„Ein Mensch ist nicht viel, höchstens eine Aktentasche voll“: Der Schlächter von Hannover in einer herausragenden Graphic Novel.
„Warte, warte nur ein Weilchen, / bald kommt Haarmann auch zu dir, / mit dem kleinen Hackebeilchen / macht er Hackefleisch aus dir.“
Dieser in Deutschland geläufige Kinderreim erinnert an eine der archetypischen Schreckensgestalten der Neuzeit: Fritz Haarmann, der Jungenschlächter, der seine zumindest 24 Opfer vergewaltigte und ihnen dabei die Luftröhre durchbiss. Anschließend tranchierte er sie fachgerecht und verkaufte das Fleisch im bitterarmen Hungerdeutschland auf dem Schwarzmarkt.
Die atmosphärisch dichte Schwarz-Weiß-Graphic-Novel erspart uns die Horrorszenen im grafischen Detail und zeichnet stattdessen ein bedrückendes Zeitporträt: Die Staatsgewalt drückte sich in der zutiefst korrupten Willkür Einzelner aus, obrigkeitliche Allmachtsfantasien ließen nicht einmal den Gedanken zu, gewöhnliche Bürger seien zu polizeirelevanten Aussagen fähig. Das machte den Fall Haarmann überhaupt erst möglich: Der bieder wirkende Mann war als „erheblich schwachsinnig“ vom Militärdienst befreit und wurde bei der Polizei als „gemeingefährlicher Geisteskranker“ geführt. Dennoch erhielt er, der Flüchtling einer „Idiotenanstalt“, nach seiner Rückkehr nach Hannover ein „Unbescholtenheitszeugnis“ und verdingte sich als Kleinkrimineller und Spitzel mit Polizeiausweis (!). Jahrelang gingen Anzeigen über ihn ein und blieben unbeachtet, selbst eine Menschenfleischprobe änderte nichts an der Haltung der Behörde: „Schwein.“
Bis hin zu Haarmanns eigentümlicher Sprache („Schreiben Sie man dazu.“) authentisch wirkende, detailversessene und großartig gezeichnete Aufarbeitung eines der grauenvollsten Verbrechen der Geschichte – und einer Epoche, die solchem Wahnsinn erst den Boden bereitete.