Bewertung zu "Das Kalanos-Projekt" von Frank W. Haubold
Das Leben als eine Rechnersimulation ist aus der SF bekannt, die vorliegende Art der Interpretation jedoch neu und faszinierend!
Es ist vielleicht weniger utopisch, als wir uns denken, unser gesamtes Selbst in (Quanten?)-Rechnersysteme "einzupflegen", einschließlich aller Gefühle vor denen "normale" Computer versagen müssten.
Vielleicht würden wir es nicht einmal bemerken. Es fiele uns aber wohl auf, jahrelang keine Zahnschmerzen zu haben, denn dergleichen muss man nicht mitübertragen. Übrigens wird meiner Erinnerung nach im Buch sogar erwähnt, der Beweis, wir lebten nicht bereits in einer solchen "Simulation" (in der man die Zahnschmerzen bedauerlicherweise mit eingefügt hat), ließe sich unmöglich erbringen - nun, mit Schmunzeln: der Beweis dafür auch nicht.
Kalanos eröffnet einen Blick auf eine Welt, in der wir so leben (?) könnten, und das in einer Art und Weise, die erfrischend frei und unabhängig von Zeitgeist und -beschränkungen erzählt, so, dass man unbedingt weiterlesen möchte. Das oben angedeutete Postulat ist der SF nicht neu, die hier vorliegende und nicht unnötig ausschweifende Interpretation aber schon.
Der nüchterne, m.E. etwas trockene, für manche unterkühlt wirkende Erzählstil des Autors täuscht. Seine tiefe Humanität wird durch die Darstellung der Protagonisten und ihrer Empfindungen deutlicher als im Hurra-Phrasen-Bekenntnis zeitgeisthörigerer Veröffentlichungen.
Dazu gehört auch das dem Autor oftmals vorgeworfene Nichtausklammern der Sexualität. Niemand regt sich darüber auf, wird in einem Roman etwa eine Mahlzeit beschrieben . Lust aber wird von Kritikern behandelt, als gehörte sie nicht zu den tiefen menschlichen Eigenschaften und sei zu vermeiden und zu verschweigen.
Nun, vielleicht ist sie ihnen peinlich. Mir nicht, aber ich weiß auch auch, wie frei die 70-er in dieser Hinsicht waren, statt davon zu fabulieren, wie frei heute alles sei.
Reisen Sie mit uns nach Kalanos! Sie werden ein Wunder erleben, das Sie nicht bereuen.
Also, lesen Sie wenigstens dieses Buch. Solche SF macht wieder Hoffnung auf weitere gute Lesestunden.