Bewertung zu "Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle" von Anne Freytag
Ein neuer (queerer) Jugendroman von Anne Freytag? Count me in! Für mich ist und bleibt die Autorin einfach die Jugendbuch-Queen schlechthin und auch ihre neuste Geschichte ließ mich für einige Stunden alles um mich herum vergessen.
Anders als erwartet spielt die Geschichte während des zweiten Corona-Lockdowns und gibt einen Einblick in das alltägliche, recht unkonventionelle und konfliktreiche Familienleben der Protagonistin Sally, die nach ihrem Abitur mit ihren drei Geschwistern und ihrer Mutter aufgrund der Pandemie zu Hause gefangen ist. Glücklicherweise bildet Corona nur einen Teil des Handlungsrahmens und nimmt nicht zu viel Raum ein. Die Autorin thematisiert vor allem die soziale Isolation, Einsamkeit und Zukunftsängste von Jugendlichen während dieser Zeit. Dies wird durch Sallys Gedanken und Sorgen transportiert, die ich sehr gut nachempfinden konnte, da ich mich nach dem Abi in einer ähnlichen Situation befand. Ich finde die Idee spannend, eine Geschichte zu schreiben, die während eines Lockdowns spielt, denn diese Zeit war vermutlich bei vielen uns geprägt von einem recht eintönigen Alltag, der wenig Aufregung bereithielt. Und tatsächlich liegt der Schwerpunkt des Romans nicht unbedingt auf einer temporeichen Handlung, sondern eher auf der Charakterentwicklung der Protagonistin Sally, die auf der Suche nach ihrer eigenen Stimme ist und versucht, aus der Nebenrolle, die sie im Film ihres eigenen Lebens einnimmt, auszubrechen. Ich mochte es sehr, Sally auf ihrer gedanklichen Reise zu sich selbst zu begleiten und ihre Entwicklung mitzuverfolgen, allerdings waren es mir manchmal zu viele Gedanken und zu wenig Handlung vonseiten der Protagonistin, wodurch einige Längen entstanden sind.
Ich glaube, wenn man zu viele Möglichkeiten hat, wird man bewegungsunfähig. Zu viel Freiheit ringt einen zu Boden. (S. 70)
Die Charaktere empfand ich generell als sehr nahbar und menschlich. Jede einzelne Figur hat ihre Ecken und Kanten und die Autorin schafft es, sie mit vielen kleinen liebevoll ausgearbeiteten Details und Beschreibungen zum Leben zu erwecken. So besitzt Sally z.B. einen kleinen Wellensittich namens Pete und es gibt witzige Stories zu den Namen aller Geschwister (Franny, Charlie, Henry und Sally).
Wie bei Anne Freytags vorherigen Büchern habe ich mich oft dabei erwischt, wie ich jeden einzelnen Satz aufsaugte und auf mich wirken ließ. Die Art, wie die Autorin die deutsche Sprache verwendet, ist Kunst. Sie hat ein enormes Talent dafür, mit Worten umzugehen und Gefühle in sprachlichen Bildern und Vergleichen einzufangen.
Ich will aus den Vollen schöpfen, ich will mich kopfüber in mein Leben stürzen und komplett darin eintauchen. So tief, dass ich mich verliere und wiederfinde. Ich will wissen, wer ich bin, sagen, was ich zu sagen habe, die Ablehnung anderer aushalten. (S. 372)
Die Liebesgeschichte hat mich hingegen nicht zu 100% überzeugen können. Während die körperliche Anziehung und das Knistern zwischen den beiden Figuren nahezu greifbar war und mich enorm mitfiebern ließ, konnte ich die tiefe emotionale Bindung bis zum Ende nicht wirklich nachvollziehen. Hier hätte ich mir mehr Szenen und Gespräche gewünscht, da ich so eher das Gefühl hatte, als würden sich die Charaktere nicht wirklich kennen.
Fazit
Wie die vorherigen Romane der Autorin trifft „Vom Mond aus betrachtet spielt das alles keine Rolle“ den Nerv der Zeit und fängt das Gefühl des Erwachsenwerdens perfekt ein. Die Charaktere wirken authentisch und menschlich, der Schreibstil ist großartig (immer mein Highlight bei Anne Freytags Büchern!) und die Geschichte enthält die richtige Portion an Humor, Tiefgang und prickelnder Romantik. Ich kann das Buch allen wärmstens empfehlen, die selbst auf der Suche nach ihrem Platz im Leben sind.