Herby

Was interessiert mich der Tsunami? Was interessiert mich der Katastrophenbericht eines Überlebenden? Und dann schlug ich das Buch auf und begann zu lesen ... und konnte nicht wieder aufhören. Josef Haslinger überlebte mit seiner Frau und den beiden Kindern den Tsunami auf Phi Phi Island. Sein Buch berichtet von den Geschehnissen während der vier Tage auf der Insel sowie von der "Verarbeitungsreise", die er mit seiner Frau ein Jahr später an den gleichen Ort unternommen hat. Natürlich ist das Buch auch ein Stück persönliche Schreibtherapie für Josef Haslinger, aber eindrucksvoller kann ein Text über ein so schreckliches, unmittelbar erlebtes Unglück kaum sein: so unaufgeregt, nüchtern und doch so packend.

Meine Einstellung zu Andreas Maier war zwiespältig: Ich mochte den "Wäldchestag" sehr und fand seine Dankesrede bei der Verleihung des Wetterauer Kulturpreises grandios. In einer Bornheimer Apfelweinkneipe zeigte er sich Jahre später dagegen als arrogantes A...loch, und ich verlor die Lust an seinem letzten Buch. "Ich" versöhnt nun wieder mit dem Menschen wie dem Autor, und das ist das Schöne an seinen Poetikvorlesungen.

Anna Gavalda ist eine genaue Beobachterin und eine sehr exakte Beschreiberin. "Eigentlich" mag ich Kurzgeschichten nicht so gerne - sie hören zu oft da auf, wo es gerade spannend wird -, aber dieses Büchlein war genau die richtige Begleitlektüre einer Zugfahrt. Auf jeden Fall lesenwert.

Es ist DIE Horrorvorstellung einer jeden Familie: Die beiden Söhne fahren mit der Schule nach Logoland - und nur der Ältere konmmt zurück, der Kleine bleibt nach einer Pause auf dem Rastplatz spurlos verschwunden. Erzählt aus der Perspektive des 9-jährigen Harry, der niemals mehr das Schuldgefühl loswerden wird, nicht auf seinen kleinen Bruder aufgepasst zu haben, schafft Clare Sambrook eine unglaublich beeindruckende atmosphärische Spannung: Sie kontrastiert den psychischen und physischen Verfall der Eltern (die Mutter verliert allmählich jeglichen Realitätssinn und entführt schließlich ein Baby, um den Verlust zu kompensieren) dermaßen geschickt mit Harrys Phantasien und Träumen, in denen der kleine Dan einfach weiterlebt, dass man als Leser bis zum Schluss hin und her gerissen bleibt zwischen dem Wissen, dass der Junge niemals wiederkommen wird und der großen Hoffnung, dass alles doch nur ein böser Traum gewesen ist und Dan wirklich in der Tür steht: "Ich bin wieder hi-ier." Selten habe ich ein dermaßen unerträglich scheinendes Thema so großartig und fesselnd umgesetzt gelesen.

Kann mich Andras nur anschließen: ein tolles Buch, dem eine tolle Idee zugrunde liegt. Ein 18-jähriger ungebildeter Kellner gewinnt beim indischen "Wer wird Millionär?" und wird des Betrugs beschuldigt. Bei der Vernehmung erzählt er die Geschichten aus seinem Leben, die ihn jede einzelne Frage haben richtig beantworten lassen. Ja, auch durch das Leben lernen wir ...

Ein Buch wie geschaffen für die grauen, tristen Novembertage vor dem Kamin: eine wunderbare Liebesgeschichte, die so richtig ans Herz geht, die Leserin aber nicht überfordert. Keine Seite zu wenig!

Ein wirklich brillantes Buch muss nicht immer ein Ende haben, wie Hugo von Hofmannsthals Andreas-Roman beweist: Er ist Fragment geblieben, und doch ganz große Literatur. Und wem der Text alleine nicht reicht, dem sei die großartige Kritische Ausgabe der Werke Band XXX empfohlen, die alle Varianten und Versuche des Autors enthält, seinen Protagonisten Andreas Ferschengelder wieder aus Venedig, der Stadt der Gefahren und Gefährdungen, herauszubringen.

Wir befinden uns in einem kleinen Dorf an der Ostseeküste vor der Wende. Eine Leiche wird angespült, offensichtlich ein missglückter Fluchtversuch. Die Untersuchungen beginnen, zugleich die Vertuschungen. Unglaublich spannend und offen bis zum Schluss - ein richtiger page-turner. Großartig, wie Christa Bernuth die beklemmende Atmosphäre der DDR als Grundlage ihres Thrillers nutzt.

Ich mag Nick Hornby, seine latente Traurigkeit, seinen schönen schwarzen Humor, seine Realitätsnähe. Und ich mag auch dieses Buch, das auf den ersten Blick unerträglich klingt: Vier Menschen treffen sich in der Silvesternacht auf dem Dach eines Hauses, um sich das Leben zu nehmen. Doch sehr schnell fesseln einen die vier Charaktere, so "kaputt" sie sind, so glaubwürdig sind sie zugleich - und in jedem steckt auch ein Stück von einem selbst.

Woody Allen ist ein großer Meister des Wortes, das zeigt sich in den Dialogen der drei Einakter "Central Park West". Sie sind schmerzlich schön, weil sie so wahr sind: So reden Menschen aneinander vorbei!