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Gwhynwhyfar

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Cover des Buches WAS IST WAS Dinosaurier und andere Urzeittiere (ISBN: 9783788621193)

Bewertung zu "WAS IST WAS Dinosaurier und andere Urzeittiere" von Dr. Manfred Baur

WAS IST WAS Dinosaurier und andere Urzeittiere
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Ein feines, umfangreiches Kinderbuch für Dinofans
Sachkinderbuch mit großen Illustrationen liefert alle wichtigen und spannenden Fakten rund um Dinosaurier und andere Urzeittiere

Dieses Sachkinderbuch mit großen Illustrationen liefert alle wichtigen und spannenden Fakten rund um Dinosaurier und andere Urzeittiere. Wie konnten die Dinosaurier, Meeressaurier und Flugsaurier zu so vielfältigen Tiergruppen werden und das Erdmittelalter beherrschen? Das Buch beschäftigt sich mit den Anfängen der Dinosaurier und legt den Schwerpunkt auf das Mesozoikum, also die Zeitspanne von Trias bis Kreide. 


«Unglaublich! Ohne Cyanobakterien gäbe es kein Leben an Land. Sie stellen Sauerstoff her und damit auch den UV-Filter Ozon, ohne den ein Leben an Land undenkbar wäre.»


Das Kinderbuch beginnt mit einem Interview mit einem T-Rex und erklärt anschaulich bildnerisch gestaltet, wie Fossilien entstehen, die Suche danach und kurz etwas über die Forschung. Was ist Evolution? Beginnen wir mit dem Erdaltertum. Vom Einzeller zum Vielzeller, das Leben entwickelt sich. Fische beherrschten das Wasser, Pflanzen das Land, die ersten Fische gehen an Land. Die verschiedenen Zeitalter mit ihren Lebewesen werden erklärt, Nahrungsketten erläutert.


Die Dinosaurier waren nicht die alleinigen Herrscher dieser Epochen. Am Himmel kreisten Flugsaurier und im Wasser machten Meeressaurier Jagd auf Fische und andere Meeresbewohner. Und was kam danach? Säugetiere und Vögel haben die ökologischen Nischen besetzt und sich weiterentwickelt. Neben großen und kleinen Illustrationen sind anschaulich Größenvergleiche zum Menschen eingefügt, interessante Interviews, kindgemäße Textvignetten erklären die Zeitalter und die Tiere. Buntgefasste Steckbriefe zu den Tieren fassen zusammen oder geben Extrawissen wie «Schon gewusst», «Unglaublich». Zwischendurch eingestreut ein Quiz, um sein Wissen zu überprüfen. Hervorragend sind für mich die computeranimierten Grafiken gelungen, die uns gut vorstellbar die Dinosaurier, Flugsaurier und Meeressaurier vorstellen. Der Tessloff Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 8 Jahren, was für mich passt. Ein feines, umfangreiches Buch für Dinofans.



Dr. Manfred Baur (geb. 1959 in Marktoberdorf im Allgäu) studierte Chemie, Logik und Wissenschaftstheorie und promovierte im Fach Chemie. Danach war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Halbleiterentwicklung tätig. Seit 1993 ist er Dokumentarfilmer und Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Naturwissenschaft, Technik und Geschichte. Dr. Manfred Baur ist Vater von zwei Kindern.


Cover des Buches Ich kann (keine) Katzen zeichnen (ISBN: 9783832169336)

Bewertung zu "Ich kann (keine) Katzen zeichnen" von Peng

Ich kann (keine) Katzen zeichnen
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Katzenfans kommen auf ihre Kosten, garantiert
Im Comic-Stil oder zeichen, der Zeichenkurs ist witzig und abwechselungsreich

Sie sind eigensinnig, sie sind witzig, frech und einfach bezaubernd – all das und noch viel mehr lässt sich mit nur wenigen Strichen in ausdrucksstarken Zeichnungen festhalten. Wirklich ganz einfach! Der Cartoonist und Katzenliebhaber Peng verrät, wie es geht, die Katze aufs Papier zu bringen, so dass es wirklich jedem gelingt! Und wer nicht zeichnen mag, dem werden allein die witzigen Cartoons gefallen. Katzenfans kommen auf ihre Kosten, garantiert.


«Alles ist erlaubt.» Es geht los mit dem Zeichenmaterial: Jede Art von Stift oder Pinsel, Farbe, Papier (bzw. im Buch malen, dafür ist extra Platz gelassen) – und los geht es. Wir beginnen mit dem Katzenkopfbausatz: die Kugel als Kopf, noch eine kleine Kugel, die Nase; aber bitte nicht nur in die Mitte. Ohren dran. Ein halber Körper durch einen Bogen – ein dicker fetter Kater oder eine schlanke Katze? Wir gehen über zu den Schnurrhaaren und Schnauze und dann die Augen und Brauen. Zwischendurch gibt es Übungsseiten zum Ausprobieren. Bis hier hin ist schon klar: Mit ein paar Strichen kommt bereits Mimik ins Spiel. Hier können wir uns weiter austoben mit hinterlistigen, traurigen, fröhlichen, lachenden, wütenden, nachdenklichen Katzen. Nun geht es weiter zur ganzen Katze, zunächst mit von minimalistischen Skizzen. Ob mit Stift oder Pinsel, eigentlich alles ganz einfach. Katzen unterscheiden sich in der Struktur vom Fell – jetzt können wir uns in Streifen, Flecken und phantastischen Mustern austoben; nicht den Schwanz vergessen.


Wer sich nun sicher mit seinen Katzen fühlt, kann auch mal die Nasenform wechseln und vom Papier auf Stein umsteigen (oder die Hauswand vom Nachbarn mit Hund bemalen). Vom Comic bewegen wir uns nun weg zum Zeichen, einfach mal ausprobieren. Und weil Kunststile so viel Möglichkeiten bieten, versuchen wir uns als Miro, Pollock, Mondrian oder als «Bansky – no, Pengsy» usw. – Modern-Art-Cats. Auf gehts mit Aquarellklecksen – Cats und wir arrangieren eine Familiengalerie. Es gibt vermenschlichte Katzen … Und weil wir nicht nur Katzen malen wollen, gibt es einen Bonus mit Katze in der Waschmaschine, mit Vögeln, mit Bär usw. und Bastelideen. Katzen kritzeln, Katzen zeichnen. Man kann sich wirklich heranwagen mit diesem Buch. Jeder, der es versucht, wird garantiert seinen Spaß haben! Eine prima Idee als Geschenk für Katzenfreunde.



PENG arbeitet seit vielen Jahren als Cartoonist, Illustrator und Kunstvermittler. Er ist Co-Autor des Bestsellers ›HIRAMEKI‹ und Gewinner des Deutschen Karikaturenpreises. Zuletzt erschien bei DuMont ›Ich kann nicht zeichnen‹ (2020), das mit den British Book Awards ausgezeichnet wurde. Peng lebt in Österreich.


Cover des Buches Wanderer zwischen den Welten (ISBN: 9783827014535)

Bewertung zu "Wanderer zwischen den Welten" von Caroline Ring

Wanderer zwischen den Welten
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Nature Writing im städtischen Lebensraum
Die Vogelwelt in den Städten verändert sich. Menschen vernichten Lebensräume und schaffen andernorts neue.

Nachtigall ick hör dir trapsen … das wäre typisch für Berlin. Halsbandsittiche finden wir im Rheinland, Nilgänse in Frankfurt und dank dem Bemühen einer Frau sind die Mauersegler immer noch in Weimar ansässig: Die Vogelwelt in den Städten verändert sich. Menschen vernichten Lebensräume und schaffen andernorts neue. Wie unter einem Brennglas lässt sich in Städten beobachten, was es bedeutet, dass der Mensch den Lebensraum für andere Organismen formt.


«Städte müssen sich nicht zwangsläufig zu naturfeindlichen Räumen entwickeln. Wir alle können einen Beitrag dazu leisten, dass sich Tiere und Pflanzen auch in einem dicht besiedelten, urbanen Umfeld wohlfühlen. Das fängt bei Parks und Grünanlagen an, die einfach ein bisschen weniger gepflegt sein müssten, als es der menschliche Sinn für Ordnung verlangt. Das betrifft Architekten, die mit wenig Aufwand Nistkästen bei der Planung von Gebäuden berücksichtigen könnten.»


Apus apus, der Fußlose – bekannt als Mauersegler, hat sehr wohl Füße, wenn auch kleine, versteckte, mit denen er nur watscheln kann. Sie können sich damit auf keinem Ast halten, aber dafür an Felsen klettern, oder an Häuser. Haben sie einmal ein Nest gebaut, kommen sie jedes Jahr wieder zurück, schmeißen eventuelle Untermieter heraus. Wozu in Felsen brüten, wenn der Mensch so wunderbare Häuser mit Nischen zur Verfügung stellt, in denen man sich geschützt ansiedeln kann. Wären da nicht die Renovierungsarbeiten, bei denen die Menschen genau diesen Wohnraum zerstören. Kehren die Vögel aus dem sonnigen Süden zurück, hat man sie hinterrücks für die Tür gesetzt. Hoffentlich finden sie im Quartier einen passenden Platz, etwas Neues zu bauen. Helga Brunnemann in Weimar bemerkte genau dieses Desaster. Sie setzt sich dafür ein, Nistkästen für Mauersegler zu schaffen, damit die Vögel in Weimar nicht verschwinden.


«Aber eigentlich können alle Menschen, die in Städten leben, etwas tun. Auf Balkone, in Gärten und auf Fensterbretter gestellte insektenfreundliche Pflanzen bieten indirekt auch den Vögeln Nahrung.»


Höckerschwäne von Hamburg haben etwas mit der Hanse zu tun, ein Grünspecht treibt in Mainz sein Unwesen; man bekämpft ihn mit Spechtattrappen. Nilgänse in werden in Frankfurt am Main gejagt, weil die aggressiven Tiere die heimischen Vögel vertreiben. Haubenlerchen in Güstrow; Spatzen verschwinden aus dem Münchner Zentrum; ausgebüchste Halsbandsittiche verbreiteten sich in Köln (auch in anderen Städten), das sie zu ihrer Hauptstadt auserkoren haben; in Hildesheim rettet man Uhuküken. Die meisten Vögel finden wir in Berlin und es ist das Revier der Nachtigall. Taubenhasser gegen Taubenschützer, was ist dran? Caroline Ring bereiste zwölf Städte in Deutschland und offeriert hier jeweils einen besonderen Vogel. Sie passen sich den Lebensbedingungen an und vermehren sich unter guten Bedingungen, und mancherorts ziehen sie sich zurück. Was sind die Gründe? Wir lernen einiges über die Vogelwelt, humoristisch angereichert mit Anekdoten. Jedes Kapitel wird von der Autorin mit einer passenden Illustration eingeleitet und am Ende gibt es eine Karte zu den Besuchen. Ein erzählendes Sachbuch, das uns die Vogelwelt in den Städten näherbringt. Nature Writing im städtischen Lebensraum. Empfehlung!


Caroline Ring bereist das Land auf den Spuren seiner Vögel und erzählt ihre bedeutendsten Geschichten: vom Verschwinden der Spatzen bis zur Rückkehr der Mauersegler. Die Biologin zeigt, wie das Zusammenleben von Mensch und Tier funktioniert – und warum wir einander brauchen.


Cover des Buches Südtiroler Gasthaus (ISBN: 9783852568911)

Bewertung zu "Südtiroler Gasthaus" von Marlene Lobis

Südtiroler Gasthaus
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Südtiroler Küche, Reiseliteratur, Kulinarisches, Italienische Küche mit außergewöhnlichen Rezepten
Eine Tour durch Südtiroler Gasthäuser

Ein Kochbuch und Gasthaus-Führer zugleich. Hinter der Marke «Südtiroler Gasthaus» stehen 29 sehr individuelle Familienbetriebe, vor allem aber Menschen, die mit Leidenschaft ihre Gäste bewirten. Für ihre tägliche Arbeit haben sie sich gemeinsam hohe Qualitätskriterien gesetzt, die unabhängig überprüft werden. Ein Qualitätsmerkmal ist die Verwendung von einheimischen, saisonalen Produkten, die in überlieferten und neu interpretierten Rezepten umgesetzt werden. Eine Tour durch Südtiroler Gasthäuser, die nebenbei ihre Lieblingsrezepte mitliefern.


Im ersten Teil des Buchs werden die 29 Betriebe je als Doppelseite vorgestellt. Auf der einen Seite, ein kleiner Eindruck durch zwei bis vier Fotos, auf der anderen Seite ein kleiner Aufriss über Geschichte, Lage und die Grundpfeiler der Küche. Am unteren Rand jeweils Adressen, Kontaktdaten und einen Hinweis zu den zwei von ihnen vorgestellten Rezepten. Gemütliche Gaststuben im Tiroler Stil, warmes Holz dominiert.


Die Rezepte teilen sich auf fünf Kapitel: Antipasti, Vorspeisen, Hauptgerichte, Desserts, Grundrezepte. Beim Durchblättern fällt sofort auf, dass traditionelle Küche hier niveauvoll in modernem Outfit serviert wird. Bei den Antipasti finden wir einen Löwenzahn-Spargelsalat mit Wachtelei; eine Graukäsepraline mit Lauchcreme, in die man sogleich hineinbeißen mag; pochiertes Forellenfilet; aber auch gebratenes Kalbsbries; Rehrücken; Bergartischocke mit gebeiztem Saibling; Blaukraut-Krapfen mit Kalbskopf – hier wird Antipasti in guten Portionen geliefert. Suppen bei den Vorspeisen, wie Weinsuppe; eine saure Kuttelsuppe; Rohnennocken (Rote Beete) mit Graukäsecreme; Bärlauchteigtaschen mit Tomatenbutter; Tisner Kürbis-Kastanien-Tirtln auf gedünstetem Weißkohl; Brenessel-Kartoffel-Nocken; Buchweizen-Palatschinken mit Gutem Heinrich und Almkäse; Kastanien-Kartoffel-Gnocchi; Birnenmehl-Torteloni; Blutnudeln mit Ahrntaler Graukäse.


Typisch für Südtirol auch die Hauptgerichte: Stockfischgröstel; Forelle; Spanferkelrücken mit Schüttelbrotkruste und Steinpilzknödeln; Kalbskotelett mit Kräutern und Erdäpfel-Blattln; Schnalser Schöpsernes (Lammbraten); Ziegenbock mit Schüttelbrotschupfnudeln und Steinpilzen; Rehrücken mit Schupfnudeln; Gamsrücken mit schwarzplentenem Riebler – aber auch ein Kartoffel-Shitake-Puffer mit Roastbeef oder ein Fohlenmedaillon mit Karottenpüree und Mangold. Der schwarzplentene Riebler ist ein traditionelles Gericht aus Maisgrieß – hier aber der Teig mit Kastanien, Dörrpflaumen und Buchweizenmehl hergestellt. Als Dessert darf Apfelstrudel nicht fehlen; Holler-Panna-Cotta mit frischen Erdbeeren; ein Parfait mit Preiselbeeren und Lärche (Lärchenöl) oder Barbianer Zwetschenknödel; Topfen-Birnmehl-Schmarrn. 


Klasse Rezepte, bei denen man sicher das ein oder andere ausprobieren wird – ansprechende Fotos animieren dazu. Aber zum Nachkochen eignen sich viele Rezepte nicht. Ziege, Gams, bei uns schwer zu erhalten; und ich möchte gern das Gesicht vom Metzger sehen, wenn ich nach Fohlenbraten oder 100 ml Schweineblut frage. Schüttelbrot, Birnenmehl, Lärchenöl wird wahrscheinlich schwer aufzutreiben sein, den Guten Heinrich kann man durch Spinat ersetzen. Mit ein wenig Fantasie wird sich ein Ersatzprodukt finden. Oder man bucht einen Urlaub in Tirol – viele dieser Gasthäuser haben auch Zimmer zu vermieten. Ein feines Kochbuch mit traditionellen Rezepten, einige außergewöhnlich zubereitet. Empfehlung – vielleicht ein Geschenk für Freunde als Reiseliteratur, die gern nach Südtirol fahren. Das Buch wurde beim  Deutschen Kochbuchpreis ausgezeichnet mit Bronze in der Kategorie Alpen.


Geboren 1986, stammt aus einem bäuerlichen Betrieb am Ritten/Südtirol, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft und schreibt heute als freie Texterin und Redakteurin über Südtirols Menschen, Küche und Kultur, u. a. für Merian.

Cover des Buches Unten (ISBN: 9783751301046)

Bewertung zu "Unten" von Maja Ilisch

Unten
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Wer ist die Hausverwaltung?
Unten wohnen die Schmutzigen, die sich nicht an die Regeln halten

Alles, was Spaß macht, ist verboten: Rennen, fangen Spielen im Flur, laut sein … Nevo und ihre Freundin Juma wohnen in einem großen Haus mit vielen Etagen. Wie viel, das wissen sie nicht, denn sie benutzen nur ihre Wohnetage und die Schuletage. Noch nie in ihrem Leben haben sie das Haus verlassen – ihre Mütter auch nicht. Väter existieren nicht. Nevo muss sich an die Regeln halten, sonst verliert ihre Mutter noch die Wohnung und sie müssten nach unten ziehen, und unten wohnen die Schmutzigen, die Widerlichen. Die Hausverwaltung sorgt dafür, dass alles seine Ordnung hat. Doch dann fällt Nevos Freundin Juma beim Spielen in den Wäscheschacht und ist wie vom Erdboden verschluckt. 


«‹Die Hausordnung›, fuhr Mat fort, ‹sagt nichts über Personen, die im Treppenhaus leben.› Er lachte. «Ich bin kein Bewohner. Und darum gilt die ganze Hausordnung nicht für mich. Oder dich.›»


Noch merkwürdiger erscheint es Nevo, dass die Erwachsenen tun so, als hätte es Juma nie gegeben. Juma? Wer soll das sein? Ihre Mutter, Jumas Mutter, die Lehrerin … selbst die Klasse schweigt. Und da ist Miu, die Tochter von Jumas Mutter. Bitte, wer ist Miu?, fragt sich Nevo. Angeblich war die schon immer da und sie ist Nevos beste Freundin. So ein Quatsch! Sie kennt diese Miu nicht! Drehen denn hier alle am Rad? Nevo ist zwar daran gewöhnt, auf Fragen keine Antworten zu bekommen, aber das geht zu weit. Sie macht sich auf den Weg durchs Haus, um Juma wiederzufinden. Ab in den Wäschetunnel … und sie landet nach einer langen Rutschpartie in der Wäscherei, kommt ins Treppenhaus, steigt immer weiter hinab und trifft auf die Schmutzigen, mit denen man nicht spricht.


«Aber eingeschlossen wäre ich ja nur, wenn ich gehen wollte.»


Eine Dystopie für Kinder. Es gibt einen kleinen Satz, der besagt, dass es einmal eine Zeit gab, als man noch hinausgehen durfte. Hier bleibt Spielraum für die Fantasie, was passiert sein mag. Familienstrukturen sind aufgelöst, Frauen wohnen zusammen mit ihren Kindern. Männer gibt es auch, sie treten als Wachmänner in den Fluren in Erscheinung. Ausflüge in andere Abschnitte des Hauses sind streng untersagt. Nevos und Junas Mütter arbeiten – was sie tun, ist nicht definiert. Ja, und wer ist eigentlich die Hausverwaltung? Spielen Kinder auf dem Gang, werden sie sofort durch die Lautsprecher ermahnt, die Wachmänner rücken aus. Werden sie überwacht?, fragen die Freundinnen sich. Garantiert, aber nur wie? Nevo trifft auf ihrem Gang auf einen sehr alten Mann, der sagt: «Fragen, was außerhalb des Hauses liegt. Und mein ganzes Leben lang habe ich überlegt, mich einmal auf den Weg zu machen. Nach unten. Nach draußen. In die ganze Welt, die wir von hier aus nur erahnen können.» Aber er hat sich nie getraut. Wer hat die Hausordnung geschrieben? Die Freundinnen wohnen auf Wohnetage – Zinnober Vier. Mehrere Etagen gehören zu einem Farbabschnitt. Gelb ist ganz unten und schmutzig, nach oben hin wird es blau. Ein Gesellschaftssystem, das nach oben besser wird, nach unten steigt man ab – der gesellschaftliche Abstieg. Wer gegen die Regeln verstößt, steigt ab, Eltern haften für ihre Kinder. Aber viele Regeln sind absurd, nicht rational, niemand mit klarem Verstand würde so etwas erfinden. «Seit Generationen hat niemand das Gebäude verlassen.» Die Bewohner sind zufrieden, hinterfragen das System nicht. Ein diktiertes Leben. Türen werden automatisch hinter ihnen abgeschlossen (Klassenzimmer, Arbeitsplatz …). Es ist, wie es ist und das ist gut.


«‹Oder›, flüsterte Mat ganz nah an ihrem Ohr … ‹es gibt überhaupt gar keine Hausverwaltung. Sie wollen nur, dass alle das denken. Damit die Leute Angst haben.›

‹Wer sind sie?›, fragte Nevo und fragte sich, warum sie jetzt plötzlich auch flüsterte.

‹Na, die Hausverwaltung›, antwortete Mat.»


An einer Stelle fragt sich Nevo, woher eigentlich die Lebensmittel kommen, die Milch in Tüten, die Tomaten in Dosen, die Nudeln? Die Frage nach der Versorgung und dem, was draußen wohl sein mag, wird nicht beantwortet – das bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. Nevo bricht alle Regeln der Hausverwaltung – man muss sich nur trauen, um zu verstehen, was dahinter steht. Ein elfjähriges Kind schert sich nicht um Regeln, es will Antworten. Und Nevo ist Juna wichtig: Wo ist ihre Freundin? Veränderung entsteht nur durch Regelbruch, so die Message. Es gibt einen Hinweis auf KI – die vielleicht die Hausordnung erschaffen hat; denn sie ist veränderbar. Ich will nicht zu viel verraten. An dieser Stelle hat es sich Maja Ilisch für meine Begriffe zu einfach gemacht … Es ist ein Kinderbuch, doch für eine Heldenreise braucht es Felsbrocken und Steine, die dem Helden in den Weg gelegt werden. Hier gab es nur Kieselsteine und Sandkörner. Der Kosmos ist dieses riesige Haus. Es gibt kein Draußen, keine anderen Menschen, keine anderen Häuser, eine Stadt, ein Land, die Welt. Auf der einen Seite fand ich den Kinderroman recht gut, auf der anderen Seite, war mir Nevos Weg schlicht zu einfach. Fragen offen zu lassen ist gut, um der Fantasie Raum zu geben, aber hier eröffnet sich ein ganzes Lexikon voller Fragen. Too much! Der Dressler Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 10 Jahren. Das passt für mich, allerdings mit dem Zusatz, dass mir dieses Kinderbuch immer wieder zu viele Längen hatte, insbesondere für diese Altersgruppe. Die Geschichte zieht sich in Beschreibungen, dafür fehlen die Actionszenen, die für Utopien typisch sind. Ein guter Ansatz, für mich im Gesamtkonzept nicht vollauf zufriedenstellend.



Maja Ilisch, geb. 1975 in Dortmund, studierte Öffentliches Bibliothekswesen an der FH Köln und absolvierte im Anschluss daran eine Ausbildung zur Fachbuchhändlerin. Nach mehreren Stationen in Buchhandel, Verlags- und Bibliothekswesen arbeitet sie nun als freie Autorin. Neben dem Schreiben betreibt sie das Fantasy-Autor:innenforum Tintenzirkel. Maja Ilisch lebt mit ihrem Mann bei Aachen in einem alten Haus, in dem es nur vielleicht spukt.


Cover des Buches Ein dreckiges Geschäft (ISBN: 9783608501865)

Bewertung zu "Ein dreckiges Geschäft" von Chris Offutt

Ein dreckiges Geschäft
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Ausdrucksstarke Beschreibung Kentuckys und deren Einwohner
Ein Country-Noir, der etwas braucht, bis die Spannung zieht

Mick Hardin arbeitet bei der Strafverfolgungsbehörde CID der US Army; derzeit allerdings kuriert er eine Verletzung durch einen Sprengstoffanschlag in Afghanistan aus. Er ist bei seiner Schwester im Elternhaus einquartiert und langweilt sich. Sie ist Sheriff in Rocksalt, ein Kaff in den Kentucky Mountains. Als Fuckin’ Barney Kissick, ein stadtbekannter Drogendealer, tot aufgefunden wird, bittet seine Mutter Mick, den Mörder zu finden. Die Polizei ermittelt lasch bei einem Typen, den wohl nur seine Familie vermissen wird, und Micks Schwester ist nicht zuständig. Doch die kann Mick als Deputy gebrauchen, da gerade einiges los ist vor Ort, und sie viel mit ihrem Wahlkampf zur Wiederwahl als Sheriff um die Ohren hat. Mick stochert zunächst im Dunkel, denn irgendwie will der Tod von Barney nicht ins Drogenmilieu passen. Was oberflächlich harmoniert, fällt beim genauen Hinsehen sofort auseinander. Hier hat jemand etwas inszeniert, um von sich abzulenken. Bald wird auch Barney Bruder tot aufgefunden und jemand hat es auf Mick abgesehen. Jetzt wird es persönlich. 


«‹Der Chief will, dass wir noch mal gründlich überprüfen, in wessen Zuständigkeitsbereich der Tote fällt. Die Stadtgrenze verläuft genau hier irgendwo. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob die Leiche auf dem Gebiet der Stadt oder vom County liegt.›

‹Na, dann gehört er entweder mir oder euch.›

‹Ja, so ungefähr. Der Chief schickt uns einen Landvermesser mit der Flurkarte vorbei.›»


Dieser Krimi ist verwurzelt im ländlichen Kentucky und beschreibt Land und Leute, die Zuständigkeit der verschiedenen polizeilichen Behörden. Ein wenig Nature Writing, raubeinige Hillbillys, Menschen, die sich durch das Leben kämpfen, dichte Wälder, ein verlassenes Bergwerk; ein atmosphärischer Krimi, bei dem sich die Spannung immer weiter verdichtet. Schnell ist klar, dass Micks Schwester nicht unbedingt wissen muss, womit er sich den Tag …. Ein Country-Noir, der etwas braucht, bis die Spannung zieht, was aber ausgeglichen wird durch die ausdrucksstarke Beschreibung Kentuckys und deren Einwohner. Genau diese Kombination macht den Krimi interessant, zeigt das karge ländliche Leben in einer abgehängten Region. Und zum Ende geht es hart zur Sache. Empfehlung!



Chris Offutt, geboren 1958, ist Autor mehrerer Romane, für die er mit dem Whiting Writers Award und dem American Academy of Arts and Letters Fiction Award ausgezeichnet wurde. Zuletzt erhielt er 2019 für Country Dark den französischen Prix Mystère de la Critique. Er lebt im ländlichen Lafayette County in der Nähe von Oxford, Mississippi.  

Cover des Buches Imperium der Schmerzen (ISBN: 9783732406760)

Bewertung zu "Imperium der Schmerzen" von Patrick Radden Keefe

Imperium der Schmerzen
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Klasse: True-Crime-Story, ein Familienroman, ein historischer Roman zur Pharma- und Medizingeschichte
Millionen Menschen stürzten weltweit in die Abhängigkeit mit OxyContin

«Arthur hatte entdeckt, dass unter seinen vielen Talenten er eines am besten beherrschte: Leuten was verkaufen.»


Fast 22 Stunden Hörbuch als erzählendes Sachbuch – und es wurde nie langweilig! Das große, verstörende Porträt der Sackler-Familie, die sich als Philanthropen feiern lassen, deren Vermögen durch Valium entstand und die mit der Erfindung des Medikaments OxyContin die Opioidkrise in den USA auslöste. Über vier Generationen behaupteten sie, sie hätten mit ihren Firmen nichts zu tun, hielten ihren Namen heraus; doch hinter den Türen zogen sie die Fäden, Manager, die etwas verändern wollten, mussten gehen. Und Millionen Menschen stürzten weltweit in die Abhängigkeit mit Oxy. Wer sich das Medikament nicht mehr leisten konnte, stieg auf Heroin um, was ja so ziemlich das Gleiche war. Die Sacklers behaupteten, wer abhängig sei, habe das Medikament eigenständig überdosiert – das war von Anfang an gelogen, und sie wussten das seit der Einführung des Medikaments. 


«Süchtige sind süchtig, weil sie süchtig sein wollen.»


Patrick Radden Keefe zeichnet das Sittengemälde einer Industriellenfamilie, die die Welt prägte. Durch überdimensioniertes, aggressives Marketing ihrer Pharmafirma Purdue machten sie Ärzte zu Dealern und sackten selbst Milliarden ein. Alles beginnt mit Sarah Greenberg und Isaac Sackler, zwei jüdischen Migranten, die aus Polen und Galizien in die USA eingewandert waren und in NY Brooklyn landeten. Sie wollen, dass aus den Kindern Arthur, Mortimer und Raymond etwas wird, bestärken sie zu Fleiß. Alle drei Söhne studieren Medizin, arbeiten an renommierten Kliniken, gründen eigene Firmen und werden reich mit der Entwicklung von Valium. Der strebsame Sohn Arthur, entpuppt sich zum Marketing-Genie für medizinische Produkte, umschifft Gesetze, lügt, was das Zeug hält, moralische Bedenken hat er nie. Über eine eigene medizinische Fachzeitschrift, die sich den seriösen Anstrich des unabhängigen Journalismus gibt, kurbelte er durch Falschbehauptungen Märkte an. Das beginnt in den Sechzigern mit der Bewerbung für Valium, bei der er die Suchtgefahr verschweigt. Als herauskommt, dass Valium abhängig macht, kaufen sie die Pharmafirma Purdue, geben OxyContin heraus, was angeblich suchtfrei sei – letztendlich ist es Valium in doppelter Dosis. Gewissenlos und ruhmessüchtig wird das Schmerzmittel vertrieben. Der Name Sackler wird aus den pharmazeutischen Firmen stets herausgehalten, der Gewinn in Kunst investiert, ebenso in Bildung. Arthur sammelt leidenschaftlich, spendet für Museen, für Universitäten usw. Der Name Sackler pflastert sich durch das ganze Land, sogar bis nach England; ganze Museumsflügel werden in Sackler-Flügel umbenannt. An den UNI’s erhält man Sackler-Stipendien und Sackler-Professuren, Sackler-Hörsäle. Sackler, der Philantrop, der edle Spender. 



«Ich sage das nur ungern, aber du könntest der Pablo Escobar des neuen Jahrtausends werden.»


Das bleibt ein Familienhobby; aber als Arthur stirbt, wird sein Zweig der Familie im Erbe ausgebootet. Ab 1987 steigt Richard Sackler, Arthurs Neffe und Raymonds Sohn voll ins Geschäft ein mit OxyContin. 

Beste Vernetzung und Lobbyarbeit, Bestechung von Behörden, teure, durchtriebene Anwälte, ein knallhartes Marketing, Manipulation, Umsatzbeteiligung für Ärzte, eine große Flotte von ungebildeten Pharmaberatern machen es möglich, dass diese Familie immer mehr Geld einstreicht. Letztendlich ist Arthur Sacker sozusagen auch der Erfinder der Werbung für Medikamente und der Pharmaberater. Die Werbung lügt dreist sämtliche Suchtgefahr weg – behauptet sogar das Gegenteil. Auch wenn immer mehr Patienten klagen, süchtig geworden zu sein, sterben, so wird bei den Sacklers jedes Mitverschulden abgestritten. Prozesse werden im Vorfeld mit Geld und Verschwiegenheitsvereinbarungen beseitigt, und finden dann doch Prozesse statt, führen windige Anwälte die Staatsanwälte, Ermittler und Journalisten an der Nase herum. Schadenersatzzahlungen laufen unter Peanuts. 


Etwa 450.000 Amerikaner:innen starben durch OxyContin. Doch die Sacklers scheffelen weiter Milliarden, während sogenannte Drogendealer wegen kleiner Vergehen lange Strafen im Gefängnis absitzen müssen. Man kennt den Namen Sackler, eine Familie von Philanthropen, aber mit Oxy wurde er nie in Verbindung gebracht. Journalisten und Aktivisten, ehemalige Abhängige, darunter berühmte Künstler, brachten langsam Licht ins Dunkel mit ihren Aktionen. Staatsanwälte, die nicht locker ließen, bissen sich weiter durch und der Name Sackler wurde langsam verpönt, die Schilder in Museen und Universitäten abgeschraubt. Das war letztendlich auch schon alles. Die Geschichte der Sackler-Dynastie birst vor Dramen - barocke Privatleben, erbitterte Verteilungsschlachten, machiavellistische Manöver in Gerichtssälen und der kalkulierte Einsatz von Geld, um sich als Kunstmäzene Zugang zur Elite zu kaufen und die weniger Mächtigen zu brechen. Ein verflochtenes Firmengeflecht, immer darauf bedacht, keine Steuern zu zahlen, ein Rudel der besten Anwälte in der Hinterhand. Eine Einwandererfamilie, die zu den Elitefamilien dazugehören wollte, von den alten New Yorker Familien aber nie richtig anerkannt wurden, denn als Juden empfing man sie nicht mit offenen Armen. Man kaufte sich ein, plakatierte alles philanthropisch mit dem Namen Sackler, denn zum US-Geldadel gehörte man unumstoßen dazu. Patrick Radden Keefe beschreibt als erzählendes Sachbuch ein detailliertes dynastisches Portrait der Sacklers, spannend wie einen Thriller. Und es erschüttert, was in diesem Rechtssystem alles möglich ist. Es ist ja nicht irgendeine Familie, die hier Geschichte schreibt, denn sie beschreibt auch pharmazeutische Geschichte, Medizingeschichte und die einer Drogenkrise in den USA. Nie wurde ein Mitglied des Sackler-Clans persönlich zur Rechenschaft gezogen, nur Strohmänner mussten herhalten. Merke: Nie etwas zugeben, leugnen bis zum bitteren Ende. Wer genug Geld hat, sich trickreich vertreten zu lassen, bekommt scheinbar in den USA immer Recht. Interessant, auch, OxyContin wollten die Sacklers in Deutschland gern zulassen. Man riet ab. Wenn es hier Probleme gibt, und die wird es geben, dann fällt das gesamte Kartenhaus zusammen. Es gibt einige Bücher über OxyContin und die Opioidkrise in den USA, auch Filme, doch dies ist das erste Buch, das sich direkt mit der Familie Sackler beschäftigt. Ein historischer Roman, ein Familienroman, ein erzählendes Sachbuch, eigentlich sogar eine True-Crime-Story, auf jeden Fall eine Empfehlung! 




Patrick Radden Keefe, geboren 1976, studierte an der Columbia University, der Yale Law School, der Cambridge University und der London School of Economics. Keefe ist investigativer Reporter des "New Yorker".


Cover des Buches ¡Blut und Feuer! (ISBN: 9783966751551)

Bewertung zu "¡Blut und Feuer!" von Manuel Chaves Nogales

¡Blut und Feuer!
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Spannender kann kein Roman sein!
Es sind wahre Geschichten, die aus den Erlebnissen von Chaves und Berichten entstanden, empathisch und bildlich erzählt.

«Chaves Nogales hat niemals einer Partei angehört. Sein Credo ist das der Demokratie. Er glaubte an die politische Freiheit und lehnte alle Arten von Diktatur ab, egal ob es die faschistische oder kommunistische ist, egal, ob rassistisch oder proletarisch. … Ihm ging es in Spanien immer darum, das Interesse der Massen für die gravierendsten sozialen und politischen Probleme der Zeit zu wecken.»


Manuel Chaves Nogales, geboren 1897 in Sevilla, war Spaniens herausragender Journalist der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Seine Artikel, die in dem für ihm typischen, erzählendem, humoristischem Stil, oft als Fortsetzungsgeschichten herausgab, sind bereits zu seinen Lebzeiten als Erzählungen in Bücher zusammengefasst worden. Jedes dieser Bände liest sich noch heute erfrischend und witzig – als käme ein Hundertjähriger in der Optik eines Dreißigjährigen daher. Lange Zeit schmorten seine Bücher im Keller, waren unter Franco verboten, wurden erst in jüngster Zeit in Spanien wiederentdeckt. Glücklicherweise! 1936 bis 1939 wütete in Spanien ein Bruderkrieg, der Guerra Civil. Die junge Demokratie wurde von General Franco geputscht. Ein blutiger Bürgerkrieg, in dem sich keine Seite mit Ruhm bekleckerte. Manuel Chaves Nogales arbeitete in Madrid bei der großen Tageszeitung «AHORA»; seine Artikel waren in Spanien sehr beliebt. Gleich zu Beginn des Krieges wurde die Redaktion der «AHORA» durch einen Arbeiterrat der sozialistischen Jugend enteignet. Als Chefredakteur hielt Nogales nur ein paar Monate durch. Dazu in seinem typischen Humor (die Parolen, die zu schreiben waren, waren vorgegeben), er musste «die Sache des Volkes gegen den Faschismus und die aufständischen Militärs zu verteidigen». Anfangs lavierte er sich durch, positionierte sich auf keiner Seite. «Als Antifaschist und Antirevolutionär aus innerer Veranlagung, weigerte ich mich beharrlich, an das Heilsversprechen großer Umstürze zu glauben.» Er war in Russland gewesen, hatte den Kommunismus verteufelt, ebenso die Faschisten Hitler und Mussolini. Chaves stand klar für eine Demokratie. Und ob die von den Linken Milizen gewollt war, das schien ihm nicht klar. Dieser Krieg ließ keine Mitte zu. «Ich beschloss, schreibend auszuharren und mich den Gesetzen der Evolution und des Fortschritts anzuvertrauen.» Dank seiner spitzen Feder von beiden Seiten auf die Todesliste gesetzt, musste Chaves Ende 1936 ins Exil gehen, erst nach Paris, später nach London, wo er 1944 nach einer Operation mit 47 Jahren starb; heute nimmt man an, es war ein Magenkarzinom. Sein Lebenslauf und seine Bedeutung für Spanien werden im Vorwort gut erörtert.


«In nur wenigen war die «Eiserne Kolonne» zum Schrecken in der Region Levante geworden. … morodierte durch dieses alte Königreich Valencia von Ort zu Ort und widmete sich unbehelligt der Verwüstung und Zerstörung. Unter dem Vorwand, das Land von untergetauchten Faschisten zu säubern, behelligten diese Männer nach Laune mordend und plündernd, Dorf um Dorf, ohne dass sich ihnen die wenigen Kräfte, über die der Staat noch verfügte, entgegenstellen konnten. Überwiegend setzte sich diese Kolonne aus Ex-Sträflingen zusammen, die sich unter dem rotschwarzen Abzeichen der Anarchisten versteckt hielten.»


1937 erschien «¡Blut und Feuer!» im chilenischen Verlag Ercilla, das Manuskript hatte Chaves im Exil in Paris geschrieben. 9 Kriegsgeschichten, die unter die Haut gehen. Hier wird vor niemand Halt gemacht. Es sind wahre Geschichten, die aus den Erlebnissen von Chaves und Berichten entstanden. Chaves ist ein erzählender Berichterstatter, der empathisch sich auf die Seite der Menschen schlägt. Ob kommunistische Milizionäre, Faschisten, Anarchisten: Es gibt keine Schuldzuweisungen und kein Gut oder Böse. Gerade das macht die Erzählungen so glaubwürdig. Trotz aller Grauen behält der Autor seinen satirischen Unterton bei, was wiederum ein wenig den Schrecken nimmt. Madrid konnte sich lange gegen die Franquisten halten, obwohl die Luftwaffen von Italien und Deutschland die Hauptstadt unablässig bombardieren. «Massaker, Massaker» – Blut fließt auf den Straßen, davon berichtet die erste Geschichte. «Die Bosheit, die sich rasend schnell des ganzen terrorisierten Madrids bemächtigte, gerann schließlich in einem einmütigen Schrei: Massaker! Massaker!» Geschichten aus dem Leben eines Kriegs, bei dem sie Freunde plötzlich gegenüberstehen, sich gegenseitig abschlachten. Menschen denunzieren sich gegenseitig, und so mancher gerät unter falschen Verdacht, liquidiert durchs Gewehr. «Das menschliche Leben hatte jeglichen Wert verloren.» In der Geschichte «Die Reiter des Marqués» formiert sich ein Trupp des Landadels zu Pferd mit seinen Bauern, die sich mit Mistgabeln bewaffnet haben, um gegen die bewaffnete Gegenseite vorzugehen. Und der Marqués hält eine Rede, weiß, wie man das Volk behandeln muss: «Man muss es schlecht behandeln. ... Schon immer hat man so regiert, mit dem Knüppel. Das wollen diese Idioten mit ihrer Republik aber nicht wahrhaben.» Drum muss man sie bekämpfen. «Der Arbeiterrat» erinnert an russische Szenen der Revolution: Wer eine eigene Meinung hat, wird hart bestraft. Von der einen wie auch der anderen Seite laufen die Anhänger über, wenn sie erleben, wie ihre eigenen Truppen massakrieren – um dann festzustellen, die anderen sind auch nicht besser. Marokkanischen Söldner werden von den Falangisten eingesetzt. Und da steht dieser Maure mit zerschossenem Bein, ruft: «Nicht schießen, ich sein Roter. Ich sein Republik.» Die Roten gehen mit vier Männern auf ihn zu; aber nur einer hat’s überlebt, als er sein Messer hervorzieht. Der Maure kann vom Vierten überwältigt werden. Harte Kämpfer; die Mauren versuchen, Madrid zu erstürmen – viele Geschichten aus diesem Krieg, empatisch und bildlich erzählt. Spannender kann kein Roman sein. Die Charaktere sind fein literarisch herausgearbeitet und überzeugen. 


«Aus vertrauenswürdigen Quellen weiß ich, dass eine faschistische Gruppe in Madrid noch vor Ausbruch des Krieges, perfekt vorschriftsmäßig, die Verabredung getroffen hatte, meine Ermordung als eine der präventiven Maßnahmen gegen den möglichen Triumph der sozialen Revolution durchzuführen, ohne zu ahnen, dass die Revolutionäre, Anarchisten wie Kommunisten, ihrerseits meinten, ich sei perfekt erschießungswürdig.»


Nogales Werk wiederentdeckt, in lebendiger Sprache, ist heute in Spanien ein Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte. Während der Franco-Ära war es verboten darüber zu reden und nach dem Ende der Diktatur waren alle verstummt. Zwei verfeindete Seiten standen sich gegenüber, Nachbar an Nachbar – mussten in Frieden weiter miteinander leben. Zu tief saßen die Wunden. Heute ist es für die Nachkommen an der Zeit, sich mit ihrer Geschichte zu befassen. Wer wäre da besser geeignet als der Journalist Manuel Chaves Nogales. Alle seine Bücher sind empfehlenswert, z.B. die Glosse «Ifni. Spaniens letztes Koloniales Abenteuer» oder die die Biografie des legendären Stierkämpfers Belmonte, «Juan Belmonte, Stierkämpfer, sein Leben und seine Heldentaten». In dem vorliegenden Band vereinen sich, wie in all seinen Büchern, spanische Geschichte und Literatur zu einem fulminanten Gesamtwerk.


Manuel Chaves Nogales (Sevilla, 1897 – London, 1944), Autor und bedeutendster Journalist in Spaniens Zweiter Republik, geriet aufgrund des Verbots seines Namens unter Franco in völlige Vergessenheit. Seine nicht zu brechende Liberalität beeinflusst seit seiner Wiederentdeckung in den 1990er Jahren den neu entfachten Diskurs über Spaniens Geschichte. Sein Werk umfasst Erzählungen, Romane und Reportagen und hält wichtige Erkenntnisse für das Verständnis der Funktionsweisen von militärischer Gewalt und propagandistischer Falschinformation bereit. Chaves Nogales stirbt 1944 in London. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Sieg über den Totalitarismus erlebt er nicht mehr. Ein Ereignis, das er als Mensch herbeigesehnt und für das er als freiheitlicher Journalist immer geschrieben hatte.


Cover des Buches Irgendwo im Schnee (ISBN: 9783968260341)

Bewertung zu "Irgendwo im Schnee" von Linde Faas

Irgendwo im Schnee
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Ein sehr atmosphärisches Weihnachts-Bilderbuch
Auf der Suche nach Weihnachten folgt Sofie dem Elch, setzt sich auf seinen warmen, weichen Rücken, und sie dringen in den tief verschneiten Winterwald

Bald ist Weihnachten. Überall in der Stadt herrscht festliche Stimmung, und aus jedem Fenster strömen Licht und Wärme. Nur nicht bei der kleinen Sofie, die von Kerzen, Sternen, von Musik und Geschenken träumt. Ihr Vater ist leider viel zu beschäftigt, um das Haus zu schmücken und einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Also schnappt sich Sofie Mantel und Fäustlinge und tritt hinaus in den kalten Wintermorgen. Es zieht ein Schneesturm auf, und mitten in dieser weißen Welt taucht plötzlich ein Elch auf, der Sofie mit «freundlichen Augen» anblickt. Auf der Suche nach Weihnachten folgt Sofie dem Elch, setzt sich auf seinen warmen, weichen Rücken, und sie dringen in den tief verschneiten Winterwald ein, der voller zauberhafter Weihnachtswunder steckt.


Seite für Seite spürt man in diesem Bilderbuch atmosphärisch die winterliche Stimmung des verschneiten Waldes, vernimmt die gedämpfte Stille, hört den Schnee unter den Füßen des Mädchens knirschen, unter den Hufen des Elchs, spürt die dichten Schneeflocken auf der Nase schmelzen. Das Kinderbuch bezaubert in winterlichem Flair, denn es ist textreduziert gestaltet. Am Rand des knackenden Sees treffen Elch und Mädchen auf einen kleinen Tannenbaum, etwas krumm geraten ist, so ganz alleine steht. Sofie möchte dem Baum ein Geschenk machen und ruft die Tiere herbei, Dinge im Wald zu sammeln, um den einsamen Baum zu schmücken. «Verdienen nicht alle, die allein sind, etwas Schönes?», fragt sie. Und dann entfacht ein Licht, ein winterlicher Weihnachtszauber …


Im Schneegestöber der Winterlandschaft dominieren eindeutig Blau, Weiß und Grau, als Farbfleck das kleine Mädchen mit leuchtend blauem Mantel, roter Strumpfhose und rosa Mütze. Am Wendepunkt, als das Mädchen beschließt, den einsamen Baum zu schmücken, ihm Beachtung zu geben, sich selbst aus ihrer Einsamkeit zu befreien, hat Linde Faas das Weitwinkelobjektiv in ihren Illustrationen eingesetzt: Wir verlassen den Wald, sehen über den See in die Berge, in ein rosafarbenes Firmament. Mit Farbe (Baumschmuck) steigt die Stimmung, die am Ende pastellfarbig explodiert. Triste Einsamkeit wahrgenommen in den Illustrationen, die farblich sich verändert durch Freundschaft und Hilfsbereitschaft, Wärme aufkommen lässt, bis zum inneren Glühen. Ein zartes, emotionales Weihnachts-Bilderbuch, das atmosphärisch aufzeigt, was Weihnachten bedeutet. «Verdienen nicht alle, die allein sind, etwas Schönes?» Der Von Hacht Verlag gibt eine Altersempfehlung ‎ ab 4 Jahren. Geht für mich in Ordnung. Empfehlung!


Linde Faas hat auf der Art Academy of Breda in den Niederlanden ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Sie arbeitet als Künstlerin, Animatorin für Animationsfilme und Illustratorin für Kinderbücher.


Cover des Buches Anton und der Gargoyle (ISBN: 9783314106569)

Bewertung zu "Anton und der Gargoyle" von Jo Ellen Bogart

Anton und der Gargoyle
Gwhynwhyfarvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Ein empathisches Bilderbuch ab 4 Jahren, das ganz ohne Worte auskommt
Hommage an Paris und die Notre Dame

Anton hat einen Lieblingsstein. Als er eines Morgens aufwacht, ist dieser Stein zerbrochen, aus dem ein freundliches Steinwesen geschlüpft ist. Als sein neuer Freund Heimweh bekommt, möchte Anton ihm helfen herauszufinden, wohin er gehört. Anton recherchiert, findet im Familienalbum ein Foto von seiner Oma – noch recht jung – zusammen mit Papa, der noch ein Junge ist, vor Steingebilden, die aussehen, wie sein kleiner Freund. Das Männchen ist ein kleiner Wasserspeier und stammt aus Paris. Welch ein Glück im Unglück: Antons Oma liegt in Paris im Krankenhaus, bittet die Familie, zu kommen – genau dorthin, wo der Gargoyle hingehört. Gemeinsam fährt die Familie mit ihm nach Paris, besucht Oma. Auf dem Dach der Kathedrale Notre-Dame kann auch der kleine Gargoyle zu seiner Familie zurückkehren.


Ein Gargoyle ist ein Fantasiegeschöpf, das in zahlreichen Werken der Phantastik vorkommt. Vorbilder sind die grotesk-figürlichen Wasserspeier, die man an Gebäuden der Gotik-Epoche findet. Sehr bekannt sind die auf der Kathedrale Notre-Dame. Ein Buch ohne Text, das in seiner bildnerischen Erzählung eindeutig ist. Detaillierte Bildsequenzen in Panels ersetzen die Sprache. Eine Hommage an Baudenkmäler und an Paris. Maja Kastelic zeichnet im Aquarellstil in zarten Pastelltönen in Naturfarben, und die Illustrationen vereinen sich so mit der empathischen Geschichte zu einem gefühlvollen Gesamtwerk. Der NordSüd Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 4 Jahren, was für mich passt. Empfehlung!



Maja Kastelic wurde in Slowenien geboren, wo sie Malerei, Philosophie und Visuelle Kunsttheorie studierte. Sie arbeitete einige Jahre als Restaurateurin von Fresken, bevor sie sich der Kinderbuchillustration widmete. Für ihr Erstlingswerk »A Boy and a House« wurde Maja Kastelic mit dem White Ravens Award ausgezeichnet, und ihre Arbeiten wurden für die Illustratoren-Ausstellung in Bologna ausgewählt.


Jo Ellen Bogart wurde in Houston, Texas, geboren. Sie hat ein Lehramts- und ein Psychologiestudium an der Universität von Texas abgeschlossen. Jo Ellen Bogart schreibt seit vielen Jahren Kinderbücher, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Heute lebt sie in Guelph, Ontario.


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