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Gulan

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Cover des Buches Der Abstinent (ISBN: 9783423282727)

Bewertung zu "Der Abstinent" von Ian McGuire

Der Abstinent
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Historischer Roman über den irischen Freiheitskampf im Manchester des 19. Jahrhunderts. Packend, detailreich und düster.
Ein Mann zwischen den Stühlen.

Manchester, 1867: Die Stadt ist auf der ersten Hochphase der industriellen Revolution. Auch immer mehr Iren kommen in die Stadt und bringen damit auch die Auseinandersetzungen des irischen Freiheitskampfes nach Nordengland. Als bei einer versuchten Gefangenenbefreiung ein Polizist ums Leben kommt, werden drei Iren zum Tode verurteilt. James O‘Connor, selbst Ire, aber in Diensten der Polizei, hat davon abgeraten, weil es kommt, wie es kommen muss: Die Fenians Sinnen auf Rache und holen einen Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs, um die Aktionen in Manchester zu koordinieren. Ins Visier gerät dabei der Bürgermeister von Manchester. O‘Connor hofft, das Schlimmste abwenden zu können, denn er hat noch eine Trumpfkarte, einen Spitzel unter den Fenians, einen Verwandten.

Ausgehend von einem historischen Ereignis, der Vollstreckung der Todesstrafe an drei Iren 1867, entwirft Autor Ian McGuire eine düstere Geschichte mit eindringlichen Beschreibungen der damaligen Verhältnisse. Zentrale Punkt des Romans ist der Kampf zwischen O‘Connor, dem gebeutelten, moralischen Polizisten, der allerdings zwischen allen Stühlen steht und einige sehr falsche Entscheidungen trifft, und Doyle, dem skrupellosen und nur sich selbst verpflichteten Veteranen. Die ganzen historischen Hintergründe wirken gut recherchiert, insgesamt ist dies ein packender historischer Roman um Schuld, Moral und Vergeltung. Allerdings erreicht er für mich nicht ganz die Intensität des Vorgängers „Nordwasser“, ist aber dennoch auf jeden Fall empfehlenswert.

Cover des Buches Der gekaufte Tod (ISBN: 9783608504774)

Bewertung zu "Der gekaufte Tod" von Stephen Mack Jones

Der gekaufte Tod
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Ein Mann räumt auf in Detroit: Kurzweiliger Thriller mit manchmal zu viel Action im interessanten Schauplatz.
Back in Detroit.

Nach einer Art Sabbatical kehrt August Snow zurück in seine Heimatstadt Detroit. Dort war er von seinem Arbeitgeber, dem Detroit Police Department, gekündigt worden, als er Korruption von Bürgermeister und hohen Vertretern von Polizei und Stadtverwaltung öffentlich machte. In einer Zivilklage konnte August allerdings eine Millionensumme erstreiten, die ihn nun finanziell unabhängig macht. Kaum ist er wieder im Land, will die exzentrische Milllionärin Eleanor Paget August engagieren, um Unregelmäßigkeiten in ihre Bankhaus aufzuklären. Doch August lehnt den Job ab. Wenig später ist Eleanor Paget tot, der vermeinliche Selbstmord entpuppt sich schließlich als Mord. Augusts schlechtes Gewissen meldet, sodass nun doch den Hintergründen auf die Spur. Dabei sticht in erneut in ein Wespennest aus Korruption und organisiertem Verbrechen.

„Der gekaufte Tod“ ist der erste Teil einer Reihe um August Snow, Autor Stephen Mack Jones gewann hiermit direkt den renommierten Hammett Prize. Großer Pluspunkt des Thrillers sind die beiden Hauptfiguren – Augst Snow und Detroit. Snow ist Halb-Afroamerikaner, Halb-Mexikaner, ein sympathischer Kämpfer für Gerechtigkeit, der sich spielend in den verschiedenen Szenen Detroits bewegt und nach einer Perspektive für diese Stadt sucht, die arg gebeutelt wurde, aber bei der es bescheiden aufwärts geht.   Der Plot ist eher solide, eine Art Jack-Reacher-Variation, bei der Snows Gegner aus dem kriminell-militärisch-(finanz)industriellem Komplex eher diffus bleiben. Auch die Kulinarik wird für meinen Geschmack etwas überbetont. Nichtsdestotrotz überzeugte mich der Roman vor allem bei Setting, Figuren und Tempo. Daher sicherlich lesenswert.

Cover des Buches Die Kinder hören Pink Floyd (ISBN: 9783462052985)

Bewertung zu "Die Kinder hören Pink Floyd" von Alexander Gorkow

Die Kinder hören Pink Floyd
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Die 1970er vor den Toren Düsseldorfs: Lakonische, autobiografische Reise in die Vergangenheit. Hinten heraus immer besser werdend.
Cover des Buches Red Eye / Night Team (ISBN: 9783311125365)

Bewertung zu "Red Eye / Night Team" von Michael Connelly

Red Eye / Night Team
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Eine Detective auf dem Abstellgleis und eine Legende auf Halbtag lösen einen Cold Case: Die Kombi Ballard/Bosch passt gut.
Teamwork.

Der Mann öffnete und schloss einen weiteren Schub. Ballard nutzte das Scheppern, um das Knarzen ihres Stuhls zu überdecken, als sie aufstand. […] Sie legte die Hand auf den Griff der Pistole und blieb drei Meter hinter dem Mann stehen.
„Was machen Sie da?“
Der Mann erstarrte. Dann nahm er langsam die Hände aus dem Schub, den er durchsucht hatte, und hielt sie so hoch, dass Ballard sie sehen konnte.
„So ist es gut“, sagte sie. „Und würden Sie mir jetzt vielleicht erklären, wer Sie sind und was Sie hier suchen?“
„Bosch der Name“, sagte der Mann. „Ich wollte mich mit jemand treffen.“ (Auszug S.19)


Den Mann, den Detective Renée Ballard bei Durchstöbern von Akten in ihrer Dienststelle überrascht, ist also kein geringerer als der legendäre Harry Bosch. Er ist inzwischen nicht mehr beim LAPD, sondern als Reserve-Officer beim San Fernando Police Department. Obwohl sich Bosch herausreden kann, forscht Ballard nach, in welchem Fall Bosch Nachforschungen anstellt. Dabei wird ihr Interesse an dem Fall ebenfalls geweckt.

Vor neun Jahren wurde die Leiche der 15jährigen Ausreißerin und Prostituierten Daisy Clayton in einem Müllcontainer gefunden, sexuell missbraucht, gefoltert und stranguliert. Die Leiche wurde anschließend ausgiebig mit Bleichmittel behandelt, so dass keine verwertbaren Spuren zu finden waren. Der Täter wurde nicht ermittelt, der Mordfall ist ein Cold Case. Bosch hat ein privates Interesse an dem Fall. Ballard bietet ihm an, den Fall gemeinsam und auch offiziell zu bearbeiten. Doch das muss neben ihrer eigentlichen Arbeit stattfinden, denn beide haben noch weitere Fälle zu bearbeiten. So ermittelt Ballard in einem Todesfall einer alleinstehenden Frau, der zunächst wie ein Mord aussieht. Bosch hingegen hat einen weiteren Cold Case, der aber ungleich brisanter ist. Vor vierzehn Jahren wurde ein ranghohes Gangmitglied hingerichtet, der Täter (auch mangels Interesse) nie gefasst. Nun treibt Bosch einen Zeugen auf, der ihm widerwillig wichtige Hinweise liefert. Doch damit tritt Bosch in ein Wespennest von sehr gefährlichen Gangstrukturen und begibt sich einmal mehr in eine brenzliche Situation.


In Bosch weckte das Hubschraubergeräusch am Himmel Hoffnung. Aber der Mann, der ihn bewachte, versetze es in Panik. Bosch hatte die ganze Nacht versucht, eine Beziehung zu ihm herzustellen. Er hatte ihm nach seinem Namen gefragt und gebeten, seine Fesseln zu lockern und ihn aus dem Käfig zu lassen, um seine verkrampfte Beine zu dehnen. Und er hatte ihn gefragt, ob er sich wirklich mit der Ermordung eines Cops belasten wollte. (Auszug S.311)


Nachdem im letzten Roman „Late Show“ Renée Ballard als neue Figur eingeführt wurde und ihre Vorgeschichte sowohl privat (traumatischer Tod des Vaters beim Surfen, Abkehr von ihrer Mutter) als auch beruflich (abgewiesene Dienstbeschwerde gegen ihren Vorgesetzten wegen sexueller Nötigung und Versetzung zur Nachtschicht) großen Raum in der Story einnahmen, ist dies diesmal eher ein wenig kleiner und dosierter gesetzt. Dafür ist Boschs Privatleben etwas stärker im Fokus, auch weil es einen direkten Fallbezug hat. Während einer verdeckten Ermittlung hatte Bosch Elizabeth Clayton kennengelernt, die Mutter der ermordeten Daisy. Elizabeth hat den Tod ihrer Tochter nie überwunden und war in die Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit abgeglitten. Nach einem Entzug hatte Bosch ihr angeboten, bei ihm im Haus unterzukommen. Dies ist nun schon mehrere Monate her und seitdem versucht Bosch, den Tod Daisys aufzuklären, um für Elizabeth einen Abschluss zu finden.

Die Kombination von mehreren Serienfiguren eines Autors ist nichts Neues. Michael Connellyhat dies selbst schon vorgemacht, so hatten seine weiteren Figuren Michael Haller und Terry McCaleb schon gemeinsame Auftritte mit Bosch. Seine äußerst erfolgreiche Reihe um den Ermittler Hieronymus „Harry“ Bosch besteht nun schon seit 1992, in dieser Reihe wäre „Night Show“ der 21.Band mit Harry Bosch. Einen weiteren Roman mit Bosch und Ballard („The Night Fire“) hat Connelly bereits im Original veröffentlicht.

Die Kombination der beiden Figuren funktioniert wirklich gut. Trotz gewisser Eigenarten sind sich beide Ermittler schon ähnlich, beider Leben sind stark auf ihren Beruf ausgerichtet. Bosch verzögert sogar ärztliche Behandlungen, weil er die Dienstunfähigkeit fürchtet. Sowohl Bosch als auch Ballard sind akribisch, engagiert und mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit ausgestattet, dem sie manche Regeln unterordnen. In ihrer moralischen Integrität kommen sie dabei auch ein wenig unnahbar rüber und lassen es auch auf Konflikte ankommen.

Insgesamt ist „Night Team“ ist ein klassischer Polizeikrimi, der mehrere Ermittlungen begleitet, die Vorgänge bei der Polizei beleuchtet und die Polizisten bis in ihr Privateben folgt. Connelly macht dies zwar nicht überdingt spektakulär, aber enorm souverän in Figuren, Setting und Plotentwicklung. Einziger Wermutstropfen für mich war, dass er es erfahrenen Krimilesern zu einfach macht, auf den Täter im Mordfall Daisy Clayton zu kommen. Aber das lässt sich verschmerzen, „Night Team“ ist ein im besten Sinne routinierter Kriminalroman.

Cover des Buches Schwere Körperverletzung (ISBN: 9783946582045)

Bewertung zu "Schwere Körperverletzung" von Ted Lewis

Schwere Körperverletzung
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Ein überzeugender Noir aus den frühen 1980ern, voller gewissenloser Gangster, korrupten Bullen, Folter, Pornografie und Paranoia.
I Think I‘m Paranoid.

Ich betrachtete Mals Gesicht, dessen Züge bereits ins Unvertraute glitten, das der Tod mit sich bringt.
„Wer hätte das gedacht?“, meinte Mickey. „Ein stabiler Typ wie Mal. Man kann eben nie wissen.“
Mickey langte nach oben und entfernte die Kabel aus der Lampenfassung, fing an, sie aufzuwickeln.
„Das ist unerfreulich“, sagte ich.
„Wieso das, Boss?“, fragte Mickey.
„Ich glaube nicht, dass er es war.“ (Auszug S.102-103)


Der Typ, der so eben den Tod eines Mitarbeiters in Folge einer Befragung unter Folter ein wenig achselzuckend hinnimmt, ist George Fowler. Fowler ist eine Unterweltgröße Ende der 1970er in England, ein Pornokönig. Pornographie war damals in Großbritannien verboten und damit auch ein äußerst lukratives Geschäft. Fowler hat sich ein kleines Imperium aufgebaut, dass sowohl Produktion als auch Vertrieb umfasst. Dabei bietet Fowler eine große Bandbreite vor allem im Hardcorebereich an – bis hin zu Snuff-Videos. Fowler und seine Gattin Jean mischen auch gerne selbst bei der Produktion mit.

Doch sein Imperium ist stets bedroht – sowohl von Konkurrenten als auch von der Polizei, bei der er sich allerdings einige Beamten als Augen und Ohren hält. Allerdings gibt es nun Ärger von innen: Seine Frau Jean macht auch das Controlling und in den Büchern fallen verschwundene Beträge auf. Nichts, was seinen Reichtum in Gefahr bringen würde, aber etwas, was man natürlich nicht tolerieren darf. Fowler beginnt mit dem Verhör einiger direkter Untergebener. Dabei fallen allerdings Kollateralschäden an (siehe oben). Fowler wird zunehmend paranoid, kann sich nur noch auf die Loyalität einiger weniger (zurecht?) verlassen und so beginnt das Imperium immer schneller zu erodieren.

In Mablethorpe öffnet man vormttags um zehn, während und außerhalb der Saison.
Meine gelegentlichen Ausflüge in die Stadt bleiben von dieser Tatsache unberührt, weil ich immer dabei habe, was ich benötige. Es ist oben so, dass die Fahrt in die Stadt und das Umherwandern mir die Illusion verschaffen, die Zeit verfieße, stehe nicht stillwie die immerwährende Leere, worin mein Verstand verharrt. (Auszug S.69)


Das Ganze erzählt uns George Fowler selbst, aufgeteilt auf zwei Zeitebenen. Die Kapitel sind abwechselnd mit „Die See“ und „Der Rauch“. „Die See“ wird im Präsens erzählt, Fowler ist offenbar untergetaucht, hält sich im kleinen Seebad Mablethorpe an der Ostküste Englands auf, hat dort einen Bungalow in den Dünen. Fowler grübelt viel, trinkt viel Scotch und pflegt seine Paranoia. In einer jungen Frau, die ihm in einer Kneipe und einer Spielothek begegnet, glaubt er, einen Lockvogel zu erkennen. In den Abschnitten „Der Rauch“ wird rückblickend erzählt, wie es dazu kam, dass Fowler in diesem trübseligen Seebad abtauchen musste.

Autor Ted Lewis ist eine feste Größe in der britischen Noir-Szene. Seinen Durchbruch erlangte er 1970 mit dem Roman „Get Carter“, bekannt unter anderem auch durch die Verfilmung mit Michael Caine in der Hauptrolle (es gibt auch eine Neuverfilmung mit Sylvester Stallone). Lewis verstarb 1982 im Alter von nur 42 Jahren. Heutzutage ist er im deutschsprachigen Raum nur noch eingefleischten Krimifans ein Begriff, auch ich konnte auch erst im Zusammenhang mit „Get Carter“ etwas mit ihm anfangen. Somit ist es durchaus erfreulich, dass Verleger Frank Nowatzki „GBH“ („grievous bodily harm“) eine Neuauflage spendiert, nachdem er den Roman bereits 1990 in seiner Reihe „Black Lizard Bücher“ herausgegeben hatte. Im Vorwort gibt es übrigens noch eine Würdigung durch den auch nicht unbekannten Derek Raymond.

„Schwere Körperverletzung“ ist ein klassischer Noir über Macht, Gewalt und Verrat mit einem Ich-Erzähler, der dem Leser einen tiefen Einblick in seine seelische Verfassung bietet. In der Gegenwart der einsame Wolf, der sich in den schmerzenden Erinnerungen suhlt, seine Paranoia pflegt und langsam in den Wahnsinn gleitet. In den Rückblicken der omnipotente Gangsterboss, der mit brutaler Rücksichtslosigkeit seine Macht zu erhalten versucht und nur schwer bemerkt, wie ihm alles entgleitet. Am Ende kommt es dann doch zum Showdown im sonst so abhängtem Mabelthorpe. Alles in allem eine durchaus anregende Reise in den britischen Noir der 1970er.

Cover des Buches Die dunklen Wasser von Aberdeen (ISBN: 9783442461653)

Bewertung zu "Die dunklen Wasser von Aberdeen" von Stuart MacBride

Die dunklen Wasser von Aberdeen
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Starker Serienauftakt. Cop Novel mit interessanten Figuren und viel Regen und Schnee in Aberdeen.
Cover des Buches The Five (ISBN: 9783312011865)

Bewertung zu "The Five" von Hallie Rubenhold

The Five
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Wichtiges Buch, um den Blick vom mystifizierten Täter auf die Opfer und die Misogynie früherer und heutiger Tage zu lenken. #saytheirnames
Cover des Buches Der Bruch (ISBN: 9783948392208)

Bewertung zu "Der Bruch" von Doug Johnstone

Der Bruch
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Krimi, Sozialstudie, Coming of Age - ein ganz großer Wurf!
Die Schattenseiten von Edinburgh.

Seitdem ich Bücher nicht nur lese, sondern auch regelmäßig rezensiere (wenngleich auf Amateurniveau), hat sich bei mir die Betrachtungsweise eines Buches schon etwas verschoben. Man taucht teilweise nicht mehr so tief in die Geschichte ein, achtet mehr auf Logikfehler, auf sprachliche Schwächen, auf Klischees und Plattitüden, zieht schon während der Lektüre Vergleich zu ähnlichen Werken. Auch die Protagonisten dienen nicht mehr als Sympathieträger, sondern werden daran beurteilt, ob sie die Geschichte voranbringen und möglichst authentisch angelegt sind. Das heißt nicht, dass die Lektüre keinen Spaß mehr macht, aber man liest etwas „professioneller“. Umso schöner, wenn man dann doch einen Roman erwischt, der einen nicht nur von den äußeren Merkmalen her völlig überzeugt, sondern der einen auch emotional packt. Spontan fällt mir da aus den letzten Jahren Steve Hamiltons „Der Mann aus dem Safe“ ein, einen sensationellen Coming-Of-Age-Heist-Thriller. Und nun habe ich wieder so einen Roman gelesen, und der spielt im ach so pittoresken Edinburgh.

Die Fläche zwischen hier und da war eine einzige große illegale Mülldeponie, ein Wirrwarr von Gummirohren, feuchten Matratzen, ein paar Autotüren, einer zertrümmerten Windschutzscheibe, Bergen von Müllsäcken, prall gefüllt mit weiß Gott was, und zerbrochenen Zaunfragmenten, die irgendwann mal irgendwen von irgendwo hatten fernhalten wollen. Das alles sah er im Licht der Scheinwerfer des Baugeländes. Er sah kurz zum Wauchope House hinüber, dem Zwilling des Hochhauses, auf dem sie sich befanden. Er würde nie verstehen, warum diese beiden letzten Dinosaurier nicht mit dem Rest abgerissen worden waren. Warum sie nicht ganz einfach Niddrie, Craigmillar und Greendykes mit einer Flächenbombardierung überzogen hatten und fertig. (Auszug S.8-9)

Der 17jährige Tyler wohnt mit seiner Mutter und seiner kleinen achtjährigen Schwester Bean in einer Wohnung in einem heruntergekommenen Hochhaus im Problemstadtteil Niddrie. Seine Mutter Angela ist drogen- und alkoholabhängig, nicht mehr imstande, sich um ihre Familie zu kümmern. In der Wohnung nebenan leben Tyler ältere Halbgeschwister Barry und Kelly in einem inzestuösen Verhältnis. Tyler kümmert sich wie ein Erziehungsberechtigter um Bean und versucht ihr einen halbwegs ordentlichen Alltag zu bieten. Vor allem versucht er, sie vom aggressiven und kokainsüchtigen Barry fernzuhalten. Barry zwingt den eher kleingewachsenen Tyler, sich an den regelmäßigen Einbruchstouren zusammen mit ihm und Kelly zu beteiligen. Sie brechen in die Wohnhäuser der wohlhabenderen Gegenden Edinburghs ein und gerade Tyler ist prädestiniert, in gekippte Fenster oder ähnlich enge Durchlässe einzusteigen.

Eines Nachts brechen die drei wieder in großes freistehendes Haus ein und räumen gerade ihre Beute zusammen, als sie von der heimkommenden Besitzerin überrascht werden. Diese entdeckt Tyler auf der Treppe und wird im nächsten Augenblick von Barry brutal von hinten niedergestochen. Sie können fliehen, aber Tyler ist entsetzt von Barrys Brutalität und wählt heimlich den Notdienst. In Nachhinein wird das Ausmaß der Katastrophe erst sichtbar: Das Haus, in dem sie eingebrochen sind, gehört dem lokalen Gangsterboss Deke Holt und die schwer Verletzte ist dessen Ehefrau und Mutter eines Schulkameraden von Tyler. Deke Holt schwört bittere Rache, falls er die Schuldigen erfährt und lange kann dies nicht mehr dauern, denn Barry hat bereits einen Teil der Beute weitervertickt. Zudem hat die Polizei Tyler und seine Geschwister schon länger auf dem Kieker, kann ihnen aber noch nichts nachweisen. Sie übt Druck auf Tyler aus, seinen Bruder zu verraten, droht ihm damit, seine Schwester Bean aus der Familie zu holen. Tyler steht nun von mehreren Seiten unter Druck. Just in diesem Moment lernt er ein gleichaltriges Mädchen kennen. Flick ist eine Internatsschülerin aus reicherem Hause, doch sie ist auch eine Seelenverwandte mit anders gelagerten, aber auch problematischen Familienverhältnissen.

Er sagte nichts. Sie warf ihm immer wieder Seitenblicke zu, während sie den Kreisverkehr passierte und Richtung Osten fuhr.
„Tut mir leid“, sagte sie schließlich. „Das war unangebracht“.
„Schon okay.“
„Sag doch einfach, ich soll die Klappe halten.“
„Halt die Klappe.“
Sie lachte, und ihm gefiel, wie sich das anhörte. (Auszug S.70-71)

Die schottische Kriminalliteratur genießt unter Genrekennern einen exzellenten Ruf. Angefangen über den „Godfather“ William McIlvanny, über natürich Ian Rankin, Val McDermid, Denise Mina, Chris Brookmyre und zahlreiche andere Hochkaräter. Unter den schottischen Autoren ist Doug Johnston auch kein Unbekannter, ein paar seine Romane wurden auch ins Deutsche übersetzt (zuletzt „Wer einmal verschwindet“ in 2015). Dennoch hatte ich ihn bislang so gar nicht auf dem Schirm. Johnstone hat übrigens eine interessante Vita: Er promovierte in Kernphysik und arbeitete als Radar- und Raketeningenieur. Neben seiner Autorenkarriere ist er auch Journalist und spielt in einer Band aus lauter Krimiautoren („Fun Lovi Crime Writers“). Mit seinem neuesten Werk könnte er sich aber auch in Deutschland einen größeren Namen machen. „Der Bruch“ („Breakers“ im Original) erschien 2019 und war unter anderem auf der Shortlist des wichtigsten schottischen Krimipreises.

Doug Johnstone zeigt dem Leser in diesem Buch die Schattenseiten des schönen Edinburgh. Soziale Brennpunkte, heruntergekommene Wohnungen, dysfunktionale Familien, Armut, Drogen, Kriminalität. All dies kondensiert in Tylers Familie mit Barry als Tyrann, Kelly als dessen willfährige Partnerin und seiner Mutter als Wrack. Tyler alleine muss die ganze Last der Verantwortung schultern. Die Liebe zu seiner kleinen Schwester hält ihn aufrecht. Bei ihr holt er sich die kleinen Erlebnisse, die ihn über den weiteren Tag bringen. Und dennoch ist er oft nah an der Verzweiflung ob dieser Bürde. Johnstone schildert Tylers brutalen Alltag zwischen der Versorgung von Bean, den eigenen (wenigen) Schulstunden, dem Haushalt und der nächtlichen Streifzügen durch Edinburghs Villenviertel mit einer schonungslosen Realität. Dabei zeichnet er den Protagonisten Tyler mit einer tiefen Empathie, der sich der Leser nicht entziehen kann.

„Der Bruch“ ist vieles, ein sozialkritischer Roman, ein Krimi oder besser noch ein spannungsreicher Thriller oder auch ein düsterer Noir, wenngleich mit einigen Funken Hoffnung. Vor allem aber, so spricht es Autorenkollege Mark Billingham auf dem Cover an, „..es geht auch um etwas und spricht wirklich das „Warum“ des Verbrechens an“. Bloggerkollege Philipp Elph urteilte jüngst: „Bereits zu Beginn des Jahres einen Kriminalroman als ein Highlight des Jahres zu bezeichnen, ist eine gewagte Äußerung. Ich sage es trotzdem.“ Und ich mag ihm da nicht widersprechen. Doug Johnstone ist ein großartiger Roman gelungen. Einer dieser, die einen noch emotional richtig mitnehmen – mit authentischen Figuren, einem mitreißenden Plot und einem scharfen Blick für die sozialen Probleme seiner Heimatstadt. „Der Bruch“ ist ein wirklich großer Wurf.

Cover des Buches Im Visier des Snipers (ISBN: 9783865528957)

Bewertung zu "Im Visier des Snipers" von Stephen Hunter

Im Visier des Snipers
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Souveräner Thriller, aber schon eine etwas konservative Lektüre mit Waffenkunde und Scharfschützenlatein, Journalistenbashing.
Cover des Buches Heißes Pflaster (ISBN: 9783328103240)

Bewertung zu "Heißes Pflaster" von Alex Pohl

Heißes Pflaster
Gulanvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Insgesamt war es solide und ordentlich, an manchen Stellen allerdings zu plakativ und auch vorhersehbar.

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