Die sechzehnjährige Ich-Erzählerin Lea und ihre beste Freundin Sofie nehmen an einem einwöchigen Poetry-Slam Workshop in einem Schloss teil. Was sich einfach anhört bringt eine große Reihe von Verwicklungen und Problem-Potential mit sich. Mädchen treffen auf Jungs, Gymnasiasten auf Hauptschüler, Vorurteile treffen auf Vorurteile.
Lea, die Ich-Erzählerin war mir von Anfang an sehr sympathisch und ich fühlte mich während des Lesens, als ob ich mit ihr an diesem Workshop teilnehmen durfte. Denn neben der eigentlichen Geschichte, lernt man ganz nebenbei sehr viel über den Poetry Slam, wie man Inspiration für gute Texte finden kann und vor allem, wie man gut performt. Denn ein Text ist immer nur so gut wie sein Vortrag. Und wenn man dem Publikum nicht zeigt, dass man seinen eigenen Text mag, dass man "zu seinem Ding steht", dann hilft der beste Text nicht - denn man wird das Publikum langweilen.
Lea möchte Schriftstellerin werden und schreibt schon ihr Leben lang ihre Gedanken auf, erfindet Geschichten und ist eine schöne Worte-Sammlerin. Der Poetry-Slam Workshop ist also genau das Richtige für sie. Leider gehört es beim Slammen dazu, seinen Text auch vorzutragen und das vor Publikum. Bei dem Gedanken daran, möchte Lea vom Erdboden verschluckt werden. Ihre Freundin Sofie ist da ganz anders. Die geborene Rampensau, die aber bisher nur ein Gedicht geschrieben hat, auf das sie immer wieder zurück greift. Doch auch hier hat der Workshop-Leiter einen Ratschlag: "Routine ist Gift. Wenn du deine Leser und Zuhörer faszinieren willst, muss du sie immer von Neuem überraschen. Du musst dich ständig ändern."
Aber was ist mit Lea? Wird sie sich überwinden und am Ende vor Publikum auftreten? Immerhin lockt dem Gewinner des Slams eine gesponserte Fahrt nach Berlin mit einer Woche Schulurlaub und die Teilnahme an einem Deutschland weiten U20 Poetry-Slam.
Lea bewundert ihre Freundin für ihre Schlagfertigkeit und ihr Selbstbewusstsein, aber sie sieht auch ihre Schwächen. Denn sie hasst Hauptschüler! Wie kann es da aber sein, dass sie gegenüber Bruce, dem Hauptschul-Gangsta, so manches Mal kleinlaut wird? Leas eigene Vorurteile gegenüber den Hauptschülern, die man in Bayern inzwischen "Mittelschüler" nennt, sind bald wie weggeflogen: zum einen trifft sie ihre Freundin Julia aus Grundschulzeiten wieder, mit der sie sich auf Anhieb wieder so versteht wie früher, sehr zum Leidwesen von Sofie. Und da gibt es diesen unheimlich süßen, liebenswerten und intelligenten Jungen namens Linus, der sich doch tatsächlich als Hauptschüler entpuppt. Wie ist das nur möglich? Er ist ein Wortzauberer und Jongleur und verzaubert Lea beim ersten Blickkontakt.
Lea steht einige Kämpfe mit sich selbst durch. Kann sie dazu stehen, dass sie sich in einen Mittelschüler verliebt hat? Und kann sie zu ihrem Ding stehen, wenn es darum geht, ihren Text zu performen?
Die Charaktere sind allesamt wunderbar ausgearbeitet und sehr sympathisch. Neben Lea mit ihren Selbstzweifeln, ihrem guten Herzen und der Dichterseele, sind da Sofie und Julia ihre Freundinnen mit dem so unterschiedlichen sozialen Background, die sich sehr aber im Wesen sehr ähnlich und sich trotzdem spinnefeind sind. Lea hat alle Hände voll zu tun, die beiden vor Schlammschlachten zu bewahren, was nicht immer gelingt. Da ist diese Schokopraline Linus, ein Zauberer nicht nur mit Worten. Der Gangster im Muskelshirt Bruce, der nach Außen hin drangsaliert, protzt, immer einen derben Spruch auf Lager hat, aber doch voller Überraschungen steckt. Die einfältige Diva, die nur über Facebook kommuniziert, Damien der Nerd, die Gettobraut Jenny. Ertan, der kleingewachsene Türke, der in Linus einen Beschützer und Freund an seiner Seite hat und der den Gott gewechselt hat, weil sein alter Gott ihn klein gemacht hat. Da sind die Workshopleiter Lana und Ivo. Letzterer ein Tscheche, der Schwierigkeiten mit den deutschen Umlauten hat. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind wohl vom Autor in diesem Fall alles andere als nicht gewollt und zufällig.
Der Erzählstil ist flott, zum einen wie die Sprache der Teenies, dann auch wieder wunderbar poetisch, spielerisch, lustig und romantisch. Sehr gefallen hat mir, dass manche Dinge wirklich beim Namen genannt werden. Wenn es um die Bedürfnisse und Eigenarten des menschlichen Körpers geht, seien es Blähungen oder Menstruation, hier wird nichts verschwiegen oder beschönigt. Das lässt die Figuren umso realer erscheinen. Das Niedrige und das Erhabene sind sich im Leben oft so nah und hier zeigt sich, dass wir alle doch die gleichen Bedürfnisse und Probleme haben. Ob Gymnasiast oder Mittelschüler, der Verzehr von Bohnen zum Mittagessen kann bei allen zu unangenehmen Blähungen mit weitreichenden Folgen führen.
Den Jugendlichen werden Texte von bekannten Poetry-Slammern in den Mund gelegt, und diese Texte sind schon lesenswert für sich allein.
Die Geschichte ist spannend, denn man fiebert mit der Ich-Erzählerin mit. Schafft sie es ihre Ängste zu überwinden, mag Linus sie auch oder hat sie sich diesen Blick eingebildet und da ist gar nichts zwischen den beiden? Schaffen es die Jugendlichen ihre Vorurteile zu überwinden? Und wer wird den Poetry-Slam gewinnen?
Das Buch hat mich hervorragend unterhalten. Ich war gebannt wie die Geschichte weitergeht, musste mich zurückhalten, um nicht zu schnell zu lesen, damit ich nicht die fein eingestreuten Lebensweisheiten und poetischen Wortspiele überlese. Nebenbei habe ich viel gelernt, vom Schreiben und von der Kunst des Vortrags.
Fazit: Ich werde mir HerzSlam immer mal wieder zur Hand nehmen, um etwas nachzulesen oder mich von seiner Poetik umgarnen zu lassen. Es bekommt einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal. Daneben lass ich mir noch etwas Luft im Regal für eine hoffentlich erscheinende Fortsetzung.