Bewertung zu "Die Schuhe der Väter" von Wolfgang Martin Roth
Auf dem 80. Geburtstag seines Bruders erzählte Wolfgang Martin Roth, wie er in New York auf dem Weg ins Hotel sah, wie ein Mann eine Frau bedrängte. Er ging dazwischen - wohl wissend, dass er ein Glas polnische Gurken in der Einkaufstüte hatte. Dies hätte er dem Angreifer zur Not ins Gesicht gedrückt.
Seitdem steht in meinem Kühlschrank ein Glas polnischer Gurken. Ich esse sie gerne abends beim Lesen. Sie sind ein guter Schutz gegen alltägliche Ärgernisse.
Auch der Roman trifft meinen Geschmack. Ich habe mich natürlich in der Passage über die Siebenbürgische Spezialität Speck, Brot und Zwiebeln wiedergefunden. Das aß ich so gerne mit meinem Großvater, der in seinem Arbeitskittel als Lebensmittelhändler im Ruhrgebiet oben in der Tasche stets ein kleines Messerchen bei sich trug - eigens für dieses Gericht. Wenn wir zusammen saßen, zitierte er Gedichte oder sprach in Reimen. Genau wie er im Buch als Georg Onkel beschrieben ist, als er das Grab seines Bruders besuchte.
Das Besondere an diesem Roman ist die Ehrlichkeit. Deswegen ist er so berührend. Zu Beginn steht eine Krise, der Erzähler trennt sich von seiner Frau und stellt sich den Fragen der Vergangenheit und seinem Verhältnis zu seinem Vater. Überraschend lebendig taucht die Kindheit wieder auf. Schön und schrecklich zugleich. Weil der Gehorsam so verhängnisvoll war. Ich mochte die kunstvollen Verbindungen beider Erzählstränge, die sich kapitelweise abwechseln. So wird eine Birke zu einem wunderbaren Bild. Eine natürliche Verbindung für den Erzähler zu sich selbst und seiner Erinnerung.
Noch ganz bewegt von dieser Geschichte, in der ein Sohn die Liebe seines Vaters sucht, habe ich das Buch nun einsortiert in mein Bücherregal. Es steht neben der Gebetssammlung »Vertrau Gott allein« des Herzog Albrechts von Preußen, herausgegeben von Erich Roth, Professor an der Universität Göttingen, 1956. Unserem Erich Onkel. In seinem Vorwort zitiert er Melanchthon: »Mitunter gibt Gott nicht das, was wir bitten, sondern Besseres.«