigentlich ist die Erzählung für Kinder gedacht (Vorlesealter oder aber Selbstleser ab circa 8 Jahre), birgt aber auch für erwachsene Leser_Innen viele Denkanstöße und Anregungen. Wie gehen wir mit unseren inneren Kratern um, können wir von der Ziege lernen?  Können wir ein bisschen loslassen von unserem hektischen Leben inmitten Lifestylestress, Kindererziehung, Karrierestreben und Instagramperfektionismus? Es ist jedem zu wünschen und dieses Büchlein ein möglicher Ansatz, ein Buch für kleine und große Herzen, für Ziegenversteher und Lebenslieber und natürlich die, die das Glück suchen (und vielleicht längst draufsitzen)!


Cover des Buches Why not? (ISBN: 9783833861703)

Bewertung zu "Why not?" von Lars Amend

Why not?
DieBuchkolumnistinvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Ein "Best Of" der Selbstoptimierung mit aktivierenden Ansätzen für Einsteiger, aber auch Fortgeschrittene!
Positive Inspirationen und Anstöße für Leben statt Überleben!

„Die Antworten findest du, während du gehst. Achte auf Deine Gedanken. Sie sind der Anfang deiner Taten.“ Diesen Satz sagt Scorpions-Leader Rudolf Schenker zu Lars Amend, als dieser vor einigen Jahren in eine persönliche Krise gerät und nicht mehr herausfindet. Amend führt einen Kleinkrieg mit sich selbst, seinem persönlichen Brainfucker, wie so viele von uns jeden Tag. Aber er arbeitet sich heraus, Stück für Stück, die Folgen kann man an seinem Lebenslauf sehen: Bestsellerbücher, Coaching der Superstars, Millionen Zuschauer seines Kinofilms. Er wirft gern mit Prominamen um sich, auch im Buch, dies allerdings voller Respekt und als Beispiel dafür, was der Leser von ihnen lernen kann.

Mit „Why not?“ hat er sich gegen Managementberatung entschieden, sondern einen Ratgeber für den Durchschnittsmenschen geschaffen. Wir alle werden von Ängsten, Zweifeln und persönlichen Problemen geplagt, nicht alles ist allein und nur durch Willenskraft lösbar.
Amend beschreibt viele Möglichkeiten und Strategien, diese Hürden aktiv zu überwinden und es in vielen Lebenslagen anzuwenden. Er respektiert den Leser, nimmt dessen Mauern ernst und stellt ihm imaginär diverse Leitern hin, geht aber auch gegen Selbstmitleid und Jammerliesen an. Amend hat ein „Best Of“ der Selbstoptimierung geschaffen, dass sehr gut für Einsteiger und Jugendliche geeignet ist, aber auch schnelle, wirksame Ansätze für Fortgeschrittene bietet. Es ist ein gutes Allround-Paket für ein besseres Gleichgewicht zwischen Achtsamkeit und Selbstoptimierung mit praktischer Motivation. 
Fazit: Du bist das Beste, was Dir je passiert ist – mach was draus! 

Cover des Buches Von Vögeln und Menschen (ISBN: 9783446258198)

Bewertung zu "Von Vögeln und Menschen" von Margriet de Moor

Von Vögeln und Menschen
DieBuchkolumnistinvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Drei Frauen - zwei Morde - eine melancholische, ergreifende Familiengeschichte, die sprachlich fast zu schön von Gier und Hass erzählt!
Eine melancholische, ergreifende Erzählung über Gier, Hass und Vergebung!

„Sie blieb stehen, noch erschreckend ruhig, versperrte der Frau den Weg und packte sie an den Oberarmen in der Absicht, ihr in die Augen zu blicken, sie durchzuschütteln und danach wieder so lange anzuschauen, bis die andere realisierte, wen sie hier vor sich hatte.
Dann wollte sie ihr ein paar Fakten ins Gesicht schreien, ihr die Augen auskratzen und sich dem Rausch eines Moments hingeben, der vor vielen Jahren seinen Ursprung hatte.“

Vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof begegnen sich zwei Frauen – die eine wird der anderen das Leben nehmen, so wie auch ihre Mutter Jahrzehnte vorher für so ein Verbrechen ins Gefängnis ging. Der bemerkenswerte Unterschied: die eine ist schuldig, die Andere nicht.
Die niederländische Autorin Margriet de Moor erzählt in ihrem Roman vom Leben dreier Frauen, sie spinnt die Fäden mehrere Generationen. Sie erzählt von Liebe und Hass und den Emotionen, die in uns eindringen, uns leiten und manchmal so viel stärker als wir sind. Sie knüpft all diese Verbindungen zu einer großen, spannenden Geschichte, die trotz aller Melancholie Hoffnung spendet.
"Wie kriegt man einen Menschen um Gottes willen so weit, einen Mord zu bekennen, den er nicht begangen hat?" Obwohl das Buch von Anfang an mit dem Ursprung zweier Gewalttaten lockt, ist dies kein Krimi – die Autorin hat einen Roman über das Zwischenmenschliche geschaffen, der zwar auch mit Spannung, aber vor allen Dingen einer zarten, ergreifenden Sprache zu begeistern weiß. Manchmal klafft gar ein derartiger Abgrund zwischen der Schönheit von de Moors Stil und den Handlungen der Charaktere, dass es den Leser leicht schauert, bevor er gebannt erneut abtaucht. „Von Vögeln und Menschen“ berichtet ergreifend und lesenswert von all dem Guten und Bösen, dass in uns und dieser Welt steckt und unserem inneren Kampf um dessen Gleichgewicht. 

Über mich

Lieblingsgenres

Krimis und Thriller, Sachbücher, Biografien, Literatur, Unterhaltung

Mitgliedschaft

Freund*innen

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks