Hier ein weiteres von mir rezensiertes Buch von Stephan Harbort. In diesem Werk werden fünf Verbrechen unter die Lupe genommen, die nach Aussage des Autors diesen besonders berührt haben und die er als Meilensteine im Laufe seiner Beschäftigung mit dem Thema betrachtet.
Im Vorwort wird vom ersten Seriemord berichtet, der ihm in seiner Karriere als Polizist begegnet war. Und wie er seine Neugier und das Interesse für das Thema weckte, was schließlich zur Triebfeder seines Forschens wurde und zu zahlreichen Büchern und Studien zu dem Thema führte.
1. Kapitel - Black Box
Dieses Kapitel beginnt mit dem Fund einer Leiche auf dem Fahrersitz eines Wagens, der auf einem Parkplatz mit geöffneter Tür parkt. Während die Fahndung nach dem Täter beschrieben wird, wird abwechselnd aus Sicht der Ehefrau vom Täter berichtet, was ich ein sehr interessantes Konzept finde. Man vergisst so schnell die Angehörigen, die bei so einer Sache mit drin hängen und in Sippenhaft mitgenommen werden, obwohl sie mit der Tat nichts zu tun haben. Während von den Ermittlungen und den weiteren Ermordungen des Mannes berichtet werden, berichtet die Ehefrau vom Verhalten des Täters in der Ehe - und deren zunehmende Vereinsamung, als der Täter schließlich gefasst und dessen Identität aufgedeckt wird.
Man kann in dem Kapitel wieder sehr deutlich erkennen, welchen Fehler man macht, in einer Schwarz-Weiß-Sicht zu verharren und welches Doppelleben ein Täter führen kann, ohne das auch nächste Angehörige etwas von der Tat ahnen. Wahrscheinlich glaube jeder, man hätte in seinem Umfeld etwas merken müssen, aber die Lektüre von Stephans Büchern zeigen immer wieder, dass dem nicht so ist. Dass Täter oft eine perfekte Maske für ihren Alltag gebastelt haben.
Zeigt sich der Täter bei den Taten mörderisch und erbarmungslos, wird er von der Ehefrau als durchaus liebevoll und aufmerksam beschrieben. Ich finde es in der Beschreibung auch glaubwürdig, dass sie nichts von den Taten wusste und die Frau tat mir beim Lesen sehr leid. Das den Autor dieser Fall berührt hat, glaube ich gern, selbst beim Lesen zog sich bei mir alles zusammen. Freunde zogen sich zurück, die Familie brach den Kontakt ab. Selbst die beste Freundin verabschiedete sich. Was ist das nur für eine Freundschaft, wenn ein Freund geht, wenn er am dringendsten gebraucht wird? Ich sehe dieses Kapitel als einen Appell, Menschen im Umfeld eines Täters nicht immer gleich mit in Sippenhaft für die Taten eines einzelnen zu nehmen, wie auch die Bücher insgesamt immer wieder darauf hinweisen, wie falsch es ist, Dinge nur schwarz-weiß zu sehen. Ein Täter ist immer auch ein Mensch und nicht nur eine Bestie. Es ist so einfach, zu urteilen, aber ein Tunnelblick hat noch nie bei der Lösung eines Problems geholfen. Ich hoffe sehr, die Frau aus diesem Kapitel hat es wieder auf die Beine geschafft und kann heute wieder Kontakte knüpfen.
2. Kapitel - Morbus Freitag
In diesem Kapitel geht es um einen Krankenpfleger, der seine Patienten getötet hat. In diesem Kapitel wird das Bild gezeichnet eines mit seinem Beruf komplett überforderten Menschen. Mit dem Beruf und dem Leben insgesamt. Hier werden auch desolate Zustände auf Krankenstationen beschrieben. Ich hatte noch aus einem anderen Buch von Stephan Harbort einen ähnlichen Fall im Kopf (In Killerfrauen) von einer Frau, die zu einer Patientenmörderin wurde. Dieser Fall ist ähnlich - und doch anders, da der beschriebene Thomas Bracht zumindest einen ganz anderen Eindruck macht als die beschriebene Krankenschwester. Er scheint offener zu sein und die Tat auch wirklich zu bereuen, aber auch bei ihm habe ich das Gefühl, er scheut sich ein wenig, letztendlich Verantwortung für seine Tat zu übernehmen. Stephan beschreibt hier sehr detailliert einen Gesprächsverlauf, und ich habe die Geduld und die Sensibilität bewundert, mit der er vorging. Ich hoffe, von dem Fall in weiteren Büchern noch zu lesen, denn er scheint mir noch nicht abgeschlossen, wie der Autor auch am Ende des Kapitels schreibt. Irgendwann wird die letzte Barriere hoffentlich durchbrochen.
3. Kapitel - Ein Vater sucht einen Mörder
Dieses Kapitel war sehr berührend und hat es auch geschafft, dass ich am Ende des Kapitels geweint habe. So viel Verzweiflung. Hier wird wieder gezeigt, was für ein Rattenschwanz an einer Tat hängt. Das man nicht nur ein Leben zerstört, sondern auch viele Leben der Angehörigen eines Opfers.
Ein 13-jähriger Junge wurde aus einem Internat entführt und ermordet. Sein Vater sucht verzweifelt den Mörder und stellt auch, von der Polizei, eigene Ermittlungen an.
Immer wieder spürt man beim Lesen die Verzweiflung und der schreckliche, schreckliche Verlust, den der Vater hier erlitten hat, der einem aus jeder Zeile entgegen schreit. Das muss die Hölle sein, ich glaube, man kann sich das als Außenstehender nicht mal ansatzweise vorstellen, wie schrecklich es sein muss, ein Kind zu verlieren. Aber beim Lesen des Kapitels bekommt man vielleicht eine Ahnung.
Fast zwanzig Jahre dauert die Suche, in der die Ehe leidet und der Vater kaum noch einen Gedanken an etwas anderes hat als die Frage, was in der Nacht mit seinem Kind passiert ist. Und dennoch kein Happy End, denn ein Happy End kann es nicht geben, denn auch die Bestrafung des Täters bringt das Kind nicht zurück.
Nach diesem Kapitel musste ich das Buch erst mal beiseite lesen und mich sammeln, bevor ich weiter lesen konnte. Ein sehr bewegendes Kapitel.
4. Kapitel - "Er holt dich heute"
Dieses Kapitel findet wieder eher aus der Sicht des Täters statt. Es fängt damit an, wie eine Frau an der Grenze von Grenzbeamten überredet wird, einen Tramper mitzunehmen. Dieser ist angeblich von seiner Frau sitzen gelassen worden und müsse nach Deutschland zurück.
Was natürlich nicht stimmt. Es handelt sich um einen Mörder, der schon mehrere Frauen getötet hat, wo nun die Taten beschrieben werden, mit abwechselnden Kommentaren des Täters und seiner Sicht darin. Ebenso wird beschrieben, wie er gefasst wurde und anschließend das Gespräch mit Stephan Harbort wieder gegeben.
Dieses Kapitel zeigt wieder, wie wichtig es ist, den Menschen und nicht nur den Mörder zu sehen, als beschrieben wird, wie eine Frau aus der Situation entkommt, weil sie nicht auf den Mörder, sondern auf den Menschen reagiert hat und ihn in ein Gespräch verwickelt hat.
Wovon der Täter überfordert war. Insgesamt erscheint mir der Täter sehr schnell überfordert zu sein. Ich dachte beim Lesen öfter "armes Würstchen". Ein hoch verunsicherter Mensch, der sein Leben nicht im Griff hat und es an anderen auslässt.
5. Kapitel - Charakter: Verbrecher
Das letzte Kapitel handelt von einem Serienmörder, der neben seinen Morden auch mehrere versucht Vergewaltigungen auf dem Kerbholz hatte. Der sich, wie die Überschrift schon vermittelte, selbst als Verbrecher charakterisierte und identifizierte und auch von einem Leben außerhalb des Gefängnisses überfordert war.
Dieses Kapitel gab mir zu denken, was man nach dem Gefängnisaufenthalt tun kann und tun müsste, um Menschen die Wiedereingliederung zu erleichtern.
Er zeigt sich allerdings auch sehr widersprüchlich. Er schämt sich, auf das Amt zu gehen und um Geld zu "betteln", aber Leute bestehlen ist in Ordnung. Mir stellte sich an der Stelle die Frage, gibt es wirklich zu wenig Hilfe oder liegt das Versagen außerhalb des Gefängnisses eher daran, dass er sich weigerte, die angebotene Hilfe anzunehmen?
Als Vorbestrafter ist es sicher kein Zuckerschlecken, aber ich glaube, keine Maßnahme der Welt wird leisten können, dass es völlig eben abläuft. Maßnahmen können nur unterstützen, und auch nur, wenn sie angenommen werden.
Der Täter machte auf mich den Eindruck von jemandem, der erwartet, dass ihm die Welt auf halbem Wege entgegen kommt und der sich weigert, auch nur ansatzweise die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Mit so einer Einstellung fährt man natürlich auch als nicht-Vorbestrafter gegen die Wand.
Dann erfolgt ein Sprung und man sieht ein weiteres Interview, das ungefähr zehn Jahre später stattfindet.
Und es scheint tatsächlich ein Wandel stattgefunden zu haben, da der Täter nun eher den Eindruck macht, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen, die er vorher vehement verdrängt hatte. Vielleicht sollte man doch Menschen nicht zu früh aufgeben. Beim ersten Teil des Kapitels hätte ich gedacht, dass bei dem Kerl Hopfen und Malz verloren ist und sich schon deswegen nichts ändert, weil er gar nicht bereit ist, etwas zu ändern. Aber siehe da, Therapie kann doch etwas bewirken, der Eindruck ist auf jeden Fall ein anderer.
Nachwort
Hier treffen wir einen guten alten Bekannten, den Leser des "Hannibal-Syndroms" wieder erkennen dürften, da nur unter dem Namen Peter Windisch. Eine der ersten Serienmörder, die er persönlich interviewt hat und gleich so ein harter Brocken. Ich hatte beim Lesen Mitleid mit Stephan, musste aber ehrlich gesagt zwischendrin auch fast lachen - dieses aufgeblasene Gehabe war oft einfach zu lächerlich. Ein Mann, der nichts erreicht hat und nichts gebacken kriegt und an allen Ecken und Enden versucht, Bestätigung zu erzwingen. Ich bewundere Stephan ja, dass er diese Situation sieben Stunden ausgehalten hat, Wahnsinn. Ich hätte wahrscheinlich viel früher die Geduld verloren, aber deswegen ist er ja der Experte und ich nicht ;-)