Angela Wheeler hat mit ihrem Debüt „Nachtfluch“ eine düstere, brutale Welt geschaffen, die mich sofort in ihren Bann zog. Das finstere Reich, in das der Leser hier entführt wird, ist in seinen Grundzügen super durchdacht und einzigartig – und es versprach, brutal zu werden! Ob die Autorin ihre Versprechen durchweg halten konnte, was „Nachtfluch“ für mich so einzigartig macht und wo in meinen Augen die Schwächen des Buches liegen – das verrate ich euch gleich. Mein Tipp bei der Lektüre: Zündet euch ein Licht an, ihr werdet es brauchen.
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Cover ~
Das Cover passt sehr gut zur Geschichte: Perlweiße Lichtpartikel durchbrechen die nachtblaue Dunkelheit und umgeben eine weibliche Gestalt. An ihrer Kleidung – Overall und Kapuzenjacke – sowie dem Medaillon um ihren Hals erkennt man, dass es sich um die Protagonistin des Buches handelt – das weiß man aber natürlich erst, wenn man die Geschichte gelesen hat. Ebenso, was es mit den drei schattenhaften Wölfen auf sich hat, die sich um die junge Frau scharen. Alles in in allem ein gelungenes Cover mit perfektem Bezug zum Inhalt.
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Darum geht's ~
Das Buch beginnt mit einer Beerdigung – und dieser trostlose, emotionale Einstieg setzt das Setting für die gesamte Geschichte. Letztere dreht sich um Leya, die glaubt, für den Tod ihres Vater verantwortlich zu sein. Denn sie – als Fahrerin des Autos – überlebte den Unfall, der ihren Vater aus dem Leben riss. Fortan muss sie sich mit eigenen Schuldgefühlen, ihrer tiefen Trauer und den Schuldzuweisungen durch ihre Großmutter auseinandersetzen. Als kurz nach der Beerdigung auch noch ihr Zuhause durch einen Brand zerstört wird und ihr Bruder Aron in den Flammen umkommt, scheint Leya endgültig in Verzweiflung zu versinken. Doch ein mysteriöser Fremder namens Thala erscheint kurz darauf und eröffnet ihr, dass Aron noch lebt. Alles, was Leya tun muss, ist ihm zu folgen – in ein finsteres Reich, das sich von Hass nährt und in dem Folter, Erniedrigung und Tod auf der Tagesordnung stehen.
Dort angekommen trifft Leya nicht nur auf andere Jugendliche, die in das Reich entführt wurden, sondern muss sich auch mit den sadistischen Nachtkindern und deren König auseinander setzen. Letzterer übt eine starke Anziehungskraft auf sie aus, doch Leya merkt schnell: Wenn sie ihren Bruder jemals wieder lebend sehen will, muss sie den König töten. Was folgt, ist eine Reise, an deren Ende Leya sich entscheiden muss: Welchem Gefühl gibt sie nach – dem Hass, der jeden Tag stärker in ihr brodelt, oder der Liebe in ihrem Herzen?
Die Geschichte lebt meiner Meinung nach von ihrer durchweg düsteren, bedrohlichen Stimmung. Das Reich, in dem Leya sich wiederfindet, ist hart und grausam – was nicht zuletzt an den Nachtkindern liegt, für die sadistische Spielchen ein netter Zeitvertreib sind. Das erste Drittel des Buches las ich in einem Rutsch weg, denn alles war so anders
als die typische Oh-sooo-düster-Fantasy von der Stange. Es war originell und verdammt atmosphärisch. Der Mittelteil konnte diese Erwartungen nicht ganz so gut halten, dafür gab es zu wenig Spannungsknoten. Vieles zog sich sehr in die Länge, Leya fand sich in immer wiederholenden Emotionen wieder, aus denen sie nie ausbrach. Erst gegen Ende nahm die Story wieder an Fahrt auf.
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Figuren ~
Mit Leya bin ich nicht wirklich warm geworden. Sie bleibt recht blass. Sowohl für ihren inneren Zwiespalt (Dunkelheit vs. Licht, Hass vs. Liebe) als auch für ihre Out-of-Nowhere-Liebe zu Kilian, dem König, liefert die Autorin zwar im Verlauf des Buches eine Antwort, doch das reichte mir nicht. Leya und Kilian hatten in meinen Augen null Chemie, ihre Anziehung beruhte rein auf Körperlichkeit. Kilian selbst war sogar noch schwächer ausgearbeitet. Er machte zwar auf den ersten Blick den Eindruck eines Typen mit Ecken und Kanten, erwies sich aber immer mehr als perfekter, runder Stein ohne Fehler.
Positiv im Gedächtnis blieb mir einzig Thala: Er war überzeugend in seiner Rolle, konsequent und nachvollziehbar. Charmant und manipulativ durch und durch. Der Rest vom Cast – dazu zählen die Nachtkinder sowie einige Nebencharaktere – verschwanden leider ganz zwischen den Seiten. Sie erfüllten ihre Rollen, die insbesondere in einem Fall im Dreschen von Kalendersprüchen und Zitaten bestand, mehr jedoch nicht. Zwischenmenschliche Beziehungen waren im Ansatz gut skizziert, wurden aber nicht weiter vertieft – so verpuffte auch die Möglichkeit, Leyas Persönlichkeit dem Leser etwas dreidimensionaler näher zu bringen.
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Sprache & Stil ~
Hier und da war der Schreibstil etwas holprig, aber für ein Debüt wirklich solide. Die durchweg beklemmende Stimmung konnte die Autorin durch ihre Wortwahl und ihre Beschreibungen sehr eindrucksvoll rüberbringen.
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Gesamteindruck ~
Die Idee hinter „Nachtfluch“ ist wirklich der Hammer – die Umsetzung haperte jedoch hier und da, vor allem im Figurenbereich. Die Story hätte viel gewonnen, wenn Leya und Kilian nicht so eindimensional gewesen wären. Das schmälerte die Emotionalität des Ganzen, besonders ab dem zweiten Drittel der Geschichte. Auch schien mir das Ende recht konstruiert und viele Fragen – auch logischer Natur – blieben bei mir offen. Nichtsdestotrotz hat mir das Buch gut gefallen, besonders die Idee und die düstere Atmosphäre haben mich nachhaltig beeindruckt. Ein solides Debüt mit wichtiger Message – und bestimmt nicht mein letztes Buch der Autorin.