Gleich vorweg: man muss Huckleberry Finn nicht gelesen haben, aber es ist natürlich interessant, zu vergleichen. 'James' funktioniert allerdings aus sich heraus, wie es bei einem Roman auch sein sollte.
Everett nimmt eine entscheidende Änderung vor: er erzählt die Geschichte aus der Sicht des Sklaven Jim und der ist ein ganz anderer als im Ursprungswerk, ein hochintelligenter gebildeter Schwarzer, auf den der Name James besser passt. Er hat sich heimlich Lesen beigebracht und hält sich immer wieder in der Bibliothek des Richters Thatcher auf, wenn der nicht da ist. Dass er Werke von Rousseau oder Locke liest, mag ein wenig übertrieben erscheinen. Auffällig ist außerdem, dass nicht nur seine, sondern auch die Sprache der anderen Sklaven normales amerikanisches Englisch ist, wenn sie unter sich sind, aber sobald ein Weißer zuhört, benutzen sie den von ihnen erwarteten Slang, den der Übersetzer Nikolaus Stingl sehr verständlich und gut lesbar übersetzt hat. Dazu kommt, dass James ihnen Strategien beibringt, wie man sich den Weißen gegenüber am besten verhält, damit sie keinen Verdacht schöpfen und ihr Überlegenheitsgefühl behalten. 'Es lohnt sich immer, Weißen zu geben, was sie wollen' (11).
Als Jim verkauft werden soll und Huckleberry Finn vor seinem brutalen Vater flüchten muss, machen sich die beiden auf den Weg und fahren mit einem Floß den Mississippi abwärts, wobei sie die bekannten Abenteuer erleben, allerdings ganz aus der Sicht von James erzählt und mit kritischen Sätzen hauptsächlich zur Sklaverei, unterlegt. Lustig sind diese Vorkommnisse überhaupt nicht und zeigen noch einmal die ganzen Grausamkeiten der Sklaverei und die Menschen verachtende Einstellung Schwarzen gegenüber.
Diesen aufzuarbeitenden Teil der amerikanischen Geschichte noch einmal in den Fokus zu rücken, ist Thema des Buches, wobei vieles eine Rolle spielt: Wahrheit und Lüge, die Minstrelshows, wo man sich über Schwarze lustig macht, Vergewaltigungen und 'Zuchtfarmen', die Sezessionskriege, wo es nur vordergründig um die Befreiung der Sklaven ging. Eine wichtige Rolle spielen das Lesen und Schreiben (James schreibt seine Geschichte auf), was die Bedeutung der Bildung noch einmal betont.
Ein bisschen klischeehaft fand ich die Äußerungen rund um Freiheit und Identität. James erklärt Huck: 'Du kannst sein, was du willst.' (274) - 'Lebe einfach. Du kannst frei sein, wenn du dich dafür entscheidest. Du kannst weiß sein, wenn du dich dafür entscheidest.' (276). Ich glaube nicht, dass es so einfach ist.
Im weiteren Fortgang löst sich Everett von der Huckleberry-Finn-Geschichte und lässt James seine eigene Geschichte erleben: seine Familie, seine Rache, seine Freiheit. Am Ende kann sich der Leser Gedanken darüber machen, was von Selbstjustiz zu halten ist - 'War es böse, Böses zu töten?' (308), ob Gerechtigkeit möglich gewesen wäre (sicher nicht) und wie es um die Freiheit steht.