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Emerenz

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Cover des Buches Die Auswerterin (ISBN: 9783844816143)

Bewertung zu "Die Auswerterin" von Elk von Lyck

Die Auswerterin
Emerenzvor 11 Jahren
Eine junge Generation schreibt über Europas Kriege

Das Thema Auschwitz wird hier auf neue Weise angegangen, von weit weg, aus England, aus der Luft und mit etwas Hoffnung auf Rettung versehen. Was wäre, wenn es die Auswerterin Emily tatsächlich gegeben hätte? Ihr mutiger Einsatz ist wie ein heller Schimmer am Ende eines Tunnels. Emily ist ein universaler Charakter.

Emily Brown ist eine vom Autor erfundene Figur, eine handelnde "Privatperson". Sie ist zwar eine unsichere, aber dennoch couragierte Frau, die durch ihre Tätigkeit - das Auswerten von militärischen Luftbildern - zu geheimen Informationen Zugang hat. Sie ist beseelt von einer großen Liebe zu den Menschen, egal welcher Nationalität, und auch zur Wahrheit, die sich oft hinter Kriegslügen verbirgt.

Mit Arthur T. Harris erweckt der Autor eine historische Figur zum Leben: Harris ist ein Oberbefehlshaber, ein kühler Kopf, der sich in diesem Weltkrieg auf der Seite der "Guten" stehen sieht, für sich also die Rolle des "good guy" in Anspruch nimmt, das lässt er sich in dem langen Gespräch mit Emily nicht nehmen.

"Die Auswerterin" ist ein Buch über eine Luftbildauswerterin der britischen Royal Airforce im Zweiten Weltkrieg. Sie entdeckt 1944 bei ihrer Arbeit auf einem Luftwaffenstützpunkt das Konzentrationslager auf Luftbildern und will eine Hilfsaktion einleiten: die Bombardierung der Bahnanlagen des Lagers aus humanitären Gründen. Elk von Lyck, ein junger deutscher Autor, lässt in seinem Buch reale Fakten und Fiktion aufeinandertreffen und bietet damit einen neuen Standpunkt an, um den Lauf der europäischen Geschichte zu beurteilen. Von der ersten Seite an wird man in das Geschehen hineingezogen, das heißt nicht nur in die Handlung, sondern auch in die Historie Europas.

Emily Brown fälscht Einsatzpapiere. Dann will sie mit einer Waffe in der Hand den Oberbefehlshaber der britischen Luftstreitkräfte, Arthur T. Harris, zwingen, den falschen Befehl zu unterschreiben. Sie will Harris in seinem Büro so lange festhalten, bis die Bomber tatsächlich Auschwitz erreichen. In den Stunden, in denen die Frau den Oberbefehlshaber bedroht, kommen beide miteinander ins Gespräch. Es entwickelt sich ein Streit über Kriegführung und deren strategische oder "humanitäre" Ziele. Von zwei weiteren Personen wird in dem Buch erzählt: Vom britischen Pilot Derek Walker, der als Aufklärer Auschwitz erkundet und die Fotos zum Auswerten liefert, sowie von dem kleinen jüdischen Jungen Jacques aus Reims, der nach Polen deportiert wird.

Mit ihren unterschiedlichen Weltanschauungen streiten Emily und Harris über die Machtgeflechte der Staaten und Völker in dem von zwei Weltkriegen überzogenen Europa, über die Zerschlagung einzelner Staaten (z.B. Polen, Ungarn), über den verbrecherischen Umgang mit "missliebigen" Menschen, den Emily mit ihrer Aktion stoppen will. Europas spannungsgeladene Geschichte wird verhandelt, England, Frankreich, Polen, Italien, Deutschland und darüber hinaus: Wie viele Staatenbündnisse brachten verheerende Folgen mit sich? Emily und Harris reihen historische Fakten aneinander, diskutieren, wo eine Provokation eine Gegenwehr oder einen Rachefeldzug hervorrief. Bis zum Ende des 2. Weltkriegs mündeten die Verletzungen oder gestörten Befindlichkeiten einzelner Nationalstaaten in Europa meistens in Feldzüge. 1944 streiten sich Harris und Emily darüber, ob das immer so sein muss.

Es ist aufschlussreich, diesem Schlagabtausch zu folgen und ihn zu interpretieren, zum Beispiel so: Harris hegt Sympathie für Nationen, die sich zur Wehr setzen und so zwangsläufig zu "Tätern" werden. Dagegen zeigt Emily ihre Ablehnung für sämtliche Täter, weil Täter stets neue Opfer hervorbringen.

Im Buch vergeht Stunde um Stunde im Schatten von Auschwitz: Wird Emilys "humanitäres Bombardement" gelingen und Harris mit dem Leben davonkommen?

Sowohl Emily als auch Harris erweisen sich in ihrem Streitgespräch als ausgezeichnet informiert, bei Emily fragt man sich gelegentlich, wie sie an alle diese Informationen gelangt sein kann. Doch das tritt in den Hintergrund, schließlich ist es ein Buch mit einem fiktiven Diskurs, der sich bis zur höchsten Frage der Moral zuspitzen lässt: Ist der Mensch gut oder böse? Ist Harris nun ein "bad guy"? Oder ist es Emily, weil sie eine Waffe auf ihn richtet, um ihr Ziel zu erreichen?

Fazit: "Die Auswerterin" ist mit ihren 125 Seiten kein dickes Buch - es ist beachtlich, wie viele Anknüpfungspunkte für historische und philosophische Betrachtungen man darin findet. Dabei ist es spannend geschrieben und erfreut an vielen Stellen mit überaus präzisen Beschreibungen.

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